Psychologie des SadismusHauptsache, es passiert etwas
Langeweile kann Menschen dazu verleiten, sadistisch zu handeln und andere zu drangsalieren. Das ergab eine grosse Studie der dänischen Universität Aarhus.
Zu den wenigen bleibenden Lektionen der Schulzeit zählt die Einsicht, dass Langeweile die Geburt blöder Ideen fördert. In manchen Fächern vergeht die Zeit quälend langsam, der Unterricht gleicht einer endlosen Windstille. Wenn dann auch noch die diensthabende Lehrkraft vor der Tafel mit eher gering ausgeprägter Autorität gesegnet ist, weckt das den Dämon in Schüler oder Schülerin, das dringende Bedürfnis, die bleierne Langeweile wenigstens für einen Moment zu unterbrechen, irgendwie. Die einfachste Lösung: dem Sitznachbarn auf die Nerven gehen, ihm mit dem Finger in die Seite zu piksen oder seine Schulsachen durcheinanderzubringen, damit er hoffentlich tüchtig zurückfoppt. Auf die Frage der Lehrer, was man sich dabei gedacht habe, lautet die ehrliche Antwort: «Nichts.»
Schlauer, wenn auch unangenehm naseweis, wäre es in einer solchen Situation gewesen, Søren Kierkegaard zu zitieren: «Die Langeweile ist die Wurzel allen Übels», hat der dänische Philosoph einst formuliert. Eine Aussage, die der Psychoanalytiker Erich Fromm später noch konkretisierte, als er Langeweile als Quelle sadistischen Verhaltens benannte. Vielleicht hätte das sogar Spass gemacht, Lehrer mit derlei Zitaten zu provozieren, und die Wissenschaft hätte man auch auf seiner Seite gehabt.
Sadistische Tendenzen oder Fantasien
Die Psychologie hat nämlich zahlreiche Ergebnisse produziert, die sich im Sinne Kierkegaards lesen lassen: Langeweile verleitet häufig dazu, Blödsinn zu treiben – etwa Alkohol und Drogen zu konsumieren. «Aber zu negativen zwischenmenschlichen Konsequenzen gab es bisher fast keine Arbeiten», sagt Stefan Pfattheicher. Mit Kollegen hat der Psychologe der dänischen Universität Aarhus nun eine grosse Studie publiziert, die zeigt: Auch Erich Fromm lag wohl richtig, Langeweile kann sogar zu sadistischem Verhalten verleiten.
Grundsätzlich signalisiert das Gefühl der Langeweile ja nur, etwas an der gegenwärtigen Situation zu ändern. «Dieses Bedürfnis nach Stimulation lässt sich natürlich auf verschiedene Weise stillen», sagt Pfattheicher. Man könnte konstruktiv sein und backen, lesen, basteln oder sich gar am Unterricht beteiligen – oder eben die Nervensäge geben. In Versuchen mit mehreren Tausend Teilnehmern stellten die Psychologen fest, dass diese destruktive Form der Ablenkung für manche attraktiv ist: Chronisch gelangweilte Menschen räumten eher sadistische Tendenzen oder Fantasien ein.
Die Psychologen klopften zudem alltagsrelevante Szenarien auf den Zusammenhang ab. Sie werteten Stichproben mit Online-Trollen, Soldaten und Eltern aus. In allen Fällen fand sich eine Verknüpfung: Gelangweilte Soldaten, Trolle oder Eltern drangsalierten mit höherer Wahrscheinlichkeit Kameraden, Internetnutzer oder die eigenen Kinder. Ähnliches zeigte sich in Verhaltensexperimenten. Ödeten die Forscher ihre Probanden etwa mit einem Film über einen Wasserfall an, zeigten diese anschliessend eher sadistisches Verhalten. Allerdings, das muss gesagt werden, war das sehr selten. Langeweile verwandelt allenfalls ohnehin finstere Persönlichkeitstypen in Folterknechte des Alltags. Die übrigen kommen auf andere blöde Ideen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.