Designer in Film und FernsehenGalliano und andere Stoffe für das grosse Modedrama
John Galliano ist das gefeierte Enfant terrible, bis er untragbar wird. «High & Low» erzählt seine Geschichte – eines von mehreren neu verfilmten Porträts.
Er war das Wunderkind der Modeszene. Klar, ein Exzentriker sondergleichen – aber das nahm man hin, weil seine Kreationen derart ausserordentlich waren. Supermodels wie Kate Moss und Naomi Campbell vergötterten ihn und liefen sogar unentgeltlich bei seinen Fashionshows mit.
Diese waren mehr Spektakel als Modeschau, und John Galliano – Meister der Selbstinszenierung – schlüpfte am Ende der Show auch mal in ein Napoleonkostüm oder in einen Astronautenanzug, um den tosenden Applaus entgegenzunehmen. Galliano war der unbestritten grösste Modedesigner der 90er- und 2000er-Jahre und krönte seinen Erfolg mit dem begehrten Posten als Kreativdirektor beim französischen Modehaus Christian Dior.
Doch dann findet seine Karriere 2011 ein jähes Ende, als er dabei gefilmt wird, wie er im Suff in einer Bar antisemitische Hasstiraden hält. Galliano ist so was wie der erste Star, der gecancelt wird, und verschwindet in der Versenkung.
Zwischen Genie und Wahnsinn
Im Dokumentarfilm «High & Low – John Galliano» zeichnet der schottische Regisseur Kevin MacDonald («One Day») den Aufstieg und Fall des berühmten Modeschöpfers nach. Es geht um Galliano, der gemeingefährlich zwischen Genie und Wahnsinn tänzelt – aber auch um die Spannungen in der Modeindustrie, die ein solches Verhalten erst zuliess, wenn nicht sogar förderte.
Diese verrückte Welt, in der der Designer mit einer von Obdachlosen inspirierten Kollektion auch einmal Proteste auslöste, sorgt für Faszination. Das zeigt nicht nur der Dokumentarfilm über Galliano, sondern eine ganze Reihe von Modefilmen und -serien, die kürzlich erschienen sind. Da wäre die Serie «Cristóbal Balenciaga» (Disney+), die vom gleichnamigen spanischen Couturier handelt, der versucht, in Paris Fuss zu fassen, und für seine extravaganten Designs von den mondänen Französinnen zunächst belächelt wird.
Oder der Zehnteiler «The New Look» (Apple TV+) über die Geschichte von Christian Dior und Coco Chanel. Und da kommt noch mehr: Im Sommer wird die Miniserie «Becoming Karl Lagerfeld» (Disney+) veröffentlicht, in der Daniel Brühl den langjährigen Chanel-Chefdesigner spielt. Auch ein Biopic über den britischen Designer Alexander McQueen ist in Arbeit.
Denn die Geschichte der stilprägenden Modetalente bietet vor allem: grosses Dramapotenzial. So sehen sich sowohl Balenciaga als auch Dior in den jeweiligen Serien mit dem Problem konfrontiert, im von den Deutschen besetzten Frankreich Mode zu schaffen. Kollegin Coco Chanel macht derweil vermutlich gemeinsame Sache mit den Nazis.
Alles wird zur Obsession
Und auch Gallianos Geschichte bietet Erzählstoff. In einfachen Verhältnissen in Gibraltar aufgewachsen, merkt er schon früh, dass er schwul ist. Von dieser Erkenntnis und seinem gewalttätigen Vater geplagt, flüchtet er in die Welt der Mode und schafft es bis an die weltweit renommierteste Modeschule Central Saint Martin in London.
Mit seinen Designs zieht er bald schon nicht nur die Aufmerksamkeit von «Vogue»-Chefin Anna Wintour auf sich, sondern auch die von Bernard Arnault. Der Chef des Luxuskonglomerats LVMH und aktuell reichste Mensch der Welt bietet Galliano die Stelle als Chefdesigner bei Givenchy an; 1996 ernennt er ihn zum Kreativdirektor von Dior.
Doch so beispiellos Gallianos Aufstieg in der Modewelt tönt, so kämpft er vor allem mit seinen inneren Dämonen. Galliano trinkt bis zur Besinnungslosigkeit, nimmt verschreibungspflichtige Medikamente. Als sein Vater stirbt, muss Galliano nach der Beerdigung sofort wieder zurück zur Arbeit, am nächsten Tag ist schliesslich wieder eine Fashionshow. Zeitweise ist das Ausnahmetalent für 32 Modekollektionen im Jahr verantwortlich. Die Versuche des Designers, einen gesunden Ausgleich zur Arbeit zu suchen, scheitern kläglich. Er geht ins Fitnessstudio – doch wie alles in seinem Leben wird auch das zur Obsession.
«Es war zu viel – wie kann man die ganze Zeit kreativ sein und trotzdem gesund bleiben?», fragt Galliano in «High & Low – John Galliano». Es ist das, was den Film von anderen Produktionen über grosse Modeschöpfer abhebt: John Galliano kommt selbst zu Wort und reflektiert in Interviews über sein Leben. «Ich war dabei, Selbstmord zu begehen – ganz langsam. Ich wollte einfach nur für immer schlafen.»
So ehrlich und verletzlich Galliano in solchen Momenten wirkt, so entfremdend ist es dann auch wieder, wenn er sich nicht mehr daran erinnern mag, wie oft er in seiner Pariser Stammbar wildfremde Menschen rassistisch beschimpfte. Oder wieso er das tat.
Entzauberung der Modeschöpfer
Dennoch bezeichnet sich Galliano heute als geläutert – er sei clean und nüchtern – und sucht nach Vergebung. Dass er in dem Dokumentarfilm mitgemacht hat, verwunderte selbst Regisseur Kevin MacDonald. Denn er wolle Galliano nicht rehabilitieren, sagt er im Gespräch am letzten Zurich Film Festival. «Es ist keine heldenhafte Story eines Genies, das ausbrennt.» Vielmehr gehe es dem Regisseur darum, die Frage zu stellen, was passiert, nachdem man gecancelt wird. Und ob einem verziehen werden sollte – und falls ja, auf welche Art.
«Die meisten Filme haben drei Akte», sagt MacDonald: Exposition, Konfrontation und Auflösung. «Das Spannende ist, dass Galliano einen vierten Akt hat. Er sollte sterben, aber er tut es nicht – und muss dann mit den Konsequenzen seiner Taten leben.»
Darin liegt wohl die Anziehungskraft dieser Porträts. Die Mode der Designer steht für Schönheit und Eleganz – doch hier werden wir auch mit ihren Abgründen konfrontiert. Das entzaubert, doch es entsteht auch Zwiespältigkeit angesichts der Tatsache, dass Künstler wie Galliano, deren Kleider Modefans auch heute noch begeistern, eine aussterbende Spezies sind. Es ist eine Magie, die heutige Designer in Zeiten von Fast Fashion, Kommerzialisierung und dem ständigen Wunsch, viral zu gehen, kaum mehr hinbringen.
Bewiesen hat dies John Galliano selbst, der an der Met Gala vor bald zwei Wochen der heimliche Star des Abends war. Kim Kardashian, Bad Bunny, Gwendoline Christie – sie alle waren von Galliano eingekleidet. Schauspielerin und Co-Vorsitzende Zendaya trug sogar gleich zwei seiner Werke. Eines, das Galliano nun als Kreativdirektor bei Maison Margiela designt hat, das aber eigentlich auf einem Entwurf von 1999 aus seiner Zeit bei Dior basiert. Und ein Vintage-Modell von Givenchy by John Galliano aus dem Jahr 1996.
Die «Süddeutsche Zeitung» nannte den Briten gar den «Designer der Stunde». So viel Galliano habe es selbst zu seinen besten Zeiten bei Dior nicht gegeben. Das Enfant terrible scheint trotz allem sogar einen fünften Akt zu haben.
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«High & Low – John Galliano», seit dem 16. Mai in den Kinos.
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