GC-Trainer SchällibaumMit Feuer will er GC aus der Krise führen
Im Schweizer Fussball gehört der 62-Jährige längst zum Inventar – in Zürich ist er ab sofort der Hoffnungsträger.
Um 5 Uhr steht Marco Schällibaum am Mittwoch in seinem Hotelzimmer auf. Er hat einen langen Tag vor sich, vor allem einen besonderen Tag. Als er zum Campus fährt, draussen in Niederhasli, bekommt er Hühnerhaut. «Oh», realisiert er, «jetzt bin ich bei GC!»
GC hat über die letzten zwanzig Jahre viel verloren, vor allem an Ansehen und Glaubwürdigkeit. Für Schällibaum ändert das nichts daran, was ihm diese zwei Buchstaben bedeuten: tiefe Verbundenheit mit seiner Herkunft als Spieler. Dass er jetzt, bald 39 Jahre nach seinem Abschied, als Trainer zurück ist, das nennt er «Herzensangelegenheit».
Das mag pathetisch tönen, passt aber zu einem Menschen, der das, was er macht, immer mit Leidenschaft füllt. «Wenn du etwas liebst, musst du auch Leidenschaft haben», sagt er, «und das vermittle ich. Ich bringe dieses Feuer mit.» GC kann im Moment ganz viel davon gebrauchen.
Schällibaum ist seit diesem Mittwoch eben nicht bloss der Nachfolger von Bruno Berner. Er ist mehr. Er ist der Nothelfer in einer Situation, die zusehends ausser Kontrolle geraten ist. Nach zuletzt vierzehn Spielen mit nur zwei Siegen droht GC der Gang in die Barrage. Schällibaum zählt die Realität auf: 30 Punkte nach 31 Spielen, 6 Punkte Rückstand auf einen Nicht-Abstiegsplatz. Wenigstens eines will er in diesem Moment versprechen: «Dass wir mit Herz spielen.»
«Dä Schälli» in der Schublade
62 ist er am vergangenen Samstag geworden, alt genug, um zum Inventar des Schweizer Fussballs zu gehören. Er ist «dä Schälli», der sich leicht in eine Schublade stecken lässt, weil er ist, wie er ist: ungekünstelt und unverstellt. Auch er redet gerne, aber nie mit der Absicht, sich selbst gerne reden zu hören. Natürlich ist er der Trainer, der an der Seitenlinie reizbar ist, wenn ihm etwas nicht passt, ob vom Schiedsrichter oder von der eigenen Mannschaft. Er hat den Ruf, ein Vulkan zu sein.
In Yverdon war er im letzten Oktober einmal zu wild, gegen Winterthur sah er die Rote Karte, und die amerikanische Führung hatte den Grund gefunden, ihn freizustellen, obschon er glänzende Arbeit geleistet hatte. Vier Spiele wurde er dafür von der Liga gesperrt. Die Sperre ist abgesessen, weil er von Yverdon weiter bezahlt wurde.
«Ich bin kein Sonnyboy mit Krawatte», hat er dieser Redaktion auch schon gesagt, «ich bin halt ein Wilder, ein transparenter Mensch und Trainer – mit Ecken und Kanten.» In Seebach aufgewachsen, als Zehnjähriger zu GC gekommen, 1982, 1983 und 1984 Meister mit den Grasshoppers, an der Seite von Berbig, Egli, Koller, Jara, Ponte, Hermann oder Sulser. Grosse Zeiten waren das, als ein Hennes Weisweiler noch im Hardturm das Sagen hatte. 1985 startete Schällibaum seine Wanderschaft, die fast etwas Rastloses an sich hat. Das liegt daran, dass er heute bei seiner 16. Station als Trainer ist.
Er hat ein Leben gelebt für den Fussball, geprägt von Erfolgen und Brüchen, von Enttäuschungen und Begeisterung. Im Januar 1995 begann er seine Arbeit als Trainer in Nyon. Das ist auch schon 29 Jahre her. Er ist mit YB, Servette und Bellinzona aufgestiegen; hat mit Montreal den Cup gewonnen, mit Servette einen Konkurs erlebt und in Basel die Enttäuschung, dass er ohne Erklärung des Vereins als U-21-Coach entlassen wurde; und immer wieder ist er arbeitslos gewesen, einmal ein ganzes Jahr lang.
In all dieser Zeit hat ihn immer ausgemacht, dass er sich für nichts zu schade ist. Nach dem Rauswurf in Genf ging er acht Monate später zu Concordia Basel. Nach Sion machte er in Schaffhausen weiter, nach Montreal in Chiasso, nach Aarau im Basler Nachwuchs. Er hat eben nie am Morgen aufstehen können, ohne ein Ziel zu haben. Mit dem E-Bike fährt er zwar gerne Hügel hoch. Aber auf Dauer ist das kein Ersatz für die Arbeit im Fussball.
Ein Leben voller «Challenges»
Als er Ende letzten Jahres Bilanz zieht, sieht er seine Lage mit Respekt. «Wer nimmt schon einen alten Sack wie mich?», fragt er sich. Er weiss, der nächste Sommer und der letzte Lohn von Yverdon sind schnell da. Kaum gesagt, macht er sich allerdings selbst wieder stark: «Ein Verein, der aufsteigen will, sollte mich anrufen.» Es ist dann GC geworden, das ihn am vergangenen Freitag angerufen hat. Aus der Dauer des Vertrags wird bei GC ein kleines Staatsgeheimnis gemacht. Er läuft vermutlich bis 2025.
Herausforderungen hat Schällibaum viele gehabt in seinem Leben, die grösste 1996, als sein Sohn im Alter von zehn Monaten starb. Ein Jahr stand er komplett neben sich. Der Schmerz des Verlusts wirkt bis heute nach, aber Schällibaum hat gelernt, damit umzugehen. Dabei hat ihm der Fussball geholfen.
Es gehört zu seiner Art, «Challenges», wie er das selbst nennt, nicht zu scheuen. Die Young Boys dümpelten im September 1999 am Tabellenende der Nationalliga B und zahlten über Monate keine Gehälter, als er sie übernahm. Auch in Aarau war die Lage kritisch oder in Chiasso. Aber gerade in Bern hatte er eine «Mammutaufgabe» zu bewältigen. Die Geschichte bekam ihre positive Note mit dem Aufstieg 2001.
Man muss mutig sein, ist ein Satz von Schällibaum an diesem Mittwoch. Mutig sein, «das gehört zum Leben». Und es gehört zu ihm als Trainer. «Mit zehn Mann» das eigene Tor zu verteidigen, entspricht nicht seiner Philosophie. Er will «nach vorne gehen», auf und neben dem Platz. «Sonst gewinnt man nicht.» Mit dem Aussenseiter-Fussball von Berner hat GC jedenfalls nicht viel gewonnen.
Die neuen Verantwortlichen Harald Gärtner und Stephan Schwarz haben zumindest ihre Hausaufgaben so gut gemacht, dass sie einen Trainer verpflichtet haben, der den Schweizer Fussball in- und auswendig kennt. Alles andere wäre auch fahrlässig gewesen.
Spieler sollen Helden werden
Am Mittwoch sieht der Neue erstmals seine Spieler im Training. Er schaut ihnen in die Augen und will dabei erkennen, dass ihnen die Situation nicht egal ist, dass sie wissen, in der Bringschuld gegenüber dem Verein und den Anhängern zu sein. Die Zeit bis zum ersten Spiel am Samstag ist zu knapp, um gleich mit jedem eine Stunde zu reden. Er will sich vorerst auf den Kontakt mit den Wortführern um Amir Abrashi konzentrieren, auf diesen Abrashi «mit einem Herz, so gross wie der Campus», sagt Schällibaum.
Um solche Sachen geht es ihm viel an diesem Tag, um Herz und Leidenschaft, um Demut und Charakter, um Werte also, die er in seiner Jugend bei GC mit auf den Weg bekommen und bis heute nicht vergessen hat. Und noch etwas hat er damals gelernt: erfolgsorientiert zu sein. Erfolg braucht der Club, um die Identität zurückzugewinnen, die er längst verloren hat – ein Club, der nicht einmal mehr Mittelmass ist, sondern an einen Sonderfall erinnert.
Lugano und Servette heissen die letzten Gegner, bevor die fünf Spiele in der Abstiegsrunde folgen. «Alles Finalspiele», stellt Schällibaum klar. Ob am Ende der Weg zum Ligaerhalt über die Barrage führt, interessiert ihn nicht. Das sind für ihn Zukunftsfragen. Wichtiger ist ihm die Botschaft, die er an die Spieler hat: «Wenn ihr aus dieser Situation herauskommt, könnt ihr Helden werden.» Es ist alles immer eine Frage der Perspektive.
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