Kinofilm «Heldin»Dieser Schweizer Film geht die ganze Welt an
Petra Volpes Drama über Pflegefachleute steht gerade auf Platz 1 der Schweizer Kinocharts, vor «Bridget Jones». Zu Recht.

Kann bitte jemand nach dem Publikum schauen? Seit einigen Minuten klagt es über Herzrasen und Schweissausbrüche, genauer gesagt: seit das Kinodrama «Heldin» von Petra Volpe begonnen hat, das derzeit auf Platz 1 der Schweizer Kinocharts steht – vor dem neuen «Bridget Jones»-Film.
Die Regisseurin von «Die göttliche Ordnung» hat mit ihrer dichten Dramatisierung des Alltags auf einer Pflegestation international glänzende Kritiken geholt und einen Nerv getroffen: Wenn es heute noch Helden gibt, dann sind es die Pflegefachleute. Unbesetzte Stellen, Überarbeitung, schreiende Umstände. Und was hat das Klatschen von den Balkonen während der Pandemie daran geändert? Gar nichts.
Wobei, vielleicht hat die Beschäftigung mit dem Pflegenotstand einen neuen Realismus in die Spitalgeschichten gebracht. Notaufnahme-Serien wie «Krank Berlin» oder «The Pitt» sind heute weit entfernt von Edel-Soaps wie «Grey’s Anatomy», wo der akuteste Schmerz ja immer im Privatleben der Ärzteschaft zu finden war.
Jetzt herrschen Drastik und Hektik, üble Verletzungen und improvisierte Behandlungen. Das Ultraschallgel in «Krank Berlin» ist eine Tube Gleitmittel vom benachbarten Sexshop, der liefert einfach schneller.

«Heldin» konzentriert sich auf den Mikrostress des Pflegepersonals. Die Konstruktion ist bestechend einfach: Wir erleben eine Spätschicht der Pflegerin Floria von Anfang bis Ende. Wer bei der Übergabe auf der viszeralchirurgischen Abteilung in einem Schweizer Kantonsspital noch keine Erschöpfungszustände verspürt, wird bald welche entwickeln. In «Heldin» sind zwei Pflegerinnen für mehr als zwei Dutzend Patienten zuständig, und es passiert alles auf einmal.
Floria muss Medikamente verabreichen und einen Patienten zum CT rollen, sie macht Tee und Tests und telefoniert mit dem Aufwachraum, sie hat Geduld mit den Ungeduldigen und den Gesprächigen, sie trifft den Ton mit den Aggressiven und den Verwirrten, und wenn eine Angehörige wegen einer liegen gelassenen Lesebrille anruft, erledigt sie auch noch das. Aber wie sich die Ansprüche maximal verdichten, passieren Fehler und eskaliert die Situation.

Ohne Stereotype bei der Einführung der Kranken – siehe den arroganten Privatpatienten – kommt Drehbuchautorin und Regisseurin Petra Volpe nicht aus. Es sind aber notwendige Verkürzungen, um das Tempo zu halten.
«Heldin» von Petra Volpe ist voll von vibrierenden Details und Recherche
Das Sensationelle an ihrem Film besteht darin, dass er eine eindeutige Sympathie hat, ohne dass er deswegen platt wirkt. Dafür ist er zu reichhaltig, voll von vibrierenden Details und Recherche. Volpe hat zur Vorbereitung Personal begleitet und eine Pflegefachfrau als Beraterin beigezogen; Floria-Darstellerin Leonie Benesch hat im Kantonsspital Liestal ein Praktikum absolviert.
Das merkt man an jedem Handgriff dieser grossartigen Schauspielerin («Das Lehrerzimmer»). Benesch kann die drahtige Intensität genauso wie die seelenruhige Konzentration. Wenn sich die Lage zuspitzt, weil ungleiche Dinge alle gleich dringend werden, kommt sie mit einer unglaublichen Präzision ins Zittern.

Manchmal wirkt es, als verstecke sich Floria hinter ihrem Pflegewagen, um eine ruhige Minute zu haben. Wenn sie «Der Mond ist aufgegangen» singt, um eine demente Frau zu beruhigen, tut sie das mit einer entschiedenen Empathie, in der auch ihre eigene Ungeduld spürbar wird. Andere Patienten warten.
«Heldin» ist Kino mit menschlicher Haltung. Ein Denkmal für den Pflegeberuf, das filmische Lösungen für die Arbeitsabläufe auf der Station findet. Man muss da ja auch die Klischees aus dem Vorabendprogramm umfahren, doch anders als in vielen Spitalserien kommen die Ärztinnen und Ärzte hier höchstens am Rande vor.

Dafür bestimmen sie die Szenerie in den Serien «Krank Berlin» oder «The Pitt». Ein Arzt in «Krank Berlin» übernimmt einen Teil der Pflegearbeiten selbst, schlicht und einfach, weil das Personal fehlt.
«The Pitt» wiederum spielt in der Rettungsstelle in einem Spital in Pittsburgh. Auch diese Geschichte schildert eine Schicht im Spital, 15 Stunden in 15 Folgen. Die Situation verschärft sich nach einem Amoklauf an einem Musikfestival. Dann herrscht Notstand in der Notaufnahme, es werden Armbänder für die Triage verteilt, und die Chirurgen beginnen, ihr eigenes Blut zu spenden.
Leben retten, Geld verlieren
Im Chaos zwischen Fachausdrücken und Schmerzensschreien zeigt «The Pitt» realistisch wirkende Eingriffe, findet aber auch Zeit, um die Sparpläne der Spitalleitung einzuflechten. «Krank Berlin» zielt aufs gleiche Thema: Die Notaufnahme rettet Leben, aber verliert Geld. Und beide Serien kommen nicht darum herum, die persönlichen Probleme der Ärzte einzubauen.
Der neue medizinische Realismus braucht eben doch die alten Konflikte. «Heldin» begeistert auch deswegen, weil der Film auf das grosse private Drama verzichtet, da sich die Zumutungen bereits im Kleinen zeigen.
Vielleicht hat Petra Volpe gerade ein neues Subgenre gegründet: den Care-Thriller. Bald startet der Film in weiteren Ländern, Italien, Frankreich, Spanien, Südkorea. Diese Geschichte geht alle an.
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«Heldin» im Kino. «Krank Berlin» auf Apple TV+. «The Pitt» ist in der Schweiz nicht verfügbar.
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