Leser fragen Peter SchneiderHaben wir dieselbe Seele wie der Neandertaler?
Die Antwort auf eine Leserfrage zur Wandelbarkeit des menschlichen Innenlebens.
Hatte der Homo erectus eine andere Seele als der Neandertaler und dieser wiederum eine andere Seele als der Homo sapiens? Die Fragen stellten sich mir nach Ihrem Artikel «Wie sieht die Seele aus?» – H.O.
Lieber Herr O.
Aber so etwas von – wenn wir einmal Konzepte wie das der «unsterblichen Seele» aussen vor lassen und uns auf die sterbliche Seele als Forschungsgegenstand der Psychologie beschränken. Und zwar in doppelten Sinn: Sowohl das Konzept und der Begriff des Seelischen als auch das Seelische selbst sind etwas Historisches. Was ja nichts anderes heisst, als dass sie sich mit der Zeit ändern.
Die Konzepte, die wir von der Seele haben, und das, was diese Konzepte beschreiben, die Seelen, beeinflussen aneinander. So hat etwa der Erfolg der Neurowissenschaften in den letzten Jahrzehnten auch das Selbstverständnis der Menschen beeinflusst – etwa indem wir eine Depression mit etwas erklären, was «in unserem Hirn» ins Ungleichgewicht geraten ist. Der Wissenschaftshistoriker Michael Hagner hat diese Veränderung als die Herausbildung des «Homo cerebralis» beschrieben.
Die Seele als Gegenstand der Forschungen ist ein «moving target» (Ian Hacking) – und zwar nicht nur von einer grossen Gattungsepoche zur nächsten. Mit dieser Beweglichkeit der Seele hat nicht nur die Psychoanalyse grosse Mühe, die den Ödipuskomplex zu einem gattungsgeschichtlichen Erbe mystifiziert, sondern auch die Teile der Psychologie, die sich als Naturwissenschaft verstehen.
Jedem Tierchen seine geschichtlich wechselnden Pläsierchen.
Nehmen wir als Beispiel die Evolutionspsychologie. Sie neigt dazu, Natur und Kultur (angeboren vs. «bloss anerzogen») voneinander zu trennen, wodurch das Kulturelle lediglich zu einer Art Oberflächengekräusel auf dem tiefen Meer der unveränderlichen Natur wird. Dabei müssten doch alle Disziplinen, die sich am evolutionären Denken Darwins orientieren, gerade die historischen Veränderungen ihrer Gegenstände in den Mittelpunkt ihres Interesses stellen.
Stattdessen klingt deren Berufung auf die Evolution («darauf hat die Evolution den modernen Menschen nicht vorbereitet») oft so, als handle es sich bei dieser Evolution um eine abgeschlossene Epoche aus der Frühgeschichte der Menschheit, um welche die vom Genderwahn und antibiologischem Dünkel befallenen «Humanities» sich leider oftmals nur einen Scheiss kümmern und darum den (post-)modernen Irrlehren Tür und Tor öffnen, die das eigentliche Wesen DES Menschen verleugnen.
Die Evolution (auch die der Seele) begründet aber keine menschliche Essenz; sie ist auch kein zielgerichteter Prozess und erst recht kein einheitlicher. Jedem Tierchen seine geschichtlich wechselnden Pläsierchen.
Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.
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