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Meinung

Pro & Kontra Verrechnungssteuer
Hilft diese Reform einzig Steuerhinterziehern?

Mit diesem Plakat werben die Gegnerinnen und Gegner für ein Nein zur Verrechnungssteuer-Reform. 
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Ja

Konrad Staehelin

Es ist gut, wenn Schweizer Banken und Konzerne profitieren

Die Schweiz hat ein Problem: Ihr ansonsten starker Finanzplatz hechelt im Bereich der Finanzierung durch Unternehmensanleihen den Konkurrenten aus Luxemburg oder London seit Jahren hinterher. Der Grund ist die Verrechnungssteuer auf Obligationen, die es dort so nicht gibt.

Die Erklärung in Kurzform: Die Steuer wird auf Anlageerträgen erhoben und zurückerstattet, sobald die Besitzer diese in der Steuererklärung angegeben haben. Sie ist damit eine sogenannte Sicherungssteuer. Dadurch entzieht sie den Investoren temporär Liquidität und verursacht administrativen Aufwand.

Darum weicht der Markt insbesondere bei Obligationen, wo das gut möglich ist, ins Ausland aus. Fiele die Verrechnungssteuer in diesem Bereich, käme zumindest ein Teil des Geschäfts zurück ins Land, inklusive aller Jobs für die Vorbereitung der Geschäfte, für Beratung und Gebühren.

An diesem grundsätzlichen Mechanismus zweifeln nicht einmal die linken Gegner. Sie kritisieren vor allem zwei Punkte. Beide lassen sich entkräften:

Erstens fördere die Abschaffung der Verrechnungssteuer die Steuerkriminalität. Tatsächlich ist das nicht ganz auszuschliessen, plausibel ist es jedoch nicht. Die grosse Mehrheit von Obligationen wird von institutionellen Anlegern gehalten, deren Buchführung genau überprüft wird. Wer dagegen als Privater mit Obligationen Steuern hinterziehen will, kann das heute schon: Er muss sie dafür nur im Ausland kaufen.

Zweitens verliere die Schweiz bei einer Abschaffung langfristig Steuersubstrat in Höhe von bis zu 800 Millionen Franken jährlich, so die Gegner. Es handelt sich dabei grösstenteils um Geld, das ausländischen Anlegern nicht zurückerstattet wird, obwohl sie die Anlage in ihren Ländern deklarieren.

Die Zahl ist allerdings zu hoch gegriffen: Damit sie Realität wird, müssten die Zinsen in einem Mass ansteigen, das zurzeit unwahrscheinlich ist. Denn nur bei höheren Zinsen erhöhen sich auch die Erträge auf Obligationen und damit die Verrechnungssteuerbeträge.

Banken und Konzerne sind für ein Drittel des Schweizer Bruttoinlandprodukts, für anderthalb Millionen gut bezahlte Stellen und die Hälfte der Gewinnsteuern verantwortlich. Im aktuellen Niedrigzinsumfeld betragen die langfristigen Mindereinnahmen gut 200 Millionen Franken jährlich. Die Gegner behaupten, das ginge zulasten der «normalen Sparerinnen und Sparer», gleichzeitig würden die Banken und Konzerne gewinnen.

Davon stimmt nur die zweite Hälfte: Ja, Banken und Konzerne gewinnen. Banken, weil sie das zusätzliche Geschäft abwickeln dürfen; Konzerne, weil sie von besseren Konditionen in einem belebten Inlandmarkt profitieren.

Doch wo ist das Problem dabei? Sie sind für ein Drittel des Schweizer Bruttoinlandprodukts, für anderthalb Millionen gut bezahlte Stellen und die Hälfte der Gewinnsteuern verantwortlich. Davon profitieren wir alle.

Wie stark, ist im zu beurteilenden Fall schwer zu berechnen, weil das zusätzliche Geschäft von verschiedenen Faktoren abhängt. Das Institut Bak Economics hat es versucht und ist auf ein Plus von 300 Millionen Franken Steuereinnahmen nach fünf Jahren gekommen.

Nun könnte sich die Situation besser entwickeln oder auch schlechter. Für den zweiten Fall haben die Forscher auch mit pessimistischeren Grundannahmen gerechnet: Sie kamen trotzdem noch auf einen positiven Effekt. Es ist also wahrscheinlich, dass sich diese Steuerreform nicht nur für die viel gescholtenen Multis auszahlen würde, sondern für uns alle.

Nein

Charlotte Walser

Diese Reform ist nicht im Sinne der Steuerzahler

Die Verrechnungssteuer dient der Steuergerechtigkeit: Sie soll sicherstellen, dass Vermögen und Erträge versteuert werden. Das heutige System habe aber zwei Nachteile, schrieb der Bundesrat im Jahr 2014. Zum einen erfülle es die Sicherungsfunktion nur teilweise, zum anderen erschwere es die Kapitalaufnahme im Inland. Der Bundesrat schlug deshalb eine Reform vor, die diese Nachteile beheben sollte. Die Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung wollte er zunächst mit einem Systemwechsel, später mit einer Meldepflicht einschränken. Doch beides scheiterte am Widerstand von bürgerlicher Seite.

Die Reform, die das Parlament am Ende beschloss und über die nun die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger entscheiden, behebt nur einen der beiden Nachteile: Die Kapitalaufnahme im Inland soll erleichtert werden, indem die Umsatzabgabe auf inländische Obligationen und die Verrechnungssteuer auf Obligationszinsen abgeschafft werden.

Und die Sicherungsfunktion? Sie wird nicht nur nicht verbessert, sondern sogar geschwächt. Das räumt das Finanzdepartement selber ein.

Mindereinnahmen in Kauf nehmen, um den Finanzplatz zu stärken: Blick auf den Paradeplatz Zürich.

Ein Problem sei das aber nicht, findet das Departement nun plötzlich: «Diese Schwächung gilt es zu relativieren, da bereits im heutigen System nur bestimmte Zinserträge besichert sind.» Und: «Im aktuellen Zinsumfeld erfüllt die Verrechnungssteuer den Sicherungszweck ohnehin nur begrenzt.» Mit anderen Worten: Weil die Sicherung gegen Steuerhinterziehung schon heute lückenhaft ist, soll sie weiter geschwächt werden – zum Nutzen von Steuerhinterziehern. Das ist, als würde man, wenn das Türschloss defekt ist, die Tür entfernen, statt das Schloss zu ersetzen.

Fest steht: Die Reform, die Finanzminister Ueli Maurer als «Reförmchen» bezeichnet, führt zu Steuerausfällen. Wie hoch diese sein werden, bleibt unklar. Die Befürworter beziffern die Ausfälle langfristig auf 215 bis 275 Millionen Franken im Jahr, doch die Rechnung basiert auf der Annahme konstanter Bedingungen. Bei höherem Zinsniveau könnte der Betrag höher sein. Profitieren würden vor allem Anleger im Ausland. 

«Wer kein grosses Obligationenvermögen hat, das er vor dem Fiskus verstecken möchte, stimmt besser Nein.»

Hinzu kommt: Bei einem Ja würde es künftig attraktiver, Obligationenvermögen nicht zu deklarieren und so Steuern zu hinterziehen. Dieser Effekt ist bei den Kosten nicht eingerechnet. Man gehe davon aus, sagt Finanzminister Ueli Maurer, dass die meisten steuerehrlich seien. Das spricht allerdings nicht gegen, sondern vielmehr für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung – im Interesse der Ehrlichen.

Die Befürworter der Reform behaupten, die Ausfälle würden mittelfristig kompensiert, weil mehr Firmen Obligationen in der Schweiz ausgeben würden. Das ist zwar möglich, aber keineswegs sicher. Experten beurteilen die Schätzungen dazu kritisch. Fest steht: Bei vergangenen Reformen wurden solche Effekte stark überschätzt. Man wird den Verdacht nicht los, dass die geplante Reform – im Gegensatz zur Verrechnungssteuer – ganz und gar nicht der Steuergerechtigkeit dient. Wer kein grosses Obligationenvermögen hat, das er vor dem Fiskus verstecken möchte, stimmt besser Nein.