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Einen wie ihn hat die Welt noch nicht gesehen

Keine Beschützer mehr, sondern nur noch Gegner: Baltimores Lamar Jackson (Mitte). Foto: Getty Images
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Das hat die Welt noch nicht gesehen! Mit diesem Satz vermarkten sie im Profisport gerne jede frische Attraktion, damit die Leute Tickets kaufen oder den Fernseher einschalten, wenn dieses sportliche Phänomen zu bestaunen ist. In der US-Footballliga NFL ist das derzeit Lamar Jackson, 22-jähriger Spielmacher der Baltimore Ravens. Beim 20:17-Sieg im Spitzenspiel gegen die San Francisco 49ers zeigte er, dass er eine Partie auch dann prägen kann, wenn er nicht seinen besten Tag hat. Oder: Er konnte zeigen, warum er so einzigartig ist, gerade weil er nicht allzu berauschend gespielt hatte.

Es regnete und stürmte in Baltimore, sicher keine idealen Bedingungen für Pässe. «Ihr habt die Bälle gesehen: Schrecklich war das», sagte Jackson danach. «Ich war völlig daneben und habe dauernd in den Rücken der Receiver geworfen.» Nur 14 seiner Pässe kamen bei den Mitspielern an, für einen Raum­gewinn von gerade einmal 105 Yards. Allerdings erlief Jackson 101 Yards, erreichte einmal die gegnerische Endzone, setzte bei einem Spielzug den Gegenspieler mit einer Das-hat-die-Welt-noch-nicht-gesehen-Körpertäuschung auf den Hosenboden und ermöglichte mit einem erfolgreichen Lauf kurz vor Schluss das siegbringende Field Goal durch Justin Tucker.

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Ruf als Doppelbedrohung

Die Ravens haben mittlerweile acht Partien nacheinander gewonnen, unter anderem gegen die Titelfavoriten San Francisco 49ers, New England Patriots und Seattle Seahawks. Sie haben derzeit die beste Bilanz der Liga (10 Siege/2 Niederlagen) und könnten angesichts des einfach scheinenden Restprogramms während des kompletten Playoffs Heimrecht geniessen. Jackson hat bislang 977 Yards Raumgewinn erlaufen und dürfte den Quarterback-Rekord von Michael Vick aus dem Jahr 2006 (1039 Yards) brechen. Neben Russell Wilson (Seahawks) und Patrick Mahomes (Kansas City Chiefs) ist er der Favorit auf die Auszeichnung zum wertvollsten Spieler (MVP) der Qualifikation.

Jackson ist ein sogenannter «Dual-Threat-Quarterback», eine doppelte Bedrohung, weil er sowohl werfen als auch laufen kann. Die Ravens können Spielzüge anwenden, die unter dem Begriff «Option» zusammengefasst sind und bei denen der Spielmacher erst kurzfristig entscheidet, was passieren wird: Er täuscht zum Beispiel eine Übergabe an einen Laufspieler an und lockt die gegnerischen Verteidiger so in die Mitte des Spielfelds, er selbst läuft mit dem Ball jedoch in Richtung Seitenlinie. Er kann nun entweder abspielen auf einen zweiten Läufer, nach vorne passen – oder selbst laufen. Das sieht dann bei Jackson aus wie in den unvergessenen Bud-Spencer-Terence-Hill-Western, wenn der flinke Hill all die Bösewichte ins Leere rennen lässt.

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Die konsequente Umsetzung der legendären Jürgen-Klinsmann-Regel («Ich habe keine Ahnung, was ich machen werde – der Gegner aber auch nicht») ist somit eine mehrfache Bedrohung, die stabile Ravens-Offensivlinie beschützt ihren Spielmacher und stellt die gegnerische Defensive (die der 49ers gilt als die beste der Liga) vor kaum lösbare Rätsel. Es ist spektakulär und erfolgreich, und es verwundert nicht, dass auch die beiden anderen MVP-Kandidaten Wilson und Mahomes Dual-Threat-Quarterbacks sind. Diese Spielweise ist jedoch sehr gefährlich.

Wie von der Faust getroffen

Das liegt daran, dass der Quarterback beim Verlassen des protegierten Bereichs kaum noch Beschützer vor sich hat (die Mitspieler wissen ja auch nicht immer, was passieren wird) und beim Überschreiten der Angriffslinie zum Laufspieler mit Sonderrechten wird (er kann freiwillig zu Boden). Die Verteidiger aber können ihn, sollte er denn nicht freiwillig zu Boden gehen, wie jeden anderen Spieler umreissen. Die 49ers haben genau das immer wieder getan, und ein paarmal wirkte Jackson danach wie von der Bud-Spencer-Faust getroffen.

Die Verletzungsgefahr ist immens, und wer wissen will, was das für Folgen haben kann, sollte diesen Spielzug der Ravens bei der Partie gegen die Cincinnati Bengals vor ein paar Wochen sehen: Jackson täuschte eine Übergabe an einen Laufspieler an, lief mit dem Ball jedoch in Richtung Seitenlinie und gab dann ab auf den zweiten Läufer: Robert Griffin. Ja, den Robert Griffin.

Lamar Jackson im Spiel gegen die Cincinnati Bengals. (Bild: Rob Leiter/Getty Images)

Es ist nämlich mitnichten so, dass die Welt einen wie Jackson noch nicht gesehen hat. Randall Cunningham, Donovan McNabb und Michael Vick waren vor mehr als 15 Jahren die ersten Exemplare, in diesem Jahrzehnt gab es dann Colin Kaepernick, Cam Newton – und eben Griffin. Dessen Karriere als Stamm-Quarterback ist aufgrund zahlreicher Verletzungen nach schlimmen Kollisionen aber wohl vorbei, er ist nun Ersatzmann von Jackson und wird nur sporadisch eingesetzt. Derzeit ist auch Newton schwer verletzt; Kaepernick bekommt nicht nur wegen seiner Proteste beim Abspielen der Nationalhymne keinen Vertrag mehr, sondern auch deshalb, weil er mit 32 Jahren nicht mehr so beweglich sein dürfte wie einst.

Erst als Nummer 32 gewählt

Wer sich fragt, warum ein einzigartiger Athlet wie Jackson beim Draft, der Talentbörse, im vergangenen Jahr erst an 32. Stelle gewählt worden ist, der landet bei den berühmten Vorgängern, deren Karrieren aufgrund schwerer Verletzungen wegen dieser riskanten Spielweise drastisch verkürzt worden sind. Langfristig erfolgreich sind jene, die ihre Spielweise umstellen – die also seltener nach vorne stürmen und ihre Beweglichkeit vielmehr dazu nutzen, den Verteidigern hinter der Angriffslinie auszuweichen und so den Passempfängern mehr Zeit zum Freilaufen zu geben. Wilson hat sich dazu entwickelt, Anfang Woche lief er beim 37:30-Sieg der Seahawks im anderen aktuellen Spitzenspiel gegen Minnesota nur vier Mal und legte sich jeweils vor der Kollision auf den Rasen.

 Meistens nur mit Helm zu sehen: der 22-jährige Quarterback Lamar Jackson. (Bild: Patrick Smith/Getty Images)

Bleibt die Frage, ob sich Jackson ebenfalls anpassen wird. «Ich kümmere mich ausschliesslich um diese Saison und die Chance, den Titel zu gewinnen», sagt Jackson. Das ist ein Satz, den die Welt schon häufiger gehört hat. Die NFL ist ja nicht bekannt dafür, sich intensiv mit langfristigen Folgen dieser gefährlichen Sportart zu beschäftigen, sie fördert Spektakel in der Gegenwart. Allerdings hat sie die Regeln dahingehend geändert, dass die Stars geschützt werden – Jackson soll möglichst lange jemand bleiben, den die Welt noch nicht gesehen hat.

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