Sensationsteam in SpanienDas Undenkbare ist eingetroffen – der Fussballzwerg ist besser als Real
Minimales Budget, maximaler Erfolg: Der FC Girona steht noch vor den Königlichen an der Tabellenspitze – ein Fussballmärchen, das auch dank Manchester City möglich ist.
Girona? Im Kampf um die Tabellenführung, auf Augenhöhe mit Real Madrid? Was Delfí Geli wohl geantwortet hätte, wäre ihm das vor der Saison prophezeit worden? «Keine Ahnung», sagt der Präsident des katalanischen Fussballclubs. «Auf diese Idee kam ja keiner.»
Der 54-Jährige bringt damit ziemlich gut auf den Punkt, was in Spaniens LaLiga gerade los ist.
Undenkbar war das, eingetroffen ist es nun trotzdem. Mehr noch: Nach zwölf Spieltagen steht Girona alleine an der Spitze, die 31 Punkte zu diesem Zeitpunkt wurden in der fast 100-jährigen Ligageschichte in Spanien nur neunmal übertroffen. Es wäre wohl auch für Miguel Ángel Sánchez Muñoz leicht vermessen gewesen, dieses Ausmass gemeint zu haben, als er vor der Saison zu seinen Spielern sagte: «Dieses Jahr können wir Geschichte schreiben. Aber so richtig!»
Bekannt ist er eigentlich nur als «Michel», obwohl der Ausdruck «bekannt» für Gironas Trainer etwas gar hoch gegriffen ist. Natürlich, in Spanien ist der 48-Jährige als Fachmann respektiert, die von ihm offerierte Mischung aus dominantem Angriffsfussball, schnellem Umschalten und taktischer Flexibilität verzückte die Fans bereits in der Aufstiegssaison 2021/22. Und auch wenn Girona ein Jahr später die grosse Überraschung in Form der Conference-League-Qualifikation nur um zwei Punkte verpasste, für Michel und sein Team interessierten sich höchstens die ganz angefressenen Fussball-Freaks.
Michels Fussballabend mit Guardiola
Einer von denen heisst Pep Guardiola, mit ihm pflegt Michel einen regelmässigen Austausch. So heisst es zumindest, das ergibt aber auch Sinn. Schliesslich gehört Girona seit August 2017 zu 44,3 Prozent der City Football Group, dem Netzwerk des Champions-League-Siegers Manchester City. Und Guardiolas Bruder Pere hält als Vorstandsvorsitzender des Vereins einen Aktienanteil von 16 Prozent. Als sich Pep und Michel zum ersten Mal trafen, soll es einer dieser Abende geworden sein, an dem Salzstreuer und Pfeffermühlen herumgeschoben wurden, sie besprachen Konzepte, Ideen und Philosophien, wobei Guardiola nicht nur in der Rolle des Erklärers gewesen sei.
Die Nähe Gironas zu Manchester City nimmt dem spanischen Fussballmärchen etwas Romantik, vielleicht ist diese Geschichte aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass eben auch im Fussball nicht alles schwarz oder weiss ist. Auf der einen Seite profitiert Girona natürlich vom Scouting-Netzwerk der City Football Group, bei Yangel Herrera und Yan Couto musste man sich beispielsweise kein Bein ausreissen. Sie sind von Manchester City ausgeliehen.
Ein kleines bisschen komplizierter ist der Fall von Sávio Moreira de Oliveira, auch Savinho genannt. Auch er gehört zur City Football Group, vor einem Jahr holte ihn der französische Ableger Troyes für 6,5 Millionen Euro und verlieh ihn direkt an PSV Eindhoven. Weder dort noch danach bei Troyes wusste der Brasilianer zu überzeugen, dennoch wollte Gironas Sportdirektor Quique Cárcel den 19-Jährigen unbedingt haben. Nun gehört Savinho zu den Spektakelmachern der Liga, sein geschätzter Marktwert hat sich von 5 auf 20 Millionen Euro vervierfacht.
In einem solchen Netzwerk hantiert es sich einfacher, dennoch sind die 55 Millionen Euro Budget, die der Verein letzte Saison zur Verfügung hatte, ein Vielfaches unter demjenigen der Konkurrenz. Real Madrid und Barcelona beispielsweise gaben über 800 Millionen aus. Ohnehin hatte in der gesamten Liga nur Rayo Vallecano ein um drei Millionen tieferes Budget – diese Saison soll Girona mehr Geld verfügen, die genauen Zahlen werden aber erst gegen Ende Jahr publiziert.
Plötzlich tragen Kinder Girona-Shirts
Die anfänglichen Befürchtungen, wonach der immerhin seit 1930 existierende Club zu einer gesichtslosen Filiale von irgendwelchen Fussball-Imperialisten werden könnte, erwiesen sich als unbegründet. Im Gegenteil. «Vor zehn Jahren gab es in der ganzen Stadt keinen Laden, der unser Fussballtrikot verkaufte», sagt Präsident Geli, mittlerweile sieht er Kinder mit dem Shirt zur Schule gehen. Das in einer Zeit, in der immer mehr die Farben von Al-Nassr oder Inter Miami tragen – wobei die Farben eigentlich egal sind, Hauptsache der Name eines Superstars steht hinten drauf.
Hier aber passiert das Umgekehrte, die Fussballwelt beginnt sich immer mehr für Girona zu interessieren, viele finden heraus, dass es aufgrund katalanischer Aussprache «Schirona» heisst – und nicht «Chirona», wie es im Spanischen naheliegend wäre.
Vor allem aber in Girona, eigentlich eher als Velo-Mekka bekannt, wird die Verbundenheit mit dem Verein immer stärker. Obwohl die Heimstätte Montilivi mit knapp über 14’000 Plätzen das kleinste Stadion der Liga ist, gilt die Stimmung mittlerweile als hervorragend. Selbstverständlich ist das nicht, es gab eine Zeit, da gingen Vereinsvertreter von Haus zu Haus, um Passivmitglieder anzuwerben, damit der Club nicht in Konkurs geht.
Auch daran hat Trainer Michel seinen Anteil, nicht nur wegen seiner fachlichen Qualitäten. Der Madrilene begann bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren sofort Katalanisch zu lernen, für ihn bedeutet Sprache Integration. Offensichtlich hat das gut geklappt, bei jedem Heimspiel halten die Fans ein Plakat hoch, darauf steht «Michel Catalá». Er ist jetzt offiziell einer von ihnen.
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Bei aller Euphorie versuchen die Verantwortlichen fast schon verzweifelt, die Erwartungen zu dämpfen, das offizielle Ziel in der erst vierten Erstliga-Saison der Vereinsgeschichte heisst noch immer Ligaerhalt. Mit jedem Sieg rechnet Michel vor, dass sie der Referenzmarke von 42 Punkten ein Stück näher kommen: «Erst wenn wir das erreicht haben, überlegen wir uns neue Ziele.»
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