Wegen mangelnden Impfwillens«Rekrutierungsfehler»: Genfer Gesundheitsdirektor provoziert Pflegende
Pflegerinnen und Pfleger, die sich nicht gegen Covid impfen liessen, seien verantwortungslos, sagt Mauro Poggia. Die Betroffenen reagieren empört.
Die Kritik an Pflegerinnen und Pflegern, die sich nicht gegen Covid-19 impfen lassen, nimmt zu. Besonders scharf äusserte sich diese Woche der Genfer Gesundheitsdirektor Mauro Poggia. Auf Facebook und Twitter bezeichnete er die impfunwilligen Pflegenden als «erreur de casting» – als Castingfehler oder Fehlbesetzung also.
Poggias Wortwahl löste in den sozialen Medien viele Reaktionen aus. Die Provokation sei gezielt erfolgt, sagt Poggia auf Nachfrage. «Wir brauchen diese Debatte jetzt.» Aus seiner Sicht verhalten sich Pflegende, die sich nicht impfen lassen, verantwortungslos.
Eine Impfpflicht für die Branche fordert Poggia nicht. Aber er plädiert dafür, dass ungeimpftes Pflegepersonal nur Aufgaben ohne Patientenkontakt übernehmen darf. Impfen sei eine freie Entscheidung, sagt er, aber die Freiheit der Pflegenden stehe nicht über der Gesundheit und dem Leben von Patientinnen und Patienten.
Auch Gesundheitsminister Alain Berset hat sich jüngst kritisch geäussert. «Es scheint, dass sich ein beträchtlicher Teil des Personals der Heime oder auch der Spitex nicht impfen lassen will», sagte er in einem Interview mit der NZZ. «Das gefährdet ältere Menschen, sogar diejenigen, die geimpft sind, weil der Impfschutz nie hundertprozentig wirkt. Das darf nicht sein.»
Unfairer Fokus
Beim Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner kommen solche Vorwürfe schlecht an. «Natürlich hoffen wir, dass sich möglichst viele impfen lassen», sagt Roswitha Koch, Leiterin der Abteilung Pflegeentwicklung. Das Pflegepersonal anzuprangern, sei aber unfair: «Ausgerechnet das Pflegepersonal, das in den letzten Monaten alles gegeben hat.» Man könnte auch auf den Fussballverband Uefa und die vollen Stadien fokussieren oder auf die Verbreitung von Covid durch den Tourismus, findet Koch.
Sie ist überzeugt, dass Druck nichts bringt, gar kontraproduktiv sein könnte. Stattdessen brauche es Aufklärung. Das Ziel müsse sein, die Unentschlossenen zu erreichen, sagt sie. Und das gelinge mit Überzeugungsarbeit durchaus: «Immer mehr Pflegende lassen sich impfen. Die Quote ist nicht schlecht.» Ähnlich argumentieren die Verbände der Alters- und Pflegeinstitutionen, Curaviva und Senesuisse. Die Impfbereitschaft des Pflegepersonals sei keine starre Grösse. Sie entwickle sich weiter.
Impfpotenzial fast ausgeschöpft
Verlässliche Zahlen dazu gibt es nicht. Untersucht wird lediglich die Impfbereitschaft der gesamten Bevölkerung. Zwar ist diese von März bis Juli gestiegen, wie der neue Corona-Monitor der SRG zeigt: von 54 auf 63 Prozent. Das Potenzial ist inzwischen aber fast ausgeschöpft, da 60 Prozent der Befragten bereits mindestens eine Impfung erhalten haben. Rund ein Viertel will sich grundsätzlich nicht impfen lassen.
Zahlen aus einzelnen Spitälern und Heimen deuten darauf hin, dass die Impfquote beim Pflegepersonal tiefer ist als in der übrigen Bevölkerung. Im Genfer Universitätsspital haben sich laut Poggia bisher nur zwischen 40 und 45 Prozent der Pflegenden impfen lassen. In der Deutschschweiz dürfte die Quote zum Teil noch niedriger sein, vermutet der Genfer Gesundheitsdirektor.
Das erfüllt viele mit Sorge. Eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal findet einzig in der italienischsprachigen Schweiz eine Mehrheit. Gesamtschweizerisch sprachen sich in der Sotomo-Befragung aber immerhin 46 Prozent dafür aus. Die Frage müsste im Grunde anders lauten, sagt Poggia: «Wollen Sie riskieren, dass Pflegende Ihre Eltern anstecken?»
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