Geschlechtsoperationen bei MinderjährigenÄrzte schlagen wegen Brustamputationen Alarm – und werden zensiert
Immer mehr Mädchen wollen sich die Brüste amputieren lassen – manche sind noch keine 15 Jahre alt. Prominente Ärzte kritisieren das, doch Fachpublikationen wollen nichts davon hören.
Es sind deutliche Worte, welche die Ärzte wählen. «Verstört» habe ihn die Lektüre zweier Artikel zum Thema Transidentität, erschienen im «Swiss Medical Forum» (SMF), einer der wichtigsten Ärztezeitschriften der Schweiz. Das sagt der bekannte Endokrinologe Urs Eiholzer, Leiter des Pädiatrisch-Endokrinologischen Zentrums Zürich (PEZZ).
Im Gespräch schildert er den Grund für seine Verstörung. «Ich habe kein Problem mit der Geschlechterdiversität. Ich bin Kinderarzt. Mir geht es um die Kinder und Jugendlichen. Und in den besagten Artikeln werden diese mit Erwachsenen gleichgestellt. Ich bin zum Beispiel nicht der Meinung, dass man den Wunsch einer 12-Jährigen nach einer Geschlechtsumwandlung unwidersprochen hinnehmen darf.» Aus Eiholzers Sicht sind die Artikel eher als Meinungsbeitrag denn als wissenschaftliche Fachartikel zu verstehen.
Einseitige, unbewiesene, von Aktivisten beförderte Sichtweise
Ähnliches schrieb Eiholzer auch in einem dreiseitigen Brief an die SMF-Redaktion. Dort traf auch ein zweiter Leserbrief von prominenter Seite ein. Verfasst haben ihn der Genfer Kinderarzt Daniel Halperin und Jacques de Haller, ehemaliger FMH-Präsident. Unabhängig von Eiholzer fühlten sich die beiden Ärzte aus der Romandie ebenfalls genötigt, auf die Artikel im SMF zu reagieren. Auch sie sind entsetzt, auch sie sorgen sich um betroffene Kinder und Jugendliche und kritisieren, dass hier etwas als Wissenschaft verkauft werde, was tatsächlich eine «einseitige, unbewiesene, von Aktivisten beförderte Sichtweise» sei. Zudem versäume es die Zeitschrift, den vorliegenden Interessenkonflikt auszuweisen.
Die beiden besagten Artikel tragen den etwas sperrigen Titel «Von der Psychopathologisierung zum affirmativen Umgang mit Geschlechtervielfalt» beziehungsweise «Geschlechtsangleichende Behandlungsoptionen bei Menschen mit Geschlechtsinkongruenz». Verfasst haben sie ein Autorenteam rund um den Psychiater David Garcia Nuñez. Dieser leitet den «Innovations-Focus Geschlechtervarianz» an der Universität Basel und gehört zu den prominentesten Aushängeschildern der Trans-Szene.
Die kritisierten Artikel plädieren für den sogenannt «affirmativen Ansatz» bei der Behandlung von Gender-Dysphorie. Im Wesentlichen bedeutet das, den Fokus ganz auf die Selbstwahrnehmung der Patienten zu setzen und diese auch nicht zu hinterfragen. Die Betroffenen sollen auch ohne psychologische Abklärung möglichst schnell und unkompliziert Zugang zu medizinischen Behandlungsmethoden bekommen. Dazu gehören Pubertätsblocker, Cross-Sex-Hormone und Brustamputationen und andere chirurgische Eingriffe zur Geschlechtsumwandlung.
«Dass sich jemand irrt, kommt selten vor»
«Geschlechterinkongruenz», schreibt das Autorenteam um Nuñez, sei keine Krankheit, sondern ein «Gesundheitszustand». Für die entsprechende Diagnose brauche es keine psychologische Fachkompetenz. Jede medizinische Fachperson könne sie aufgrund der Selbstwahrnehmung des Patienten gefahrlos stellen. «Dass sich eine urteilsfähige Person in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität irrt, kommt – entgegen den oft formulierten Sorgen zu diesem Thema – sehr selten vor.»
Warum diese Aussagen für breite Kritik sorgen, zeigt sich angesichts der jüngst publizierten Zahlen des Bundesamts für Statistik: Die Nachfrage nach geschlechtsangleichenden Massnahmen ist in den letzten Jahren vor allem bei jungen Frauen geradezu explodiert. Bei den 15- bis 19-Jährigen verdreifachten sich zum Beispiel die Eingriffe, es gibt sogar noch jüngere Patientinnen. «Zwischen 2018 und 2021 wurden laut dem eidgenössischen statistischen Amt zehn Mädchen im Alter zwischen 10 und 14 Jahren die Brüste chirurgisch entfernt – es gibt dafür keine andere Indikation als die Genderdysphorie», schreibt Eiholzer. Die Frage ist, ob die Mädchen diesen Entscheid auch noch nach zehn Jahren richtig finden – oder den irreparablen Schritt als Erwachsene bereuen.
Mädchen haben oft auch andere psychische Probleme
Es ist diese Entwicklung hin zu immer jüngeren Patienten, die alle drei Ärzte beunruhigen. Denn diese Altersgruppe ist aus verschiedenen Gründen besonders verletzlich. Identitätssuche ist für Adoleszente ein wichtiges Thema, für das sie sich stark an Gleichaltrigen orientieren. Die markant gestiegene Nachfrage nach geschlechtsangleichenden Massnahmen habe bei dieser Altersgruppe auch mit «sozialer Ansteckung» zu tun, sagen kritische Experten, eine Auffassung, die Transaktivisten ablehnen. Gerade bei Mädchen mit Geschlechtsdysphorie zeigen sich zudem oft auch andere psychische Auffälligkeiten, Depressionen etwa oder Autismus. All das müsste dazu führen, dass sie besonders sorgfältig abgeklärt werden. Doch das ist nicht immer der Fall.
Warum es zur epidemischen Zunahme bei derart jungen Menschen kommt und ob es richtig ist, so früh so einschneidende und nicht umkehrbare Massnahmen vorzunehmen, wurde bislang noch nicht breit zur Diskussion gestellt.
Diskurs wäre dringend notwendig
Diesen Punkt betont auch Daniel Halperin im Gespräch. Er schildert eine verhängnisvolle Dynamik, die er als Kinderarzt schon länger beobachte. Vor einigen Jahren sei in Fortbildungen erstmals über diese Phänomene referiert worden. Man habe den Ärzten dort vermittelt, bei Jugendlichen, die sich in ihrer Haut nicht wohlfühlten, besser keine Zeit zu verlieren. Sie gehörten sofort zum Spezialisten, wo alles Nötige in die Wege geleitet würde. Dazu gehören laut Halperin auch nicht medizinische, von Aktivisten geführte Vereinigungen, die sie zu den entsprechenden Transformationen ermutigen.
«Es gibt auf diesem Gebiet viele Grauzonen und Risiken, die man genau anschauen muss», sagt Halperin. Die Hoffnung, den dringend notwendigen Diskurs in Gang zu bringen, sei auch der Grund für den Brief an die SMF-Redaktion gewesen.
Dazu kam es aber nicht. Zunächst wurde Halperin und de Haller mitgeteilt, der Brief sei für eine Veröffentlichung zu lang. Nachdem sie ihn Ende August gekürzt erneut eingereicht hatten, hörten sie zwei Monate nichts. Anfang Oktober kam dann der Bescheid, man werde den Brief nicht veröffentlichen: «Auch nach der Überarbeitung konzentriert sich der Artikel nicht ausreichend auf die rein wissenschaftlichen Aspekte», heisst es in der Antwort. Das habe die Redaktion nach gemeinsamer Diskussion beschlossen. Dies ist bemerkenswert. Nicht nur verweisen de Haller und Halperin in zahlreichen Fussnoten auf wissenschaftliche Artikel zu diesem Themenkomplex, die den Stand der gegenwärtigen Diskussion abdecken. Vielmehr wollten sie mit ihrem Beitrag der Einseitigkeit und fehlenden Wissenschaftlichkeit der Originalartikel etwas entgegensetzen.
Brustamputation bei unter 15-Jährigen
Die Medizin ist keine exakte, sondern eine Erfahrungswissenschaft. Deshalb ist sie gerade bei neuen, noch weitgehend unerforschten Behandlungsansätzen auf den Erfahrungsaustausch der behandelnden Ärzte angewiesen. Die Orte für solche Auseinandersetzungen sind in der Regel wissenschaftliche Fachzeitschriften, wie auch das «Swiss Medical Forum» eigentlich eine wäre.
Beim Thema Transgender scheint kritische Auseinandersetzung jedoch unerwünscht. «Für mich ist nicht akzeptabel, dass man Wissenschaft nicht diskutieren kann», so de Haller. «Ich habe nichts dagegen, dass Nuñez seine Meinung äussert. Aber es ist nicht die einzig mögliche Meinung. Jedes Jahr werden Mädchen die Brüste amputiert, die noch keine 15 Jahre alt sind. Das gehört zur Diskussion gestellt.»
Auch der dritte Leserbriefschreiber Urs Eiholzer sagt: «Es geht um eine Frage von hoher politischer Relevanz, welche zurzeit von der Gesellschaft völlig unkontrolliert, von sogenannten Fachleuten dominiert wird, ohne dass die Politik und die Öffentlichkeit wirklich auf die Problematik aufmerksam geworden sind.» Er verweist zudem auf den fehlenden wissenschaftlichen Ansatz der kritisierten Artikel, die zwar als «Peer reviewt» ausgegeben würden, aber ganz offensichtlich keine kritische Lektüre erfahren hätten.
Ganz anders sieht man das beim SMF. Der Artikel habe einen «klar strukturierten Peer-Review-Prozess» durchlaufen und sei anschliessend in der Redaktion besprochen und akzeptiert worden. Auf Nachfrage, wer den Artikel geprüft habe und ob dabei auch genderkritische Stimmen beigezogen worden seien, gibt man keine Auskunft.
«Unsere Gesellschaft steht auch in der Geschlechterfrage vor einer nie da gewesenen Herausforderung», sagt Eiholzer. Nach langem Hin und Her hatte das SMF ihm im August zugesichert, eine gekürzte Version seines Briefes zu publizieren. Er wartet immer noch.
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