Afghanisches Panjshir-TalHier formiert sich der Widerstand gegen die Taliban
In der Provinz Panjshir nördlich von Kabul wird eine Guerilla-Bewegung gegen die Islamisten aufgebaut. Das Tal wehrte sich schon mehrmals erfolgreich gegen eine Besatzung.
Der Sohn einer Symbolfigur des afghanischen Kampfes gegen die Taliban hat die USA um Unterstützung für seine Widerstandsgruppe im Kampf gegen die Islamisten gebeten. Ahmed Massud, Sohn des früheren Kriegsherrn Ahmed Schah Massud, schrieb in einem am Donnerstag veröffentlichten Gastbeitrag in der «Washington Post», er sei bereit, «in die Fussstapfen meines Vaters zu treten». Er verfüge über die nötigen Kräfte für einen wirksamen Widerstand, brauche aber «mehr Waffen, mehr Munition und mehr Nachschub».
Er befinde sich im Panjshir-Tal nordöstlich von Kabul, das in den 90er-Jahren als Hochburg des Widerstandes gegen die Taliban galt und nie unter die Kontrolle der Islamisten fiel. Seine «Mudschahedin-Kämpfer» seien «bereit, es erneut mit den Taliban aufzunehmen», erklärte Massud.
Zu ihnen seien ehemalige Angehörige der afghanischen Streitkräfte gestossen, die «von der Kapitulation ihrer Kommandeure angewidert» seien. In Onlinenetzwerken waren Bilder von Massud mit dem ehemaligen Vizepräsidenten des Landes, Amrullah Saleh zu sehen, die offenbar eine Guerilla-Bewegung gegen die Taliban planen.
Al-Qaida tötete seinen Vater
Ahmed Massuds Vater hatte in den 1980er Jahren gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans gekämpft, von 1996 bis 2001 bekämpfte er dann die Taliban. Am 9. September 2001 wurde er von zwei Selbstmordattentätern des Terrornetzwerks Al-Qaida getötet – zwei Tage vor den Anschlägen in den USA, die zu dem internationalen Militäreinsatz in Afghanistan führten.
Die Taliban stellen laut Massud eine Bedrohung über die Grenzen des Landes hinaus dar. Unter deren Kontrolle werde «Afghanistan zweifellos zu einem Zentrum des radikalislamischen Terrorismus». Seine Kämpfer seien auf den kommenden Konflikt vorbereitet, bräuchten aber US-Unterstützung.
Bei ihrer rasanten Eroberung des Landes haben die Taliban einen riesigen Vorrat an Kriegsgerät von der afghanischen Armee erbeutet, grösstenteils von den USA bereitgestellt. In Onlinemedien zeigen die Islamisten Sturm- und Scharfschützengewehre sowie gepanzerte Humvee-Fahrzeuge.
Massud bat die USA in seinem Beitrag, weiterhin die «Sache der Freiheit» zu unterstützen und die Afghanen nicht den Taliban zu überlassen. «Ihr seid unsere letzte Hoffnung», schrieb er.
«Die Taliban kontrollieren nicht das ganze Gebiet Afghanistans», sagte Russlands Aussenminister Sergej Lawrow mit Verweis auf «Berichte über die Situation im Panjshir-Tal» und den sich dort formierenden Widerstand. Das Panjshir-Tal leistete auch den sowjetischen Soldaten erfolgreich Widerstand.
Demo mit afghanischer Flagge
Auch andernorts in Afghanistan finden offenbar trotz des Siegeszugs der militant-islamischen Taliban weiter Demonstrationen mit der Nationalflagge statt. In sozialen Medien kursieren Videos, wie etwa in der Hauptstadt Kabul eine Menge mit geschätzt 100 Menschen durch eine Strasse zieht und die rot-schwarz-grüne Flagge hochhält.
Die Demonstranten rufen «Lang lebe Afghanistan» und «Unsere Flagge, unser Stolz». Zuverlässig überprüfen liessen sich die Aufnahmen und der Zeitpunkt der Aufnahmen zunächst nicht.
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Die Nationalflagge entwickelt sich seit der Machtübernahme der Taliban zunehmend zu einem Protestzeichen gegen die Islamisten, die eine eigene Fahne haben – weiss, mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Berichte über weitere Proteste gab es zudem aus anderen kleineren Städten.
Erste Demonstrationen mit der Fahne fanden nach einem Bericht der BBC am Mittwoch in drei Städten im Osten des Landes statt. Dies endete Videos zufolge teils mit Schüssen durch Taliban. In der Stadt Chost wurde örtlichen Journalisten zufolge zudem eine Ausgangssperre verhängt. Über Opfer bei den Demonstrationen gibt es keine gesicherten Erkenntnisse.
Weiterhin Chaos am Flughafen
Am Flughafen von Kabul versuchten derweil weiter tausende Menschen aus Afghanistan und anderen Ländern, einen Platz auf einem Evakuierungsflug zu bekommen. Tausende Afghanen waren in einem Streifen zwischen den von US-Soldaten errichteten Absperrungen und Kontrollpunkten der Taliban gefangen. Unbestätigten Berichte zufolge gab es mehrere Tote.
«Ich bin mit meinen Kindern und meiner Familie zum Flughafen gekommen», sagte ein Mann, der bis vor kurzem für eine internationale Nichtregierungsorganisation gearbeitet hatte. Die US-Soldaten und die Taliban hätten geschossen. Die Menschen würden aber dennoch versuchen, auf den Flughafen zu kommen, «weil sie wissen, dass sie ausserhalb des Flughafens eine Situation erwartet, die schlimmer ist als der Tod».
Auch vor Botschaften in der Stadt versammelten sich zahlreiche Menschen nach Gerüchten, dass sie dort Visa zur Ausreise erhalten könnten.
Biden: «Chaos unvermeidbar»
US-Präsident Joe Biden räumte in einem ABC-Interview ein, die USA hätten «Schwierigkeiten», afghanische Helfer in Sicherheit zu bringen. Auf die Frage, ob die US-Regierung angesichts des jüngsten Chaos am Flughafen in Kabul Fehler gemacht habe oder ob man besser mit der Lage hätte umgehen können, entgegnete Biden: «Nein. Ich glaube nicht, dass wir es auf eine Weise managen konnten (...), um ohne Chaos rauszukommen. Ich weiss nicht, wie das gehen soll.»
Vize-Aussenministerin Wendy Sherman mahnte, die Taliban müssten allen Afghanen, die das Land verlassen wollten, einen sicheren Durchgang «ohne Schikanen» erlauben. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte dazu, die USA würden in Gesprächen mit den Taliban auf eine freie Durchfahrt für Afghanen pochen.
Biden schloss in dem ABC-Interview nicht vollkommen aus, dass der bis zum 31. August geplante vollständige Truppenabzug sich etwas verzögern könnte, sollten bis dahin nicht alle US-Bürger in Sicherheit gebracht worden sein. Derzeit befinden sich geschätzt noch zwischen 10’000 und 15’000 US-Bürger in Afghanistan.
Biden war angesichts der Rückkehr der Taliban an die Macht massiv in die Kritik geraten. In dem Interview verteidigte er das Vorgehen der Regierung beim Truppenabzug erneut.
Taliban betonieren Machtanspruch
Die Taliban verstärken derweil ihre Position im Land weiter: Taliban-Anführer Haibatullah Achundsada ordnete die Provinzgouverneure an, alle «politischen Gefangenen» bedingungslos freizulassen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) setzte den Zugang des Landes zu IWF-Ressourcen in Millionenhöhe aus. Auch Deutschland, eines der wichtigsten Geberländer, stoppte seine Zahlungen am Mittwoch.
Der am Wochenende geflüchtete afghanische Präsident Aschraf Ghani erklärte, er führe Gespräche über seine Rückkehr in sein Land und unterstützte die Gespräche zwischen den Taliban und dem früheren Präsidenten Hamid Karsai. US-Vize-Aussenministerin Sherman sagte jedoch, Ghani spiele auf der politischen Bühne des Landes «nicht länger eine Rolle».
AFP/anf
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