Kinder- und JugendbuchmesseFünf Schweizer Kinderbücher, die auch Erwachsene gerne lesen
Sie handeln von der Angst, vom Tod, vom Loslassen und vom Schuften. Diese Bilderbücher und Jugendromane gehen tiefer als so manches Philosophiegedöns.
«Grüezi» trifft auf «Moin»: So lautet das diesjährige Motto der Kinder- und Jugendbuchmesse in Oldenburg. Rund 20 Schweizer Autorinnen und Illustratoren zeigen in diesen Tagen im Norden Deutschlands ihre Bilderbücher und Jugendromane. Wir stellen fünf davon vor, für die man nie zu alt ist.
«Fürchten lernen»
Woher kommt die Angst? Und warum geht sie dahin nicht wieder zurück? In der Graphic Novel «Fürchten lernen» sind nicht nur die Bilder gewaltig, sondern auch die Angst – die Angst vor dem Mittagessen mit Arbeitskollegen, die Angst vor dem Tod, die Verlustangst, die Angst vor den Gedanken anderer Leute, die Angst vor der Angst.
Wie ein Trip durch die dunkelsten Hirnwindungen mutet das neue Buch von Nando von Arb an, in dem sich Kinder- und Erwachsenengedanken gleichermassen verlieren. Episodisch erzählt der Autor und Illustrator auf über 400 Seiten in Farb- und Schwarzweisszeichnungen von Begegnungen mit der Angst – schauerlich, fast psychedelisch, zugleich furchtbar schön und mit Witz. «Du musst über deinen Schatten springen», rät die Lehrerin dem jungen Icherzähler. «Wenn sie wüsste, wie gross mein Schatten war.»
Nando von Arb: Fürchten lernen. Edition Moderne, Zürich 2023.
«Lila Perk»
Hätte dieser Jugendroman einen Soundtrack, wäre es wohl der Song «Where Is My Mind?» von den Pixies. Seit Lilas Mutter gestorben ist, «passt nichts mehr zusammen». Lila ist schlecht vor Angst, ihr Vater starrt an die Wand. Da plant dieser plötzlich einen Trip in die Wildnis und bringt seiner zwölfjährigen Tochter dafür das Autofahren bei: «Das Wichtigste ist, dass du keine Leute anfährst. Der Rest ist wie Autoscooter.» Der Rat, eine Metapher für das ganze Leben: Lenken ist schwierig, versuche trotzdem niemandem wehzutun – und vergiss den Spass dabei nicht.
Der Roman von Eva Roth erzählt vom Leben, vom Tod, der Angst und der Liebe. In der einfachen Jugendsprache liegt dabei mehr Weisheit verborgen als in so manchem Philosophiegedöns.
Eva Roth: Lila Perk. Jungbrunnen, Wien 2020.
«Starkes Ding»
Zu Hause lässt der kleine Ernst am liebsten Hühner fliegen. Aber dann geben ihn seine Eltern für einen Franken am Tag an fremde Bauern, wo er schuften muss.
In der Graphic Novel «Starkes Ding» zeichnet Lika Nüssli in Bild und Text das Leben ihres Vaters Ernst nach, der ein Verdingkind im Toggenburg war. Die Künstlerin erzählt den Ernst des Lebens und das Leben des Ernsts mit einer Leichtigkeit, die sich bis in die schwungvollen schwarzen Striche ihrer Zeichnungen zieht. Ganz nebenbei liefert das Buch einen Einblick in die Schweiz während des Zweiten Weltkriegs, als ein Spiegelei Luxus war. Eine Geschichte von Heimweh, Schokolade und harter Arbeit – und eine Erinnerung daran, wie viele Erzählungen in uns allen schlummern.
Lika Nüssli: Starkes Ding. Edition Moderne, Zürich 2022.
«Der Ort der lieben Dinge»
Ein Dachs sucht in seinem Bau nach der Trommel und findet stattdessen eine Schaukel: «Das war schön, damals», sagt er: «Aber jetzt bin ich zu gross und zu schwer und zu breit und zu alt dafür.» Einiges spricht dafür, dass dieses Kinderbuch in Wahrheit ein Erwachsenenbuch ist, auch der Umstand, dass der Autor und die Illustratorin es ihren Eltern widmen.
In schnörkelloser Sprache und reduzierten Bildern erzählen Lorenz Pauli und Kathrin Schärer vom Suchen und Finden, vom Aufräumen und Verschenken und nicht zuletzt auch von Freundschaft. So mancher Erwachsener wird sich im Dachs wiedererkennen, der sich von seinen lieben Dingen trennt. Bei all dem Loslassen spenden die sanften Kreidezeichnungen in Pastell- und Erdtönen etwas Trost – sie lullen einen ein wie damals die Kinderbettdecke.
Lorenz Pauli & Kathrin Schärer: Der Ort der lieben Dinge. Atlantis, Zürich 2023.
«Pippin der Nichtsnutz»
Mit viel Witz erzählen Autor Tim Krohn und Comiczeichner Chrigl Farner die Geschichte von Pippin, dem Nichtsnutz, dessen Liebe den Spatzen gilt. Mit der Welt der Erwachsenen – Macht und Arbeit – kann er nichts anfangen. Durch diverse Irrungen ist er trotzdem auf bestem Wege, die Nachfolge des Fürsten von Sursilvanien anzutreten. Natürlich spielt auch eine goldene Jungfrau eine Rolle, die sich schon lange «einen richtigen Mann» wünscht. Pippin aber fühlt sich «ganz und gar nicht männlich».
Die Geschichte, die erstmals 2021 auf Rätoromanisch erschienen ist, führt den Antihelden auf eine märchenhafte Abenteuerreise durch die eindrücklich illustrierte Bündner Berglandschaft. Pippin will nichts, bekommt alles und interessiert sich selbst dann noch nur für seine Spatzen. Wer kennt das nicht?
Chrigl Farner & Tim Krohn: Pippin der Nichtsnutz. Edition Moderne, Zürich 2022.
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