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Hightech-Glas
Der kleinste Sprung wird richtig teuer

New windshields for the Audi Q4 e-tron.
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Ein Jahrhundert lang hatte die Frontscheibe im Wesentlichen nur eine Funktion: die Insassen vor Regen, Insekten und Fahrtwind schützen. Ein besseres Fenster eben, seit Mitte der 1950er-Jahre immerhin so hergestellt, dass es beim Crash nicht in Tausenden Splittern durch den Wagen fliegt. Ausser diesem Verbundglas hielten sich die Innovationen bei der grössten Scheibe im Fahrzeug in Grenzen.

Heute blickt auch der Käufer des billigsten Neuwagens durch ein teures Stück Hightech auf die Strasse. Seit diesem Jahr sind Spurhalte- oder Notbremsassistenten in Europa Pflicht – und damit auch eine Kamera am oberen Rand der Windschutzscheibe, exakt auf der Oberfläche der gewölbten Innenseite montiert. Zudem benötigt der digitale Durchblick auch zumindest an dieser Stelle eine eigene Heizung, um auch bei eisigen Temperaturen die Scheibe frei zu halten.

Bis zu 20 Funktionen im Glas

Mit der eingebauten Kamera belassen es die meisten Fahrzeughersteller aber nicht: «Bis zu 20 Funktionen sind heutzutage in eine moderne Frontscheibe eingebaut», sagt Jean-Pierre Filippini, Geschäftsführer von Carglass Deutschland. Das reicht von der Wärmedämmung über das Einziehen einer geräuschabsorbierenden Folie und Heizungen für die Scheibenwischer in Ruhestellung bis zu Temperaturfühlern, Hutzen für einen Lidar in der Verglasung Richtung Dach, GPS-Antennenkabeln, Mobilfunk- und DAB-Verbindungen – und nicht zuletzt den eingebauten Bereichen für das Head-up-Display.

Der Frunk muss raus - umständlicher Einbau einer neuen Hightech-Frontscheibe

Gerade bei diesen über eine Folie virtuell in das Sichtfeld integrierten Symbolen geht die Entwicklung rasant voran. BMW, Toyota oder Great Wall haben erst unlängst ihre Zukunftsvisionen vorgestellt: Head-up-Displays, die beinahe die gesamte Frontscheibe einnehmen und auch für Fahrer und Beifahrer unterschiedliche Bereiche und Informationen ermöglichen. Da kann der Fahrer vor sich auf der Strasse den Navigationspfeil und die kommende Geschwindigkeitsbeschränkung sehen, während der Beifahrer gerade einen Film schaut oder eine Videokonferenz leitet. Viele Zulieferer wie Forvia arbeiten an ähnlichen Technologien, die potenziell bald auf allen Scheiben im Auto kommen werden. Wer möchte nicht bei einer Ruhepause im Liegesitz durch das Panoramaglas im Dach die Sternbilder erläutert bekommen?

Autoglaser brauchen digitale Kompetenz

Ganz neue Ausblicke – die aber eine teure Schattenseite haben: Diese Hightech-Windschutzscheiben lassen sich schon bei winzigen Löchern in den neuralgischen Bereichen der Assistenzsysteme nicht mehr für wenig Geld reparieren, sondern müssen komplett ersetzt werden. Im Schadensfall ergeben sich zudem neue Herausforderungen für Autoglaser, wie Filippinis Experten kürzlich bei einer Präsentation am Beispiel des Tesla Model 3 erläutert haben. Reparatur und Austausch erfordern jetzt noch mehr Präzision und Fachwissen. Denn die Fachleute müssen komplexe digitale Systeme verstehen und präzise reparieren können.

Scheibe gewechselt - jetzt muss die Software der Sensorik neu ausgerichtet werden

Das fängt bei der schieren Grösse der Frontscheiben an. War noch die Scheibe eines Käfers ursprünglich flach wie ein Fenster, knapp einen Meter breit und nicht mal einen halben Meter hoch, so sind heutige Glasflächen oft dreimal so gross, gewölbt, auch unterhalb der Fronthaube oder bis ins Dach für die Integration von Funktionen speziell ausgeformt und mit unzähligen Anschlüssen für die Technik versehen.

Das macht Aus- und Einbau kompliziert. Denn mit dem Lösen von ein paar Schrauben oder Klebeflächen ist es nicht getan. Beim Tesla beispielsweise müssen der vordere Gepäckraum, Teile der Innenverkleidung und die Türdichtungen ausgebaut werden, um die Scheibe überhaupt erst freizulegen. Techniker brauchen zudem nicht nur ein tiefes Verständnis der Hardware, sondern auch der Software. Sie müssen Updates durchführen und Systeme neu konfigurieren, um die beste Funktionalität sicherzustellen. Das bedeutet, dass sie sich ständig weiterbilden müssen, um mit der schnellen technologischen Entwicklung Schritt zu halten.

Eine regelrechte Kostenexplosion

Auch die Versicherungen gruselt es deshalb vor der teuren Entwicklung. Denn meist müssen sie ja den Austausch der Scheibe bezahlen – und die Kosten dafür bei der nächsten Kalkulation der Tarife auf alle Versicherten umrechnen. Die Kostenexplosion fängt schon beim Transport an: «Passen noch 35 Ersatzscheiben für ein Fahrzeug ohne Frontscheiben-Kamera auf eine Europalette des Lieferanten, dann sind es bei den Hightech-Gläsern nur noch 11», so Filippini. Entsprechend verteuert sich schon die Anlieferung. Richtig teuer wird es aber durch das aufwendige Kalibrieren nach dem Einbau. Die Systeme müssen exakt denselben Bereich abdecken wie zuvor, damit etwa per Infrarot auch im Dunkeln genau der Strassenrand virtuell ausgeleuchtet wird oder vierdimensional arbeitende Kameras auch Mensch und Tier nach digitalem Abgleich mit der Cloud genau erkennen.

Mit dem millimetergenauen Einbau ist es überdies nicht getan. Nach dem Neuaufspielen der Software über den Zentralrechner im Tesla – und einer schnellen Verbindung auf die Cloud der Amerikaner – ist noch eine sogenannte Rekalibrierungsfahrt nötig. Die kann bis zu 160 Kilometer in Anspruch nehmen. Bei Feierabendverkehr in der City eine stundenlange Arbeit. Ohne dieses Firmware-Update schalten sich nämlich die Assistenzsysteme im rollenden Computer nicht ein. Die moderne Frontscheibe ist eben genauso dumm wie damals im Käfer. Nur kostet das Ersetzen heute etwa das Zehnfache von damals.