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Holcim-Chef im Interview
Herr Jenisch, fühlen Sie sich als Klimasünder?

«Unser Ziel ist: besser bauen mit einem kleineren Fussabdruck und mehr Nachhaltigkeit, auch wenn das eine grosse Herausforderung ist». Jan Jenisch, Chef von Holcim.
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Es ist der weltweit grösste Hersteller von Baustoffen, vor allem von Zement und Beton: Holcim mit Hauptsitz in Zug macht im Jahr etwa 29 Milliarden Schweizer Franken Umsatz, die Geschäfte laufen. Der Deutsche Jan Jenisch (56) steht seit 2017 an der Spitze – er muss das Unternehmen nachhaltig machen.

Das Problem: Bei der Produktion von Baustoffen fallen grosse Mengen von CO₂ an. Experten schätzen, dass die weltweite Zementproduktion für mindestens 6 Prozent der Treibhausgase steht. Nun wollen vier Einwohner aus Indonesien Holcim verklagen. Sie fordern Schadenersatz. Unterstützt werden sie von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen. Holcim habe in den vergangenen Jahrzehnten stark zum Klimawandel beigetragen, argumentieren sie.

Herr Jenisch, die Klage lenkt die Aufmerksamkeit auf Holcim und die Klimabelastung. Wollen Sie mit den Klägern verhandeln?

Dieser Fall stellt unsere Klimamassnahmen und -ziele sowie die wissenschaftlichen Rahmenbedingungen für den heutigen Netto-null-Umstieg weitgehend falsch dar. Der Klimaschutz hat für Holcim höchste Priorität und steht im Mittelpunkt unserer Strategie. Wir verfolgen auf diesem Weg einen strengen, wissenschaftlich fundierten Ansatz mit den ersten validierten Netto-null-Zielen unserer Branche, die in Einklang mit dem 1,5-Grad-Pfad stehen. Gerichtsverfahren, die sich auf einzelne Unternehmen konzentrieren, sind kein wirksamer Mechanismus, um die globale Komplexität des Klimaschutzes zu bewältigen. Wir konzentrieren uns auf Partnerschaften über die gesamte Wertschöpfungskette des Bausektors hinweg, um den Übergang zu einem Netto-null-Energieverbrauch gemeinsam zu beschleunigen.

Holcim ist der grösste Baustoffhersteller der Welt, Ihre Branche ist gleichzeitig einer der grössten CO₂-Emittenten. Fühlen Sie sich als Klimasünder?

Nein, das muss man im Verhältnis sehen. Die Bauindustrie hat eine riesige Aufgabe, Bauen ist ein wichtiges Gut für die Menschen. Es wird heute viel gebaut, und die Bautätigkeit wird in Zukunft weiter zunehmen. Unser Ziel ist: besser bauen mit einem kleineren Fussabdruck und mehr Nachhaltigkeit, auch wenn das eine grosse Herausforderung ist.

Trotzdem: Bei der Produktion von Baustoffen wie Zement entsteht zwangsläufig sehr viel CO₂.

Das meiste CO₂ entsteht nach dem Bau: Bei einem Wohngebäude entfällt etwa ein Drittel des Fussabdrucks auf die Baumaterialien und das Bauen, zwei Drittel auf den Betrieb des Gebäudes – Heizung, Kühlung, Beleuchtung und so weiter. Da gibt es riesige Einsparpotenziale.

Wie kann die Baustoffindustrie klimaneutral werden?

Wir haben einen Plan und gehen Schritt für Schritt vor. Wir setzen alternative Rohmaterialien ein, die weniger CO₂ emittieren, und wir stellen auf alternative und erneuerbare Energiequellen um. Wir setzen zudem auf neue Zementtypen mit neuen Inhaltsstoffen. In der Schweiz beispielsweise gibt es seit vier Jahren einen Zement, der zu 20 Prozent aus recyceltem Bauschutt besteht. Wir haben auch neue Beton- und Zementarten, die um mindestens 30 Prozent CO₂-reduziert sind. Danach gibt es eine sehr hohe Nachfrage, wir sind ausverkauft.

«In spätestens vier Jahren werden wir die ersten vollständig klimaneutralen Werke haben.»

Hundert Prozent klimaneutral ist das noch nicht.

Wir machen grosse Fortschritte. Am Ende müssen wir das CO₂, das trotzdem bei der Zementproduktion entsteht und nicht vermieden werden kann, abscheiden und dann abspeichern oder weiterverarbeiten. Wir verfolgen insgesamt bereits fünfzig Projekte, in spätestens vier Jahren werden wir die ersten vollständig klimaneutralen Werke haben.

Am Einspeichern von CO₂ gibt es auch Kritik, in Ländern wie Deutschland ist das nicht möglich.

Das ist sehr unterschiedlich und vom jeweiligen Land abhängig, das stimmt. Das Speichern von CO₂ ist aus meiner Sicht unproblematisch. Das CO₂ wird verflüssigt und verfestigt und dann in leeren Öl- und Gasfeldern eingelagert. Das ist eine sichere Technologie.

Sie haben rund hundert Standorte weltweit, deren Umstellung wird sehr teuer.

Das lohnt sich aber. Zum einen sparen wir CO₂ ein und müssen so zum Beispiel in der EU keine Zertifikate kaufen. Zum anderen erlösen wir für CO₂-freie Produkte höhere Verkaufspreise, vor allem in den entwickelten Ländern, etwa in Europa und in den USA.

Sie haben auch grosse Teile ihres Zementgeschäftes verkauft, zuletzt in Indien und Brasilien, um ihre CO₂-Bilanz zu verbessern.

Wir haben jetzt ein anderes Profil. In Entwicklungsländern erwirtschaften wir nur noch 20 Prozent unseres Umsatzes, früher waren es 50 Prozent. Insgesamt konnten wir unsere CO₂-Emission bereits um 30 Prozent pro erwirtschafteten Franken reduzieren, und wir haben jetzt andere Schwerpunkte. 40 Prozent unseres Umsatzes machen wir inzwischen in Nordamerika, auch mit neuen Produkten, etwa ganzen Dachsystemen mit Solaranlagen und guter Isolierung – da ist viel Musik drin.

«Es gibt immer mehr Anleger, die Nachhaltigkeit honorieren.»

Wie gross ist der Druck der Investoren, dass Holcim nachhaltig wird?

Am Anfang haben einige Investoren einfach so investiert, dass die CO₂-Emissionen ihrer Beteiligungen zurückgehen. Ganze Sektoren wurden dabei ausgeschlossen. Jetzt gibt es immer mehr Anleger und Fonds, die Nachhaltigkeit und den Umbau honorieren und auf die besten Unternehmen in den jeweiligen Branchen setzen. Da sind wir gut dabei. Unsere neue Strategie wird begrüsst.

Ist der Umbau von Holcim schon am Ende?

Nein, wir machen weiter. Alleine im vergangenen Jahr haben wir zwanzig Unternehmen gekauft. Unsere Strategie wollen wir fortführen und weitere gute Firmen dazukaufen, um unsere neuen Geschäftsbereiche auszubauen. Aus den Verkäufen unserer Aktivitäten in Indien und Brasilien haben wir mehr als sieben Milliarden Franken eingenommen.

Gibt es schon Konkretes?

Wir sind immer an etwas dran. Wir prüfen Unternehmen, kaufen aber nicht jede Firma. Das muss ja passen. Nordamerika ist der beste Baumarkt der Welt. Dort und in Europa wollen wir uns verstärken. In den USA etwa sind unsere Marktanteile noch relativ gering, die können sich in Zukunft gut verdoppeln. In Europa sind Grossbritannien, Frankreich, Deutschland unsere grössten Märkte. Wir wachsen zudem in Osteuropa, in Polen und Rumänien zum Beispiel.

Denken Sie auch an einen ganz grossen Zukauf?

Man soll nie nie sagen. Aber grosse Zukäufe bergen immer grosse Risiken, von der Kultur her, von der Führung her. Ich fühle mich mit kleinen und mittleren Akquisitionen am wohlsten, die kann man einfacher umsetzen und erfolgreich machen.

«Überall wird gebaut. In Nordamerika sind wir aktuell nahezu ausverkauft.»

Der jetzige Konzern ist 2014 aus einer Grossfusion der schweizerischen Holcim und der französischen Lafarge entstanden. Da gab es auch grosse Probleme.

Damals war ich nicht dabei, ich bin später dazugestossen. Dann aber konnte ich als Unbeteiligter objektiv entscheiden, die Hauptverwaltungen in Paris und in Zürich habe ich geschlossen. Jetzt sind wir schlank aufgestellt: In der Zentrale in Zug arbeiten rund 150 Menschen, das ist kein Vergleich mit früher.

Erreichen Sie Ihre Ziele?

Wir sind optimistisch. Zum dritten Quartal haben wir die Prognose nochmals erhöht, wir wollen um 12 Prozent wachsen, das Ergebnis vor Zinsen und Steuern soll einstellig zulegen, die Verschuldung deutlich zurückgehen.

Inflation, Rezessionsängste – sorgen Sie sich um die Baukonjunktur weltweit?

Es gibt für uns keinen Grund, von einer Krise auszugehen. Wir erwarten vielmehr weiter eine gute Nachfrage. Der Inflation Reduction Act von US-Präsident Biden ist das grösste jemals aufgegleiste Infrastrukturprogramm. Dazu kommt der Green Deal in Europa. Überall wird gebaut. Dazu kommen das Bevölkerungswachstum, das Wachsen der grossen Städte, die Reparatur und der Ausbau der Infrastruktur. Das alles stützt die Nachfrage nach unseren Produkten. In Nordamerika sind wir aktuell nahezu ausverkauft. Wir gehen stark in das neue Jahr.

Sie sind seit 2017 Chef von Holcim – wie lange machen Sie noch? Es gibt Spekulationen, Sie würden irgendwann an die Spitze des Verwaltungsrats wechseln.

Ich war 21 Jahre bei meiner letzten Firma, jetzt bin ich mehr als fünfeinhalb Jahre bei Holcim. Ich werde nicht mehr wechseln und auch die nächsten zehn Jahr für Holcim arbeiten. Holcim ist meine Leidenschaft, ich will die Transformation weiterführen und die Dekarbonisierung umsetzen.