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Die Angst vor Russland steigt
Finnische Frauen bereiten sich auf einen Krieg vor

Die Finnin Sissi Moberg (hinten links) nahm letzte Woche an einem freiwilligen Zivilschutzkurs teil. Finnland sei ein gutes Land, um Kinder grosszuziehen – «es lohnt sich, es zu verteidigen», sagt sie.

Wenige Tage nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte, verbrachte Sissi Moberg immer mehr Zeit im Internet – nicht, um die Nachrichten zu verfolgen. Sie suchte einen Kurs, der sie auf einen Krieg vorbereitet, der nun von vielen Menschen in ihrem Land befürchtet wird. «Ich fing an, mir Sorgen um Finnland zu machen, und überlegte, was ich dagegen tun kann», sagt die 46-jährige Mutter von vier Kindern gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Innerhalb nur weniger Wochen nahm die finnische Unternehmerin an einem Kurs teil, der für Reservisten bestimmt war. Sie lernte, wie man eine Waffe benutzt und wie man sich auf einem Schlachtfeld bewegt.

Mit dieser Angst vor einem russischen Angriff ist Sissi Moberg nicht alleine. Die finnische «Women's National Emergency Preparedness Association» teilt gegenüber Reuters mit, dass die Nachfrage nach ihren Überlebenstrainings und Kriegsvorbereitungskursen seit Februar sprunghaft angestiegen sei. «Gleich nach Ausbruch des Krieges begannen unsere Telefone zu klingeln und die E-Mail-Anfragen zuzunehmen», so Sprecherin Suvi Aksela. Die Organisation wird teilweise mit öffentlichen Geldern finanziert und kann militärische Einrichtungen und Ausrüstung für die Kurse nutzen.

Erst hätten die Anruferinnen spezifische Fragen nach dem Standort des nächsten Luftschutzraums gestellt, so Aksela. Und welche Dinge sie im Falle der Fälle mitbringen müssten. Dann hätten die Fragen gewechselt, hin zu: Wie kann ich mithelfen, unser Land zu verteidigen?

Tradition von Freiwilligendienst im Krieg

Finnland fühlt sich aufgrund seiner geografischen Lage besonders verletzlich: Das Land teilt 1340 Kilometer gemeinsame Grenze mit Russland. Mehr als ein Jahrhundert lang stand es unter der Herrschaft des russischen Zarenreiches, von 1939 bis 1944 führte es zwei Kriege gegen die sowjetische Armee, die es ein Zehntel seines Territoriums gekostet haben. 100’000 Finnen verloren ihr Leben.

Danach unterzeichnete Finnland einen «Freundschaftspakt» mit der Sowjetunion. Finnland konnte so seine Unabhängigkeit bewahren, gestand Moskau während des Kalten Krieges allerdings Einfluss über Teile seiner Aussenpolitik zu. Helsinki agierte Moskau gegenüber immer besonders vorsichtig, die Bündnisfreiheit galt lange als Sicherheitsgarantie. Der Überfall auf die Ukraine änderte alles. Die Finnen brachen letzten Monat mit ihrer jahrzehntelanger Verteidigungs- und Sicherheitspolitik: Das Land stellte den Antrag auf eine Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis Nato.

In einer Umfrage des finnischen Verteidigungsministeriums, die letzten Monat veröffentlicht wurde, gaben 85 Prozent der Finninnen und Finnen an, dass sie Russland als negativen Einfluss auf Finnlands Sicherheit wahrnehmen – im Jahr 2007 waren es 34 Prozent. Dieselbe Umfrage zeigte, dass 83 Prozent der Finninnen und Finnen im Falle eines Militärangriffs zu den Waffen greifen wollen – selbst wenn der Ausgang ungewiss ist.

Finnland hat eine lange Tradition von Frauen, die freiwillig in den Krieg ziehen, die im Gegensatz zu Männern keinen Wehrdienst leisten müssen. Angaben des finnischen Militärs zufolge sind etwa 19 Prozent der 13’000 Berufssoldaten Frauen, obwohl nur 1–2 Prozent der Wehrpflichtigen weiblich sind, wie Reuters schreibt.

500 Frauen auf der Warteliste

Letzte Woche nahm Sissi Moberg an einem weiteren Kurs teil. Ein Überlebenstraining, das auch von der «Women’s Preparedness Association» organisiert und auf einem Militärstützpunkt in Hattula, 100 Kilometer von Helsinki, durchgeführt wurde. Drei Tage lang lernte Moberg mit über 300 weiteren Frauen, wie sie ein Lager aufschlägt, im Regen ein Feuer macht, sich im Wald zurechtfindet und Erste Hilfe leistet. Laut der Organisation stehen für diesen Kurs weitere 500 Frauen auf der Warteliste.

Das Überlebenstraining habe ihre Familie erstaunt, sagt Moberg gegenüber Reuters. «Meine Liebsten hätten nie erwartet, dass ich an solchen Kursen teilnehme. Ich war immer schon eine ziemliche Prinzessin.» Doch dies sei ein gutes Land, um Kinder grosszuziehen – «es lohnt sich, es zu verteidigen», sagt sie.

Das findet auch Satu Miettinen, eine andere Kursteilnehmerin. Schon ihre Grossmutter diente im Zweiten Weltkrieg als Freiwillige. «Der Wille, unser Land zu verteidigen, ist in Finnland sehr stark», sagt die 36-Jährige. Von ihrer Grossmutter habe sie gelernt, was viele andere Finninnen und Finnen auch wüssten: Moskau könnte Finnland wieder angreifen.

Sissi Moberg hat vor, an noch mehr Vorbereitungskursen teilzunehmen. Auch um für eine Naturkatastrophe gerüstet zu sein. «Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern trotzdem zu handeln», sagte sie.