Noten für FussballpartienTore, Spannung, Rote Karten – das sind die unterhaltsamsten Spiele
Vier Schweizer haben eine Website entwickelt, die Fans bei der Auswahl von Matchs helfen soll. Vorbild ist eine riesige Hollywood-Datenbank. Die Hintergründe.

Gesucht ist das unterhaltsamste Spiel der laufenden Super-League-Saison. Was denken Sie? War es ein Spitzenspiel, die Young Boys gegen den FC Zürich? Ein Derby? Oder war es sonst ein Klassiker?
Fans würden bei dieser Frage wohl ein Spiel ihres Teams wählen, der Emotionalität wegen. Vier Freunde aus den Kantonen Uri und Zürich aber sagen: Stade Lausanne-Ouchy gegen St. Gallen, 13. Spieltag, 5:2 für die Ostschweizer.
St. Gallen ist Zweiter in der Super League, quasi ein Spitzenteam. Ouchy ist Letzter, und das deutlich. Sieben Punkte beträgt der Rückstand auf den FC Basel bereits nach der Hinrunde. Ouchy ist der erste Abstiegskandidat.
Aber der Algorithmus von Sportratings.com ergibt, dass die Waadtländer immerhin am unterhaltsamsten Spiel der Saison beteiligt sind. Die Website bewertet Fussballspiele auf einer Skala von 1 bis 10. Ouchy - St. Gallen, das gibt die Note 8,75. Viele Tore, Führungswechsel, ein paar Gelbe und eine Rote Karte, hoher Unterhaltungswert also.
Keine Resultate, nur Noten
Sportratings ist die Erfindung von Cyrill Wyss, Daniel Giebelhaus und der Brüder Andreas und Tobias Guggenbühl. Sie sind Fussballfans, ohne einem bestimmten Team zu folgen. Eher wollen sie unterhalten werden. Und oft wurden sie schon enttäuscht, wenn sie ein vermeintlich grosses Spiel sehen wollten.

Ein Clasico zwischen Real Madrid und Barcelona, ein Derby zwischen Manchester City und United, ein Spitzenspiel zwischen Bayern und Dortmund. Das alles klingt ziemlich spannend, kann aber furchtbar öde sein. Und wer gibt einem nun die Stunden vor dem Fernseher zurück? Für dieses Problem hat das Quartett den Algorithmus entwickelt. Auf der Website gibt es keine Resultate, bloss die Noten von Spielen.
Cyrill Wyss sagt: «Der Standardfan ist immer gwundrig. Wenn er einen Match nicht schauen kann, geht er sofort auf eine Seite oder eine App, wo er alle Resultate sieht. Tatsächlich entzieht er sich so aber der ganzen Unterhaltung. Resultate sind auch Spoiler, der Fan weiss, was passiert ist.» Da kommt Sportratings ins Spiel.
Das Angebot richtet sich an Interessierte, die Spiele nicht live verfolgen können. Millionen von Fans seien das weltweit, sagt Wyss und denkt dabei vor allem an den Bonus der Zeitverschiebung. Findet ein Spitzenspiel in Europa zur Primetime statt, läuft es in den USA mitten am Tag. Wyss sagt: «Wir möchten, dass die Fans, anstatt auf eine Website zu gehen, auf der sie das Resultat sehen, zuerst auf unsere kommen und schauen, ob es überhaupt ein unterhaltsames Spiel gab. Dieses könnten sie dann im Replay schauen, als wäre es live – sofern sie das Resultat nicht erfahren haben.»
Spannung, Ereignisreichtum und Affiche
Wie genau der Algorithmus funktioniert, möchte Wyss nicht verraten, Betriebsgeheimnis. Nur so viel: Es fliessen über 10’000 Datenpunkte pro Spiel ein, um dieses zu bewerten. Grob erklärt, unterteilen sie sich in drei Punkte.
Spannung: «Hier geht es um den Spielverlauf, wann fallen die Tore, gibt es ein Hin und Her oder einen klaren Sieg? Wenn ein hoher Favorit zum Beispiel früh 2:0 führt, dann ist die Spannung weg.»
Ereignisreichtum: «Zu den Ereignissen gehören Tore, VAR-Entscheide und so weiter. Logisch, das ist immer etwas subjektiv. Gewisse finden zum Beispiel Rote Karten megainteressant, mit Reibereien und Drama, oft aber ist eine Rote Karte destruktiv.»
Affiche: «Die Art des Wettbewerbs hat hier einen Einfluss. Ein Halbfinal wird grundsätzlich als unterhaltsamer betrachtet als ein Gruppenspiel. Bei Ligaspielen spielen die Tabellenplatzierungen eine Rolle.»
Vorbild von Sportratings ist IMDB, die «Internet Movie Database». Hier bewertet das Publikum Filme, ebenfalls auf einer Skala von 1 bis 10. Natürlich in etwas anderem Ausmass, 2,8 Millionen Menschen haben den Gefängnisfilm «Shawshank Redemption» («Die Verurteilten») auf Platz 1 gewählt, Note 9,3.
Ein Publikum-Voting war ebenfalls eine Option für die Köpfe hinter Sportratings, allerdings wurde die Idee verworfen, da Fans von Clubs grundsätzlich befangen sind und weil das Rating unmittelbar nach Spielschluss auf der Webite erscheinen soll. Den Algorithmus haben Wyss, Giebelhaus und die Brüder Guggenbühl fleissig getestet, «mit Tausenden von Spielen», sagt Wyss.
Vor der WM 2022 ging die Seite online. Heute hat die Instagram-Seite von Sportratings fast 6000 Follower. Geld verdienen Wyss und sein Team damit nicht. «Vor allem möchten wir den Fans unterhaltsame Spiele bieten», sagt Wyss. Es gebe noch viel Raum nach oben, das Produkt sei ja international.
Auch eine Erweiterung mit anderen Sportarten ist ein Ziel, der Algorithmus lässt sich mit einigen Handgriffen überall dort anwenden, wo zwei Teams gegeneinander spielen. So könnte Sportratings in Zukunft auch eine Hilfe für hiesige American-Football-Fans werden, die Spiele der NFL nicht live mitverfolgen können oder wollen.
Zum Schluss noch dies: Für jene, die mit Stade Lausanne-Ouchy gegen St. Gallen nicht viel anfangen können, kommt hier noch eine etwas grössere Affiche: WM-Final 2022, Argentinien - Frankreich, Messi gegen Mbappé, sechs Tore, dann ein Penaltyschiessen. Diese Partie hatte alles. Und gibt bei Sportratings eine satte 9,54, Höchstwert für das Jahr 2022.

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