«Kneecap» im KinoAuf den Spuren von «Trainspotting»
Der Film porträtiert die nordirische Band Kneecap, die sich mitunter durch Drogenhandel finanziert. Dramatisch, berührend und vor allem unglaublich lustig. Eine Wucht.

Seit dem 1988 zwischen London, Dublin, Washington und Belfast ausgehandelten «Good Friday Agreement» herrscht in Nordirland ein wackliger Frieden. Überwunden sind die Spannungen in einer der ärmsten Regionen Europas aber noch lange nicht. Rich Peppiatts Regiedebüt «Kneecap» handelt von den Spätfolgen des jahrzehntelangen Bürgerkriegs in der Unruheprovinz – aber auch von der Sprengkraft der Hip-Hop-Musik.
Im Mittelpunkt dieses ungemein lustigen, aufschlussreichen und auch berührenden Films steht das Rap-Trio Kneecap, das mit irischsprachigen Reimen, antibritischen Provokationen und paramilitärisch anmutenden Bühnenoutfits zwischen die Fronten gerät.
Parallel zu Kneecaps steigender Bekanntheit Ende der 2010er-Jahre interessieren sich terroristische Splittergruppen, Medienleute und Sicherheitskräfte immer mehr für die Band, die sich mit Drogengeschäften finanziert.
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Ihre Widersacher sind dann auch nicht zimperlich, wenn es darum geht, den Aufstieg von Móglaí Bap, DJ Próvaí und Mo Chara zu sabotieren: Eines Nachts wird Kneecaps Studio Ziel eines anonymen Bombenattentats. Die ehrgeizigen Musiker lassen sich von diesem Einschüchterungsversuch nicht beeindrucken. Sie verschaffen sich unerlaubten Zugang zur Musikabteilung einer Schule, um ihren nächsten Track produzieren zu können.
Irische Sprache als Symbol eines neuen Selbstbewusstseins
«Kneecap» ist ein Porträt einer Generation, die in eine Zeit hineingeboren wurde, als den Menschen in Nordirland grosse Versprechungen gemacht wurden, gesellschaftlich und wirtschaftlich trotzdem vieles unverändert blieb.
So verstehen sich die Musiker als Produkt eines kollektiven Traumas, das mit der Unterjochung Irlands durch die Kolonialmacht Grossbritannien begann. Darum begeistern sie sich auch für die irische Sprache, in der auch viele Schlüsseldialoge stattfinden. Für Kneecap ist sie kein Symptom einer ländlichen Rückständigkeit, sie ist Symbol eines neuen irischen Selbstbewusstseins.

Statt mit Bomben und Schusswaffen kämpfen Kneecap mit Raps und Beats für mehr Autonomie für Nordirland, eine Wiedervereinigung mit der Irischen Republik und eine gesellschaftliche Aufwertung der lange verschmähten irischen Sprache. Das sind Anliegen, die im Vereinigten Königreich bis in die 1990er-Jahre als indiskutabel galten.
Zur Dringlichkeit des Films trägt neben viel toller Musik und absurder Situationskomik die Tatsache bei, dass Kneecap eine real existierende Hip-Hop-Crew aus Westbelfast sind, die sich notabene selbst spielt. Dank ihrer keltischen Vitalität gelingt das Naoise Ó Cairealláin, JJ Ó Dochartaigh und Liam Óg Ó hAnnaidh, wie die Musiker bürgerlich heissen, verblüffend gut.
Fakten und Fiktion werden genüsslich vermischt
Die Sex-Szenen mit dem katholischen Rapper Mo Chara (Liam Óg Ó hAnnaidh) und seiner protestantischen Geliebten Georgia (Jessica Reynolds) sind sowohl erotisch wie auch politisch aufgeladen. So transgressiv und doch gehemmt können Menschen sein, die einen jahrhundertelangen Konflikt in ihrer DNA tragen.
Von seiner Machart her spielt «Kneecap» auf andere Filme an. Der harte Humor im Angesicht der Trostlosigkeit erinnert an «Trainspotting», Danny Boyles Studie der schottischen Heroin-Misere, Peppiatts postmoderner Erzählstil hat etwas von Quentin Tarantinos Mash-up-Meisterwerk «Pulp Fiction».

Weil Peppiatt in seinem Genremix Fakten und Fiktion so genüsslich miteinander vermischt, behaupten einige Kritiker, dass der Film ein Mittel zur Mythenbildung sei. Ó Cairealláin, Ó Dochartaigh und Óg Ó hAnnaidh seien in Wirklichkeit lange nicht so dreist oder tapfer, wie sie in «Kneecap» herüberkämen.
Die Nebenhandlung um Móglaí Baps Vater Arlo Ó Cairealláin (Michael Fassbender) wirkt tatsächlich etwas aufgesetzt. Allerdings gewinnt Peppiatt der frei erfundenen Figur des untergetauchten Terroristen eine symbolische Gravität ab. Der IRA-Mann ist ein Relikt aus einer längst vergangenen Ära, der gegen den Friedensprozess in Nordirland ebenso wenig ausrichten kann wie gegen das kleinkriminelle Treiben seines Sohns. Der ehemalige Bombenleger Arlo, der seinen Lebensunterhalt mittlerweile als Yogalehrer bestreitet, wirkt bis zum Action-betonten Showdown zwar bedrohlich, aber politisch impotent.
Kneekaps gewonnener Streit um Fördergelder
Wie aktuell die Themen Sprache und Identität in Nordirland sind, zeigt die politische Realität. 2022 wurde der «Identity and Language Northern Ireland Act» verabschiedet, der die irische Sprache als Amtssprache bestätigt.
Nebenbei sei erwähnt, dass Kneecap 2024 einen Gerichtsstreit mit Kemi Badenoch, der amtierenden Vorsitzenden der Konservativen Partei Grossbritanniens, für sich entschieden haben. Wegen Kneecaps unbritischer Einstellung hatte Badenoch in ihrer früheren Kapazität als britische Wirtschaftsministerin Fördergelder blockiert, die an die Band hätten ausbezahlt werden sollen.
Im vergangenen November wurde dies von der neuen Regierung in London für illegal befunden und rückgängig gemacht. Ó Cairealláin, Ó Dochartaigh und Óg Ó hAnnaidh schlachten diesen Erfolg seither als Sieg für die Meinungsfreiheit und gegen die Zensur aus. Leisetreten ist für diese unerschrockenen Kelten – egal, ob im Kino oder im wirklichen Leben – keine Option.
«Kneecap» (2024), jetzt im Kino.
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