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Vergewaltigungsprozess in Avignon
Gisèle Pelicot widmet ihren Kampf allen «unerkannten Opfern» von sexualisierter Gewalt

Gisele Pelicot speaks to the press as she leaves the courtroom, in the Avignon courthouse, southern France, Thursday, Dec. 19, 2024. (AP Photo/Lewis Joly)
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Zum Ende des Vergewaltigungsprozesses von Avignon hat die Französin Gisèle Pelicot ihren Kampf allen «unbekannten Opfern» von sexualisierter Gewalt gewidmet. «Ich denke an die Opfer, die nicht bekannt sind, und deren Geschichten oft im Dunkeln bleiben», sagte die 72-Jährige nach der Urteilsverkündung am Donnerstag in Avignon. «Sie sollen wissen, dass wir den gleichen Kampf führen.»

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«Ich habe heute Vertrauen in unsere Fähigkeit, gemeinsam eine Zukunft in die Hand zu nehmen, in der jeder, Frau und Mann, in Harmonie, mit Respekt und in gegenseitigem Verständnis leben kann», sagte Gisèle sichtbar ergriffen nach den Schuldsprüchen.

Sie habe sich zu einem öffentlichen Prozess entschlossen, «damit die Gesellschaft die Debatten aufnimmt», sagte sie. «Ich habe diese Entscheidung nie bereut», bekräftigte sie.

Der Prozess sei eine «sehr schwere Prüfung» für sie gewesen. Sie sei «sehr mitgenommen» und denke in erster Linie an ihre Kinder und Enkel. Gisèle Pelicot bedankte sich bei allen, die sie unterstützt hatten: «Sie haben mir die Kraft gegeben, jeden Tag vor Gericht zu erscheinen», sagte sie. Die am Donnerstag verkündeten Urteile akzeptiere sie.

Gisèle Pelicot: Unbeugsam und aus der Opferrolle befreit

Wann immer Gisèle Pelicot das Gerichtsgebäude in den vergangenen Wochen betrat, wurde sie mit Applaus empfangen, manchmal auch mit Blumen. Die 72-Jährige ist im Laufe des Vergewaltigungsprozesses gegen ihren Ex-Mann und 50 weitere Angeklagte in Avignon zu einer Heldin der Frauenbewegung geworden. Selbst die Anwältin des Hauptangeklagten sprach ihr in ihrem Plädoyer ihren «tiefen Respekt» aus.

Dominique Pelicot hatte seine Frau fast zehn Jahre lang immer wieder mit Medikamenten betäubt und sie in Internetforen zur Vergewaltigung angeboten. Am Donnerstag wurde er dafür zur Höchststrafe von 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Seine 50 Mitangeklagten erhielten Haftstrafen zwischen drei und 15 Jahren.

Die französische Öffentlichkeit feiert Gisèle Pelicot für ihre mutige Entscheidung, den Prozess nicht hinter verschlossenen Türen durchzustehen und sich selbst damit aus der Opferrolle zu befreien. Während sich die 72-Jährige am ersten Prozesstag noch hinter ihrer Sonnenbrille versteckte und gedeckte Farben trug, wurde ihr Auftreten von Mal zu Mal selbstbewusster: «Die Scham muss die Seite wechseln», sagte sie. 

epa11780351 Gisele Pelicot (C), escorted by her lawyer Stephane Babonneau (R), leaves the criminal court where her ex-husband Dominique Pelicot stands trial, in Avignon, South of France, 16 December 2024. Dominique Pelicot is accused of drugging and raping his then-wife, Gisele Pelicot. He is also accused of inviting dozens of men to rape her while she was unconscious at their home in Mazan, France, between 2011 and 2020. Fifty other men are facing trial for their alleged involvement. Dominique Pelicot could face a maximum sentence of 20 years in prison if convicted.  EPA/Guillaume Horcajuelo

«Ich bin weder von Wut noch von Hass erfüllt», erklärte Gisèle Pelicot. «Aber ich bin entschlossen, dass diese Gesellschaft sich ändern muss.» Mit diesem Argument setzte sie durch, dass ein Teil der verstörenden Videos, die Dominique Pelicot von den Vergewaltigungen seiner Frau angefertigt hatte, im Gerichtssaal gezeigt wurde. 

Sie hielt ihn für den «perfekten Mann»

Bis zum Bekanntwerden der Taten ihres Mannes hatte Gisèle Pélicot ein unauffälliges Leben geführt. Sie kam als Tochter eines Berufssoldaten im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen zur Welt, wo sie ihre frühe Kindheit verbrachte. Mit neun Jahren verlor sie ihre Mutter, mit 20 lernte sie ihren künftigen Mann kennen. Gisèle Pelicot arbeitete beim Stromanbieter EDF und zog mit ihrem Mann die drei gemeinsamen Kinder gross.

Als beide in Rente gingen, zogen sie in Frankreichs Süden, in die Nähe von Avignon. »Ich wollte ihn immer nach oben ziehen», sagte sie vor Gericht über ihren Mann, der in einer zerrütteten Familie aufwuchs und in der Kindheit häufig Gewalt erfuhr.

Gisèle Pelicot war noch immer überzeugt, mit dem «perfekten Mann» verheiratet zu sein, als dieser längst begonnen hatte, ihr Schlafmittel ins Essen zu mischen und sie sich über Gedächtnislücken und Genitalschmerzen wunderte. «Er hat mich zu Neurologen und Gynäkologen begleitet. Wie oft habe ich mir gesagt, ‹Was für ein Glück, ihn an meiner Seite zu haben›», sagte sie im Prozess. Keiner der Ärzte fand heraus, woher ihre Symptome tatsächlich rührten. 

Ihr heile Welt brach zusammen, als sie auf die Polizeiwache gebeten wurde, weil ihr Mann dabei erwischt worden war, Frauen unter den Rock zu filmen. Selbst da versuchte sie zunächst noch, ihn in Schutz zu nehmen – bis die Polizisten ihr eröffneten, auf welche Weise ihr Mann sie über Jahre hinweg missbraucht hatte. 

Ihre mutige Entscheidung hatte massive Folgen

Ihr Kinder handelten schnell, räumten das Haus aus, holten ihre Mutter zu sich. «Ihr ganzes Leben hatte sich auf einen Koffer und ihren Hund reduziert», so beschrieb einer ihrer Söhne Gisèle Pelicots Flucht aus dem Ort des Horrors. 

Ihre Geschichte hätte eine Randnotiz zu einem besonders schauerlichen Kriminalfall bleiben können, wenn der Prozess wie ursprünglich geplant unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hätte. Doch die kleine, zurückhaltend wirkende Frau rang sich zu einer Entscheidung durch, die massive Folgen hatte.

A banner reading in French "Thank you Gisele" hangs on Avignon's old city wall on December 19, 2024, as the verdict is expected in the trial of a man, with 50 others, accused of drugging his wife and orchestrating multiple rapes over nearly a decade. A court in the French southern town of Avignon is trying Dominique Pelicot, a 71-year-old retiree, for repeatedly raping and enlisting dozens of strangers to rape his heavily sedated wife Gisele Pelicot in her own bed over a decade. Fifty other men, aged between 26 and 74, are also on trial for alleged involvement, in a case that has horrified France. (Photo by Clement MAHOUDEAU / AFP)

Die ganze Welt sollte nach dem Willen von Gisèle Pelicot sehen, was in einem netten südfranzösischen Dorf passieren kann: Dass sich dort Dutzende Männer jeden Alters und aller Gesellschaftsschichten fanden, die nicht nur zur Vergewaltigung einer bewusstlosen Frau bereit waren, sondern dies – ungeachtet der verstörenden Beweisvideos – vor Gericht auch noch vehement bestritten. Am Donnerstag wurden die Männer ausnahmslos schuldig gesprochen

«Im Jahr 2024 kann niemand mehr über Frauen sagen: ‹Sie hat nichts gesagt, also war sie einverstanden›», hatte die Staatsanwältin Laure Chabaud in ihrem Schlussplädoyer betont. Auf Hauswänden in Avignon und in vielen anderen Städten Frankreichs steht inzwischen in Grossbuchstaben: «Merci Gisèle!»

AFP/anf