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GA und Vignette in Gefahr

Im Szenario für den Strassenverkehr ersetzte eine distanzabhängige Kilometerabgabe die zweckgebundenen Mineralölsteuern, die Autobahnvignette und die Motorfahrzeugsteuer. Foto: Keystone
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Müssen Zugpendler künftig auf ihr GA verzichten? Und Autofahrer mehr bezahlen, wenn sie zu Stosszeiten auf stark frequentierten Routen unterwegs sind? Soll es für all jene günstiger kommen, die sich zu Randzeiten auf Nebenstrecken fortbewegen?

Die Politik diskutiert seit Jahren über Mobility-Pricing, ein Verkehrssystem mit räumlich und zeitlich variierenden Preisen. Weitgehend erfolglos. Am Freitag – und das ist die vielleicht wichtigste Nachricht – hat der Bundesrat beschlossen, das Projekt weiterzuverfolgen.

Hoffnung schöpft die Regierung aus einem Pilotversuch im Kanton Zug. Dieser zeigt: Dank Mobility-Pricing kann der Autoverkehr in den Spitzenstunden, also zwischen 7 und 9 Uhr morgens und 17 und 19 Uhr abends, um 9 bis 12 Prozent sinken, im öffentlichen Verkehr sind es 5 bis 9 Prozent. Damit bestätigen sich die Informationen, welche diese Zeitung im letzten März publik gemacht hat. Der Versuch hat indes einen Haken: Er basiert allein auf ausgeklügelten Rechenmodellen. Kritiker bezweifeln, dass sich das Verhalten der Verkehrsteilnehmer auf dem Papier eruieren lasse.

Die Annahmen für die Simulation lauteten wie folgt: Für den Strassenverkehr ersetzte eine distanzabhängige Kilometerabgabe die zweckgebundenen Mineralölsteuern, die Autobahnvignette und die Motorfahrzeugsteuer. Beim öffentlichen Verkehr kamen neben fahrleistungsabhängigen Tarifen zeitlich differenzierte Preise dazu, dies für den engeren Kreis der Stadt und Agglomeration Zug.

Die Kilometertarife zu Spitzenzeiten fielen dabei höher aus als zu den Randzeiten. Um wie viel, schreibt der Bundesrat nicht. Die Preise waren offenbar so bemessen, dass die Verkehrsteilnehmer insgesamt nicht stärker belastet wurden als heute – ein zentraler Punkt mit Blick auf die Frage, ob Mobility-Pricing politisch je Akzeptanz finden wird.

Wende des Bundesrats

Das Fazit des Bundesrats: Mobility-Pricing kann einen «wesentlichen Beitrag zum Glätten von Verkehrsspitzen in stark belasteten Agglomerationen» leisten. Eine wirksame Medizin gegen Stau und verstopfte Züge zu finden, war bislang denn auch das erklärte Ziel der Landesregierung. Nun aber plant der Bundesrat, mit Mobility-Pricing auch die Finanzierung von Strasse und Schiene langfristig zu sichern. Er tut also exakt das, was er 2017 noch ausgeschlossen hatte.

Der Grund für diese Neuausrichtung: Es gibt immer mehr Elektroautos und andere Fahrzeuge mit alternativem Antrieb, dadurch sinken die Erträge aus den Mineralölsteuern, ein Standbein für die Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur droht damit über kurz oder lang wegzubrechen. Dies umso mehr, als der Trend weg von Diesel und Benzin gehen muss, wenn die Schweiz ihre Klimaziele erreichen will.

«Inhaber von ÖV-Abonnementen, welche während der Stosszeiten reisen oder pendeln, zahlen mehr, die übrigen tendenziell weniger.»

Uvek Faktenblatt

Auch die ÖV-Benutzer werden den Systemwechsel zu spüren bekommen: Beim GA wäre die künftige Ausgestaltung zu «prüfen», wie das Uvek in einem gestern veröffentlichten Faktenblatt festhält. Darin steht zwar, dass die ÖV-Benutzer – wie auch die Autofahrer – künftig insgesamt nicht mehr bezahlen sollen, aber: «Inhaber von ÖV-Abonnementen, welche während der Stosszeiten reisen oder pendeln, zahlen mehr, die übrigen tendenziell weniger.»

Komplexe Aufgabe

Das Verkehrsdepartement Uvek sowie das Finanzdepartement arbeiten nun ein Umsetzungskonzept aus. Das Uvek soll zusätzlich eine Vorlage für reale Pilotversuche mit Mobility-Pricing vorbereiten. Die Aufgabe istäusserst komplex. Allein schon eine Testregion zu finden, dürfte schwierig werden. Bereits 2016 ist ein Versuch gescheitert. Es stellen sich zudem knifflige Abgrenzungsfragen, da Bund, Kantone und Gemeinden ebenso involviert sind wie die ÖV-Anbieter. Um nur zwei Beispiele herauszupflücken: Die Motorfahrzeugsteuer, die abgeschafft werden soll, ist in kantonaler Hoheit, auch die ÖV-Tarifgestaltung kann der Bund nicht selber vornehmen.

Hinzu kommt eine soziale Komponente: Schafft Mobility-Pricing ein Zweiklassensystem? Das Uvek spricht in einem gestern veröffentlichten Faktenblatt von «unerwünschten Verteilungswirkungen», die sich «nicht ganz ausschliessen» lassen. Menschen mit tiefen Einkommen könnten aufgrund ihres Berufs bei den Arbeitszeiten oft weniger flexibel sein als andere Haushalte, so das Uvek. Sie könnten daher dem Spitzenzeitentarif weniger gut ausweichen mit einer zeitlichen Verlegung ihrer Fahrt. Um Abhilfe zu schaffen, brauche es Ausgleichsmassnahmen – welche, lässt das Uvek offen.

Angst vor reinem Roadpricing

Der Vorschlag des Bundesrats löst gemischte Reaktionen aus. Der Tenor: Man ist froh, dass das Projekt weiterläuft. Wie, darüber gehen die Meinungen allerdings auseinander. Bürgerliche befürchten, dass am Ende der Übung ein reines Roadpricing steht, das nur die Autofahrer trifft. «Die Pilotversuche müssen zwingendauch den öffentlichen Verkehr miteinbeziehen», sagt FDP-Ständerat Thierry Burkart. Für den Grünen-Nationalrat Michael Töngi dagegen hat bei Mobility-Pricing Priorität, den Verkehr auf eine fossilfreie Mobilität zu verlagern.

«Ich freue mich, dass der Bundesrat mit Intelligenz statt übermässigem Strassenausbau auf die Verkehrsprobleme der Zukunft reagieren will.»

Jürg Grossen, GLP-Präsident

Skeptisch zeigt sich CVP-Nationalrat Martin Candinas: Es könne nicht sein, dass sämtliche Abgaben für die Verkehrsinfrastrukturen in Zukunft leistungsabhängig seien. «Dagegen wehre ich mich zum Wohle der Berggebiete und der Personen und Familien in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen.» Ziel müsse es sein, die Einnahmen langfristig sicherzustellen, ja. Darum brauche es nun eine Abgabe auf E-Fahrzeuge. Richtig zufrieden scheint nur GLP-Präsident Jürg Grossen: «Ich freue mich, dass der Bundesrat mit Intelligenz statt übermässigem Strassenausbau auf die Verkehrsprobleme der Zukunft reagieren will.»