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Kafka-Ausstellung im Strauhof
Eine Tür zum meistgelesenen Autor deutscher Sprache

Starb mit 40 an Tuberkulose: Franz Kafka (1883-1924).
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Die Ironie wäre ihm nicht entgangen, vielleicht hätte er sie als bitter empfunden: Dass die Nachwelt nicht seine Geburt, sondern seinen Tod nach 100 Jahren zum Anlass nehmen würde, wieder an ihn zu denken.

Franz Kafka, der zweisprachige, in Prag aufgewachsene Böhme aus einer jüdischen Kaufmannsfamilie, der sein Berufsleben als Anwalt für eine Versicherung verbrachte, starb schon mit 40 Jahren an Tuberkulose. Aber er war ja sein Leben lang krank gewesen.

Er litt unter dem oppressiven Vater, den lähmenden Selbstzweifeln, dem dauernden Lärm zu Hause in seinem gefangenen Zimmer. Fast alle seine Beziehungen zu Frauen steigerten sich von der Nähe zum Überschwang, um dann in der Ambivalenz zu verharren und der Distanz zu gefrieren. Kaum je vermochte sich der junge Mann auf eine Geliebte einzulassen ausser in seinen Briefen.

Schreiben, ein Fieber

Obwohl der promovierte Jurist seine Aufgabe ernst nahm und sich bei der Versicherungsgesellschaft für die Besserstellung der Arbeiter einsetzte, inspirierte ihn diese Arbeit nicht. Dafür ergriff ihn das literarische Schreiben wie ein Fieber. Und doch bat Kafka seinen Freund Max Brod auf dem Totenbett, sein gesamtes Werk zu verbrennen. Glücklicherweise dachte der nicht daran.

Eine andere Ironie hätte Kafka mehr überrascht. Dass er, der schmächtig Verschlossene, der am Rand der Selbstvernichtung vegetierte, mit seinen Romanen, Erzählungen und Aphorismen ein ganzes Jahrhundert verschatten würde. Bis heute bleibt Franz Kafka der meistgelesene Autor deutscher Sprache.

Photo by Ardon Bar-Hama

Dabei wirkt die Welt seiner Erzählungen beängstigend und bleibt hoffnungslos. Seine Figuren sind den unbegreiflichen, mitleidlos knirschenden Mächten von Verwaltung, Behörde und Justiz ausgeliefert. Wenn sie nicht gar, wie in Kafkas berühmtester Erzählung «Die Verwandlung», eines Morgens als Ungeziefer erwachen. Kafkas Albträume wurden seine literarische Wirklichkeit. 

Wie setzt man ein solches Werk um? Das Literaturmuseum Strauhof muss seine Ausstellungen auf ein paar wenige Räume verteilen, was die Kuratoren zu einer Auswahl zwingt. Keine einfache Aufgabe bei diesem so komplexen Autor mit einem Werk, das dermassen zur Abschweifung der Deutung drängt.

Sein ganz eigener Weltuntergang 

Doch die Ausstellung funktioniert. Weil «Kafka – Türen, Tod und Texte» unterschiedliche Annäherungen stellvertretend inszeniert. Ein Raum zeigt Kafkas Leben, ein anderer seine Wirkung. Natürlich gibt es auch Texte von ihm zu hören, Faksimiles zu sehen und berühmte Sätze zu lesen.

Eine Tür als Metapher für Kafkas Werk: Einblick in die Ausstellung im Strauhof.

Als Metapher für Kafkas Werk haben Rémi Jaccard und sein Team die Tür gewählt. Sie begegnet dem Besucher gleich am Eingang und in voller Wucht, mit einem Standbild aus Orson Welles’ Verfilmung von «Der Prozess» (1962). Als Kontrast zu dieser verschlossenen Tür lesen wir neben ihr Kafkas Einladung: «Möchten Sie nicht die Tür öffnen? Der Schlüssel liegt auf Ihrer Seite.»

Der Schlüssel zu Franz Kafkas Werk ist schwerer zu finden. Das wird einem bewusst beim Anhören der vorgelesenen Texte aus seinen Romanen, Erzählungen, Tagebucheinträgen und Briefen: Wie hermetisch der Weltuntergang verlief, dem er sich aussetzte.

Und man kommt sich beim Lesen vor wie der Mann vom Land in Kafkas Parabel «Vor dem Gesetz», dem der Türhüter ein Leben lang den Eintritt verwehrt und ihm zuletzt sagt:  «Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schliesse ihn.» 

Ornament verblasst, Lakonie dauert an 

Am meisten beeindruckt der schmucklose Stil des Autors, dieses schmerzhaft klar verständliche, jedem Pathos widerstehende Schreiben, das die Erzählungen klingen lässt wie eben geschrieben. Ornament verblasst, Lakonie dauert an.

Wie schwer sich Kafka dieses Schreiben erarbeiten musste, zeigt der aufschlussreichste Raum der Ausstellung. Er lässt Faksimiles des Autors von hinten beleuchten, sie scheinen im dunklen Raum zu schweben wie Blüten der Vernunft. Und dokumentieren zugleich die Qualen des Schriftstellers im Kampf gegen das Verstummen. «Die Schrift ist unveränderlich, und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber», notierte er in seinem Tagebuch.

Franz Kafka war beides gewesen, der Richter und dessen Angeklagter.

Kafka – Türen, Tod & Texte, Literaturmuseum Strauhof, Zürich, bis 12. Mai