Aus dem ObergerichtFreigesprochener bleibt auf 10’000 Franken Prozesskosten sitzen
Aus einer simplen Personenkontrolle in Zürich entwickelt sich ein skurriler Fall mit ungewöhnlichem Verlauf – und einem Ende, das einem der Beteiligten wenig Freude bereitet.
Im Mai 2020 wird ein 28-jähriger Kolumbianer am Letzigraben, 800 Meter von seinem Wohnort entfernt, von der Polizei kontrolliert. Warum die Kontrolle stattfindet, ist nicht klar. Erst als die Beamten sein Handy durchsuchen und auf entsprechende Fotos und Chats stossen, entsteht ein konkreter Verdacht: Der Mann hält sich möglicherweise illegal in der Schweiz auf und geht hier der Prostitution nach.
Er wird auf den Polizeiposten mitgenommen, wo in Anwesenheit einer Spanisch-Dolmetscherin, aber ohne rechtlichen Beistand für den Kolumbianer ein Protokoll erstellt wird. Ins Zentrum des folgenden Streits gerät Frage 7. Aus der geht hervor, dass der 28-Jährige mit der Durchsuchung seines Mobiltelefons einverstanden gewesen sei.
Amtsmissbrauch, Urkundenfälschung, falsche Anschuldigung
Stimmt nicht, reklamiert der Kolumbianer, der das Protokoll unterschrieben hat, einen Monat später. Bei der Kontrolle habe der Polizist ihm nur gesagt: «Gib mir dein Telefon.» Der korrekte Ablauf wäre ein anderer: Die Polizei darf ein Handy vor Ort nur mit dem Einverständnis des Betroffenen oder aufgrund eines Auftrags der Staatsanwaltschaft durchsuchen. Der Betroffene hat zudem das Recht, die Siegelung des Telefons zu verlangen. Dann muss ein Gericht über die Durchsuchung entscheiden.
Damit standen zwei Straftaten im Raum: Die eigenmächtige Durchsuchung des Mobiltelefons durch die Polizei bedeutet rechtlich gesehen eine missbräuchliche Ausübung der Amtsgewalt. Wird zudem zu Unrecht protokolliert, dass der Betroffene einverstanden war, liegt zusätzlich eine Urkundenfälschung vor.
Die Beamten hielten dagegen. Der Kolumbianer habe seine Einwilligung gegeben. Grundsätzlich würden einer Person vor einer Durchsuchung ihre Rechte eröffnet. Auch Frage 7 sei korrekt protokolliert worden. Der Mann habe nicht den Eindruck gemacht, als habe er nicht verstanden, worum es bei der Kontrolle gegangen sei. Man ahnt, was nun kommt: Aufgrund dieser Aussagen wurde gegen den 28-Jährigen eine Strafuntersuchung wegen falscher Anschuldigung eingeleitet.
Staatsanwalt mit einem der Freisprüche nicht einverstanden
Weil die Staatsanwaltschaft gleich alle Beteiligten anklagte, standen im Februar letzten Jahres plötzlich zwei Polizeibeamte, eine Spanisch-Dolmetscherin und der Kolumbianer vor Bezirksgericht. Alle wurden freigesprochen. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Alles ist möglich. Vielleicht hat der 28-Jährige seine Einwilligung gegeben, vielleicht auch nicht. Vielleicht ist die Protokollierung korrekt, vielleicht auch nicht. Denkbar sei auch ein Missverständnis aufgrund bestehender Sprachbarrieren.
Bloss: Wenn alles möglich ist, ist eines nicht möglich, nämlich ein Schuldspruch. Damit hätte es sein Bewenden haben können – wenn nicht der Staatsanwalt aktiv geworden wäre. Dass der Kolumbianer straflos ausgehen sollte, akzeptierte er nicht und erhob Berufung ans Obergericht.
Der Freigesprochene erhebt auch Berufung
Aber auch der freigesprochene Kolumbianer erhob Berufung. Er war nicht einverstanden, dass einer der Kantonspolizisten freigesprochen wurde. Denn man könnte den Freispruch für die Beamten so verstehen, dass sie alles richtig gemacht und wahrheitsgemäss ausgesagt hätten.
Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass der 28-Jährige nicht die Wahrheit gesagt hat. Will er also sicher sein, dass er auch vor dem Obergericht freigesprochen wird, muss er sich dafür starkmachen, dass mindestens einer der Kantonspolizisten verurteilt wird. Denn der Staatsanwalt setzt sich dafür ja nicht ein.
Wer seinen Prozess verliert …
Das Manöver erwies sich am Ende als unnötig. Denn auch das Obergericht spricht den Beamten und den Kolumbianer von den Vorwürfen frei. Was sich im Mai 2020 genau abgespielt habe, lasse sich tatsächlich letztlich nicht klären. Die massgeblichen Zweifel hätten sich nicht ausräumen lassen. Fest stehe, dass es sprachliche Barrieren gegeben habe, was Missverständnisse möglich gemacht habe.
Damit kommt Artikel 428 der Strafprozessordnung zum Tragen: Wer vor Obergericht seinen Prozess verliert, muss – mit Ausnahme der Staatsanwaltschaft – dafür die Kosten tragen. Der 28-Jährige hat, obwohl erneut freigesprochen, mit dem Antrag, der Polizist sei zu verurteilen, seinen Teil des Prozesses verloren. Deshalb muss er zahlen. 3000 Franken in die Gerichtskasse und 6500 Franken an den Anwalt des Polizisten.
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