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Militärische Lage in der Ukraine
«Für Russland ist schlechter Krieg gerade besser als schlechter Frieden»

Sieht es wirklich schlecht aus für Moskaus Streitkräfte? Eine Frau mit Kind geht an russischen Soldaten in Mariupol vorbei.
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Die Meldung ging in den letzten Tagen etwas unter, aber in einem Vorort der ukrainischen Stadt Odessa ist eine Strasse nach dem britischen Premierminister Boris Johnson benannt worden. Der gilt in der Ukraine als Held, weil seine Regierung ohne viele Diskussionen militärische, finanzielle und nachrichtendienstliche Hilfen im Krieg gegen Russland geleistet hat.

Erst am Dienstag sprach Johnson wieder per Fernschaltung vor dem ukrainischen Parlament und kündete weitere Unterstützung an, Radarsysteme für die Artillerie etwa – und Nachtsichtgeräte. Das ist wichtig für den Kampf, denn an Letzteren scheint es der russischen Armee zu fehlen. Zumindest berichten Experten der britischen Zeitung «The Telegraph», dass russische Truppen mangels passender Ausrüstung nicht so gerne bei Nacht angreifen würden.

Bei Charkiw sollen die Ukrainer die Russen 40 Kilometer zurückgedrängt haben.

So gesehen, wären Nachtsichtgeräte ein weiterer taktischer Vorteil für die ukrainischen Verteidiger. Die berichten aber auch so schon von Erfolgen im Osten des Landes, obwohl viele der vehement geforderten Waffen aus dem Westen noch gar nicht an der Front angekommen sind. Bei Charkiw im Nordosten sollen die Ukrainer nach übereinstimmenden Berichten die russischen Angreifer 40 Kilometer zurückgedrängt haben.

Russland dagegen kann entlang der gesamten Kontaktlinie nur kleine oder gar keine Geländegewinne verzeichnen. Laut ukrainischem Generalstab sind die russischen Streitkräfte in der Region bunt zusammengewürfelt. Heute Mittwoch kam die Meldung, Russlands Armee ziehe Truppen aus Mariupol ab, obwohl sie dort weiter um das Stahlwerk Asowstal kämpft. (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Uns war klar, dass der Bunker zum Massengrab würde».)

Im ganzen Land gab es in der Nacht wieder Raketenangriffe, auch auf Kiew und Lwiw im Westen. Präsident Wolodimir Selenski deutete das in einer TV-Ansprache aber als Verzweiflungstat der russischen Truppen.

Gebiete zurückzuerobern, ist schwieriger, als sie zu verteidigen

Sieht es also wirklich schlecht aus für Moskaus Streitkräfte? Claudia Major ist Expertin für Sicherheits- und Verteidigungspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin und warnt vor zu viel Optimismus angesichts dieser Erfolgsmeldungen: «Es ist etwas anderes, einen russischen Angriff abzuwehren, als diese riesigen Gebiete zurückzuerobern. Das ist eine ganz andere Herausforderung. Wir können aus den Erfolgen der Ukrainer nicht schliessen, dass sie demnächst die Landbrücke vom Donbass zur Krim zurückerobern.»

Das gilt erst recht, wenn versprochene Waffen wohl erst in einigen Wochen in der Ukraine eintreffen, weil sie noch Überholung brauchen, die Munition beschafft werden muss und ukrainische Soldaten dafür ausgebildet werden müssen.

Russlands Armee mag in einem schlechteren Zustand sein als vermutet; sich aber weiter zurückzuziehen, scheint für sie derzeit keine Option zu sein, egal, wie mies es gerade läuft. Das sieht auch Claudia Major so: «Wir wissen nicht genau, was in der russischen Armee los ist. Aber am 9. Mai, wenn der historische Sieg über Nazideutschland gefeiert wird, muss Putin irgendetwas vorweisen können», sagt die Expertin weiter.

«Das könnte die Einnahme des Stahlwerks in Mariupol sein, aber auch die Einführung des Rubels und Pseudo-Unabhängigkeitsreferenden in den besetzten Gebieten, was schon vorbereitet wird. Das würde dann auch gleich noch zeigen, dass man gekommen ist, um zu bleiben. Ich gehe in jedem Fall davon aus, dass die Angriffe weitergehen.» (Lesen Sie auch den Artikel «Wen Putin zum Sterben in die Ukraine schickt».)

Gründe dafür sieht Major auch in der innenpolitischen Lage Russlands und der Ukraine: «Derzeit glauben beide Seiten noch, sie gewinnen mehr, wenn sie weitermachen, als wenn sie aufhören. Die Ukraine kämpft um ihre Existenz. Ich befürchte, dieser Abnützungskrieg, der jetzt gerade stattfindet, wird noch lange weitergehen. Dafür spricht, dass es einfacher ist, Gelände zu verteidigen, als anzugreifen und einzunehmen.»

Bis zu 600 Tote im Theater in Mariupol

Und weiter sagt die Sicherheitsexpertin: «Wenn Putin jetzt Frieden schliesst, muss er das zu Hause auch als Erfolg verkaufen können. Und gerade glaubt die russische Führung, sie könnte noch mehr gewinnen. Die Ukrainer müssten hingegen deutlich mehr aufbieten, um ihre Gebiete zurückzuerobern. Allerdings sind der Wille dafür und die internationale Unterstützung vorhanden, angesichts des Vernichtungskrieges, den Russland führt und dessen Folgen etwa in Butscha und Mariupol weltweit sichtbar geworden sind.» (Lesen Sie zum Thema auch den Artikel «Krieg in der Ukraine: «Es könnte Jahre dauern».)

Heute Mittwoch meldete die Nachrichtenagentur AP, in dem Mitte März bombardierten Theater in Mariupol seien möglicherweise bis zu 600 Menschen um Leben gekommen. Claudia Major bringt die Lage auf den Punkt: «Für Russland ist ein schlechter Krieg gerade besser als ein schlechter Frieden.»