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Ein ungewöhnliches Familienleben
Für die Liebe gehen sie weite Wege

Beim Spengler-Cup in Davos für einmal vereint: Ambris Assistenzcoach René Matte mit Ehefrau Nadia und Tochter Jade.
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Ein gutes Mobiltelefonnetz kann ein Leben komplett verändern. René Matte war im Frühling 2006 unterwegs nach Shawinigan, einem Städtchen im Süden Québecs. Ein neuer Vertrag beim lokalen Juniorenteam wartete auf die Unterschrift des Eishockeytrainers. «Es sind Strassen, entlang denen du oft stundenlang keine Häuser und Menschen, dafür Wälder und vielleicht mal Bären und Elche siehst», beschreibt Matte die typischen Fahrten durch seine Heimatprovinz. Er kannte sie nach sechs Jahren in der QMJHL gut, die Reise zum am weitesten abgelegenen Gegner auf der Kap-Breton-Insel kann bis zu 18 Stunden dauern – pro Weg. Der Klingelton seines Handys riss ihn aus den Gedanken.

Nach dem Gespräch rief er den Club in Shawinigan an, bat um zwei Tage Bedenkzeit und drehte um. Aber eigentlich wusste er bereits: Er würde absagen und das Angebot aus Freiburg annehmen. Serge Pelletier, der damalige Cheftrainer Gottérons, hatte ihn angerufen, weil er kurzfristig einen neuen Assistenten suchte – Mattes Zwillingsbruder Louis, seit 2002 in Genf arbeitend, hatte ihn empfohlen. «Ich unterschrieb für neun Monate bis Ende Saison», erzählt Matte, «und jetzt bin ich über 16 Jahre später immer noch in der Schweiz.»

Nach nur drei Monaten wäre Matte um ein Haar für immer in seine Heimat zurückgekehrt. Er war Single, das ruhige Leben ohne die ständig offenen Geschäfte überforderte ihn, das Heimweh wurde immer grösser – zudem drohte beim Club wegen massiver Geldprobleme das Lichterlöschen. Doch dann stieg die Freiburger Kantonalbank ein. Und vor allem lernte Matte Ende Saison seine heutige Ehefrau Nadia kennen. Er verlängerte den Vertrag um zwei Jahre, die beiden heirateten, die gemeinsame Tochter Jade ist heute 13.

Die «10-Tage-Regel»

Das Familienglück wird seit bald sechs Jahren auf die Probe gestellt. Matte verliess 2017 die Westschweiz, um Assistent Luca Ceredas in dessen erster Saison als Cheftrainer Ambris zu werden. Die Familie blieb in Freiburg, da Tochter Jade erst gerade eingeschult worden war und Ehefrau Nadia trotz ständiger Nachtschichten mit ihrem Beruf als Krankenschwester glücklich war. Es folgte eine für alle schwierige erste Saison mit Heimweh und Entbehrungen. «Wir sahen uns teilweise zehn Tage lang nicht», sagt der 50-Jährige. «Zehn Tage: Das war die Grenze, die wir nicht überschreiten wollten.»

Die Mattes entschieden sich dennoch, so weiterzumachen. Es mussten Wege und Abläufe gefunden werden, wie sie sich häufiger sehen können. «Es geht ja nicht bloss darum, dass ich heimfahre. Wenn ich nur 24 bis 48 Stunden in Freiburg bin, will ich nicht die ganze Zeit arbeiten und Videos anschauen müssen», sagt Matte. Denn das gehört zum Job des Assistenztrainers: unzählige Stunden an Videomaterial sichten, das letzte eigene Spiel analysieren sowie den kommenden Gegner durchleuchten.

Bei der Arbeit am Spengler-Cup: René Matte an der Bande von Ambri-Piotta.

Damit Matte seine Liebsten häufiger sehen kann und diese dabei so selten wie möglich selber nach Ambri reisen müssen, hat er Tag für Tag durchgetaktet: «Es richtet sich alles nach dem Spielplan Ambris», erklärt er. Spielt die Mannschaft am Freitag zu Hause und am Samstag auswärts, fährt er in der Regel nach der zweiten Partie nach Freiburg. Um am Sonntag beim Aufwachen Zeit zu haben, erledigt er die Videoarbeiten noch in der Nacht, selbst wenn diese bis 3 Uhr in der Früh gehen. Dasselbe gilt für Freitagnacht, in der er schon so viel wie möglich zum Gegner am kommenden Dienstag vorbereitet haben will. Umgekehrt fährt er am Montag um 5 Uhr los, damit er um 7.30 Uhr zurück in Ambri in der Eishalle ist.

Eine normale Schlafroutine kennt Matte während der Saison nicht. Wie er dabei frisch im Kopf bleibt? «Diese Frage stelle ich mir nicht», sagt er. «Es hilft, dass ich nicht viel Schlaf brauche.» Es seien in der Regel nur vier bis fünf Stunden pro Nacht. Entspannung finde er auch während der Arbeit vor dem Computer: «Da höre ich nebenbei häufig Musik oder Podcasts.» Oder beim geliebten Joggen. Und beim Kochen am Abend, wenn er unter der Woche allein in seinem Appartement in Bellinzona wohnt. «Ich führe zwei Leben», sagt Matte lachend: «im Tessin jenes des Singles, in Freiburg jenes mit der Familie.»

Den Zweitjob aufgegeben

Den Preis zahlt Mattes Körper jeweils am Ende der Saison: «Ich brauche ein bis zwei Wochen, bis ich herunterfahren kann. Danach bin ich physisch und mental für zwei bis drei Wochen kaputt, der Rücken beginnt dann auch zu schmerzen.» Nicht zuletzt darum hat er letzten Sommer seinen Nebenjob bei der französischen Nationalmannschaft als Assistent Philippe Bozons nach vier Jahren aufgegeben. Die inklusive WM sechs Wochen unmittelbar nach der Saison Ambris, in denen er auch die Familie nicht mehr sah – es wurde zu viel.

Weil er seine Arbeit bei den Tessinern klaglos verrichtet, habe er für sein «Doppelleben» in Freiburg und Ambri nie das Okay Ambris einholen müssen, sagt Matte. Cereda und Sportchef Paolo Duca würden höchstens hin und wieder nachfragen, wie er das schaffe: «Sie sagen beide, dass das nichts für sie wäre …»

Eine Veränderung strebt die Familie vorerst weiterhin nicht an. Matte weiss, dass dies der Preis für seine Passion ist. «Nadia ist unglaublich, sie akzeptiert es und weiss, dass ich happy bin, wenn ich ein Coach sein kann.» Er werde aber auch hin und wieder von Schuldgefühlen geplagt, sagt Matte: «Sie trägt derzeit meinetwegen deutlich mehr Verantwortung in der Familie. Ich weiss, dass ich ihr später, nach der Trainerkarriere, etwas schuldig sein werde.»