Neues SexualstrafrechtFür Sex braucht es ein Ja, findet eine Schweizer Mehrheit
Eine Vergewaltigung findet statt, wenn es keine ausdrückliche Zustimmung zum Sex gibt. Dieser Ansicht sind laut einer neuen Umfrage die meisten Befragten.
Was ist eine Vergewaltigung? Wenn eine Person mit Gewalt zum Sex gezwungen wird? Oder wenn jemand Nein sagt, sich aber nicht weiter wehrt? Oder liegt der Übergriff schon vor, wenn es keine ausdrückliche Zustimmung, kein Ja, gibt? Derzeit wird das Schweizer Sexualstrafrecht überarbeitet. Diese Fragen sind zentral.
Eine relative Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer befürwortet die strengste Variante, also «Nur ein Ja heisst Ja». Das hat eine neue repräsentative Umfrage des Forschungsinstituts GFS Bern im Auftrag von Amnesty International ergeben. 45 Prozent der Bevölkerung sprachen sich für diese sogenannte Zustimmungslösung aus. Mit 27 Prozent befürworteten deutlich weniger die Widerspruchslösung, also «Nur ein Nein ist ein Nein». 13 Prozent würden an der derzeitigen gesetzlichen Bestimmung festhalten, dem Prinzip der Nötigung, wonach eine Vergewaltigung nur dann vorliegt, wenn Druck oder Gewalt angewendet wird. 15 Prozent äusserten sich nicht zu dem Thema.
Besonders gross war der Zuspruch für die Ja-Variante unter jüngeren Personen. In der Altersgruppe der 18- bis 39-Jährigen lag sie bei 50 Prozent, unter Menschen, die 65 Jahre oder älter sind, hingegen bei 40 Prozent. Dort wurde die Nein-Variante mit 30 Prozent deutlich stärker befürwortet als in der jüngsten Gruppe (25 Prozent). Die statistische Fehlerquote der Umfrage wird mit plus/minus 3 Prozent angegeben.
«Wir rufen die Parlamentarier und Parlamentarierinnen auf, ihre Verantwortung im Kampf gegen sexualisierte Gewalt wahrzunehmen», sagte Alexandra Karle, Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz. «Die Schweiz wartet auf ein Konsens-basiertes Sexualstrafrecht.» Ein solches gilt schon in anderen Ländern, etwa in Schweden und Dänemark. In Dänemark wurde vor einem Jahr sogar eine App vorgestellt, die eine Zustimmung zum Sex festhalten sollte.
Allerdings könne Zustimmung bei einer Ja-heisst-Ja-Lösung durchaus auch nonverbal erfolgen, betonte Markus Theunert von Männer.ch vor den Medien: «Man kann auch durch aktive Beteiligung zum Ausdruck bringen, dass das, was passiert, im eigenen Sinn ist.» Auch im Alltag, etwa in Gesprächen, versichere man sich ständig der Zustimmung des Gegenübers durch ein Nicken oder Augenkontakt.
Unterschiede zwischen Männern und Frauen
In der Umfrage waren 90 Prozent der Bevölkerung der Meinung, dass Zustimmung zu erkennen ist, «wenn eine Person proaktiv und hingebungsvoll bei der Sache ist». Wenn eine Person für Sex bezahlt wird, halten 64 Prozent die Zustimmung für gegeben. Cloé Jans, Leiterin der Studie von GFS Bern, betonte allerdings, dass es hier deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen gebe. Auf die Frage, ob sie es für unromantisch halten, beim Sex nach der Zustimmung zu fragen, antworteten 45 Prozent der Männer mit Ja, aber nur 23 Prozent der Frauen.
Voraussichtlich im Sommer wird sich das Parlament detaillierter mit der Revision des Sexualstrafrechts befassen. Im Februar hatte die Rechtskommission des Ständerats mit 9 zu 4 Stimmen die Nein-heisst-Nein-Lösung befürwortet. Die Zustimmungslösung ging den Ständeräten und -rätinnen zu weit. Allerdings soll das Nein auch nonverbal zum Ausdruck gebracht werden können. Zudem will die Kommission das Gesetz so ändern, dass juristisch auch Männer als Opfer von Vergewaltigungen anerkannt werden. Als Vergewaltigung soll eine sexuelle Handlung gelten, die mit dem Eindringen in den Körper des Opfers verbunden ist.
In der Umfrage gaben 81 Prozent der Beteiligten an, dass sie schon jetzt nach dem Prinzip der Zustimmung leben, dass sie also sicherstellen, dass ihr Gegenüber mit jeder sexuellen Handlung einverstanden ist. Besorgt hebt die Studie jedoch hervor, dass immerhin 23 Prozent der Befragten ein Schweigen als Zustimmung werten, und 15 Prozent gaben an, selbst schon unbeabsichtigt die Grenzen des Gegenübers überschritten zu haben.
Eine Ja-heisst-Ja-Lösung würde auch das Phänomen der Schockstarre bei Opfern berücksichtigen.
«Rund jede zehnte Person findet, Geschlechtsverkehr mit dem Partner/der Partnerin sei unter bestimmten Umständen in Ordnung, auch wenn das Gegenüber aktuell nicht zugestimmt hat», sagte Cloé Jans – etwa wenn das Gegenüber gerade schlafe. Solch problematische Ansichten seien unter Männern deutlich stärker verbreitet. «Lange wurde gesellschaftlich toleriert, dass sich Männer sexuell holen, was sie wollen», meinte dazu Markus Theunert. «Das wirkt bis heute nach.»
Das Sexualstrafrecht wird modernisiert, nachdem die Schweiz seit 2018 die Vorgaben der Istanbul-Konvention umsetzt, eines internationalen Abkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt. Zuständig ist das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau (EBG), das eng mit einem breiten Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen (NGO) zusammenarbeitet.
Dieses Netzwerk, zu dem auch Amnesty International gehört, fordert die Einführung der Ja-heisst-Ja-Lösung. Das würde auch das Phänomen der Schockstarre bei Opfern berücksichtigen. «Eine Zustimmungslösung würde den Momenten Rechnung tragen, in denen ein Opfer nicht in der Lage ist, Nein zu sagen; sei es aus Überforderung, aus Angst um Leib und Leben, wegen einer Beeinträchtigung oder wegen eines Machtgefälles», heisst es in einem Bericht des NGO-Netzwerks.
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