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Meinung

Pro und Kontra zur Fandebatte
Soll man härter gegen Fussballfans vorgehen?

Fanmarsch der YB-Fans in Thun. Die Polizei versperrt den Weg ur mttleren Unterführung. © Patric Spahni
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Es sah so aus, als könnte man sich einigen – aber diese Woche ist die Allianz von Kantonen und Fussballclubs zerfallen. Die Swiss Football League hat sich gegen das sogenannte Kaskadenmodell gestellt, sie lehnt unter anderem Kollektivstrafen gegen Stadionbesucher ab. Dieses von den Behörden propagierte System sieht bei zunehmender Fangewalt immer schärfere Strafen vor – die Massnahmen gehen bis zu Geisterspielen. Die Kantone wollen das Modell nun ohne Zustimmung der Clubs einführen. Hinter der Kontroverse steht die Frage: Soll man härter gegen Fussballfans vorgehen?

Ja. Es reicht – schon lange.

Roberto Zimmermann

2009: Ich ziehe ins Quartier beim Stadion Letzigrund. Diese Redaktion schreibt: «Kritik an der Hooligan-Datenbank hält an – nun droht ihr das Aus.» Der Experte für Fanarbeit, Thomas Gander, war gerade an einem Spiel und sagt: «Es war beängstigend.» Und ich, neu 300 Meter vom «Letzi» entfernt wohnend, höre plötzlich regelmässig Kriegslärm, sehe grimmige, betrunkene Horden durch die Strassen ziehen, kontrolliert von gepanzerten Polizisten.

Strassen sind gesperrt, Container werden angezündet, Häuser verschmiert. Manchmal komme ich nicht mehr mit dem Tram von der Arbeit nach Hause, weil die grölenden Fussballfans Vortritt haben und deshalb nichts mehr geht: Die Chaoten haben das Quartier im Würgegriff.

Heute, 15 Jahre später, lesen wir: Die Fussballclubs lehnen das Kaskadenmodell ab. Auch personalisierte Tickets wollen sie nicht. Sie foutieren sich um alles, was die Gewalt in den und um die Stadien verringern würde. Sie sehen auch in den Schlägern treue Fans, die für Stimmung sorgen. Sie bringen Geld – und mit ihren Pyros auch Farbe ins Spiel.

Wer dummerweise bei einem Stadion wohnt, kann ja wegziehen. Oder zu Hause bleiben, wenn gerade Fussballfans durchs Quartier toben. Es gebe gute Argumente, um die Jungs aus der Kurve zu verstehen, heisst es. Nämlich:

  1. Alkoholisierte Jugendliche, die prügeln, hat es in der Weltgeschichte schon immer gegeben.

  2. Das sind nicht nur Hooligans, das ist eine Jugendbewegung – und darum schützenswert.

Wie bitte? Ich dachte, Fussball wurde wie Rugby und andere Mannschaftssportarten erfunden, um genau diese Testosteronausstösse von männlichen Massen zu kanalisieren. Warum, um Gottes willen, spielen die Jungs nicht einfach Fussball, von mir aus bis zur Erschöpfung? Sie sollen rennen, springen und sich gegenseitig in die Beine grätschen, um all ihre Energie loszuwerden.

Wie die meisten Menschen in meinem Quartier kann ich nicht mehr hören, wenn Funktionäre Fussballrowdys in Schutz nehmen und Massnahmen gegen sie ablehnen. Es reicht – schon lange.

Nein. Kollektivstrafen sind verboten.

Philipp Loser

Wer in den vergangenen Monaten die Diskussionen über Gewalt im Schweizer Fussball verfolgt hat, der konnte Erstaunliches lesen.

Zum Beispiel von Stephanie Eymann, Sicherheitsdirektorin des Kantons Basel-Stadt, Juristin und Mitglied der Liberalen.  «Ich verstehe, dass Massnahmen wie Kurvensperrungen als Kollektivstrafen wahrgenommen werden und Unbeteiligte ärgern», sagte sie in einem Interview mit der NZZ: «Nur frage ich mich: Weshalb richtet sich der Ärger gegen die Behörden – und nicht gegen die Hooligans? Die Fans müssen doch merken, dass sie Ausschreitungen aus der Kurve heraus nicht mehr tolerieren können.»

Besser könnte man die ganze Ohnmacht, Hilflosigkeit und juristische Unbeholfenheit unserer Sicherheitsbehörden nicht ausdrücken.

Kollektivstrafen sind per Völkerrecht verboten. Unser Rechtsstaat ist nach einem einfachen Prinzip aufgebaut: Mündige Bürgerinnen und Bürger sind für ihre Taten verantwortlich. Sie werden nicht bestraft für Taten, die jemand anderes begangen hat. Ein Vater geht nicht ins Gefängnis, wenn sein Sohn ein Auto geklaut hat (obwohl der Vater das Verhalten seines Sohnes ziemlich sicher nicht toleriert). Eine Autobahn wird nicht für alle gesperrt, wenn ein notorischer Raser immer wieder zu schnell unterwegs ist. Eine einfache Bankangestellte bekommt keine Busse, wenn ihr Chef die Budgetzahlen frisiert.

Es ist ein simples Prinzip. Es ist ein elegantes Prinzip. Man nennt es: Rechtsstaat.

Dass dieser Rechtsstaat von unseren kantonalen Justizdirektorinnen und -direktoren für eine bestimmte Gruppe ausser Kraft gesetzt werden soll, ist nicht tolerierbar. Es ist populistisch, weil jede Studie zeigt, dass Kollektivstrafen das Gegenteil von dem erreichen, was sie beabsichtigen. Dass es ausgerechnet Juristinnen und Juristen sind, die mit leichter Hand Kollektivstrafen gegen Fussballfans aussprechen und Sektoren für alle sperren, wenn irgendwo weit weg vom Stadion ein Tram demoliert wird: Es ist erschreckend.

Am Schluss ist es im Stadion wie überall sonst: Wer eine Tat begeht, der wird dafür von der Polizei verfolgt und von der Justiz bestraft. Wie es sich in einem Rechtsstaat gehört.