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SVP-Politiker stachelt an
«Feuer frei!» auf das BAG

In den Chats der «Corona-Rebellen» wird auch zu Demonstrationen gegen Massnahmen aufgerufen. In Zug versammelten sich am 6. Februar rund 300 Personen. 
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Es geschah am helllichten Tag, am Donnerstag zur Mittagszeit. «Hatte soeben ein Telefonat mit Regierungsrat Stefan Kölliker», verkündete der St. Galler SVP-Kantonsrat Bruno Dudli in einem Telegram-Chat. «Kurz: Anne Lévy vom BAG verlangt von den Kantonen, ab dem neuen Schuljahr alle Schüler regelmässig auf Corona testen zu lassen. Stefan Kölliker sträubt sich und bat mich, über alle möglichen Kanäle gegen das BAG zu schiessen.»

Dann fügte er noch hinzu: «In diesem Sinne: Feuer frei!»

Dudli, seit sieben Jahren im kantonalen Parlament und ebenso lang schon Präsident der SVP-Kreispartei Wil, verbreitete seinen Aufruf in einem Telegram-Chat mit gut hundert Mitgliedern. Von dort fand die «Feuer frei!»-Aufforderung des Kantonsrats schnell Verbreitung im populären «Corona Rebellen Chat». Und sie wurde rege angesehen: bis zum Donnerstagabend rund 1900 Mal.

Die meisten agieren anonym

Der Schweizer «Corona Rebellen Chat» vereinigt Impfgegnerinnen und -skeptiker, zu denen man auch Bruno Dudli rechnen kann, mit Evangelikalen, Rechtsextremen und esoterisch angehauchten Globalisierungskritikern. Auf Telegram, dem verschlüsselten Messenger-Dienst, verbreiten sie Aufforderungen zum Widerstand gegen die Corona-Massnahmen, zum Teil mit absurden Theorien und manchmal auch mit Beschimpfung und Drohungen gegen Vertreterinnen und Vertreter von Wissenschaft, Politik, Medien und Behörden. Viele tun dies anonym.

Im vergangenen Herbst erregte eine Fotomontage Aufsehen, in der eine Pistole auf Alain Bersets Kopf gerichtet war. Hochgeladen wurde sie von einem Verfasser mit einem Pseudonym.

Ungewöhnlich ist, dass nun ein gewählter Volksvertreter einer etablierten Partei unter echtem Namen einen Post verfasst, der zum «Schiessen» auf das Bundesamt für Gesundheit aufruft und BAG-Direktorin Anne Lévy erwähnt.

Fedpol warnt vor Folgen

Die Direktorin des Bundesamts für Polizei (Fedpol), Nicoletta della Valle, hatte bereits Ende 2020 in einem Interview vor Hass in den sozialen Medien gewarnt. «Für den Verfasser waren es nur Worte, aber ein anderer Chat-Teilnehmer schreitet zur Tat», sagte sie.

Während der Pandemie haben auch in der Schweiz Drohungen und Hass-Posts gegen Vertreter des Bundes zugenommen. Rund tausend registrierte Fedpol vergangenes Jahr. «Was macht das mit unseren Bundesräten, Politikern und Staatsangestellten?», fragte della Valle. «Es löst etwas aus, wenn einem jemand schreibt: Ich komme zu dir nach Hause, zu deinen Kindern, ich weiss, wo du wohnst.» Bundesrätinnen und Bundesräte und sogar zum Teil deren Familien stehen vermehrt unter Polizeischutz.

Zum «Schiess»-Aufruf aus der St. Galler SVP wollte sich das Bundesamt für Polizei nicht äussern. Allgemein schreibt es aber: «Fedpol prüft Unmutsbekundungen und Drohungen, die uns von Schutzpersonen oder deren Entourage gemeldet werden.»

Äussern sich Verfasser besonders aggressiv oder beleidigend, reagiert die Polizei mit einem sogenannten Grenzziehungsbrief oder einer Gefährderansprache am Wohnort. «Den Personen wird so aufgezeigt, dass sie sich an der Grenze zur Strafbarkeit bewegen», schreibt Fedpol-Sprecher Florian Näf. Bei Aufruf zu Hass und anderen Delikten erfolgen Ermittlungen. Die Bundesanwaltschaft führt mehrere Strafverfahren, unter anderem wegen Drohungen gegen Berset.

Ein halber Rückzieher

Am Donnerstagabend rechtfertigte Bruno Dudli am Telefon seine «Feuer frei!»-Aufforderung. Kurz danach schrieb er aber: «Hiermit untersage ich jegliche Zitierung/Verwendung/Verbreitung.»

Am Freitag dann bestätigte Dudli trotzdem noch schriftlich, dass er mit Regierungsrat Kölliker telefoniert hatte. Das Gespräch mit seinem Parteikollegen sei von ihm aber falsch verstanden und ausgelegt worden.

Der St. Galler Kantonsrat Bruno Dudli präsidiert die SVP-Kreispartei Wil, der auch Regierungsrat Stefan Kölliker angehört.

Seine ursprünglichen Angaben verkehrte Dudli nun ins Gegenteil: «Es existiert jedoch keine Aufforderung seitens Stefan Köllikers, auf irgendjemanden zu schiessen.» Korrigiert hat Dudli seinen Telegram-Aufruf im Namen des Regierungsrats bis zum Freitagabend jedoch nicht.

Kölliker mag sich nicht distanzieren

Der St. Galler Bildungsdirektor Kölliker bestätigt ebenfalls, dass es ein Gespräch mit dem Präsidenten seiner SVP-Kreispartei gegeben habe. Es sei um Massentests an Schulen gegangen, aber es gehe nicht an, dass er Inhalte offenlege.

Bildungsdirektor Stefan Kölliker ist seit 2008 Mitglied der St. Galler Regierung. 

Der langjährige Regierungsrat und Vertraute von Ex-SVP-Präsident Toni Brunner hatte sich bereits in Medien kritisch zu den vom BAG und von Gesundheitsminister Alain Berset am Mittwoch geforderten Tests für Schülerinnen und Schüler nach den Sommerferien geäussert. Kölliker sieht darin – im Einklang mit anderen Erziehungsdirektorinnen und -direktoren – eine «Einmischung» des Bundes in die kantonale Volksschulhoheit. St. Gallen, einer der am stärksten von der zweiten Corona-Welle betroffenen Kantone, hatte in Schulen nur getestet, wenn Verdachtsfälle vorlagen. Andere Kantone wie Bern oder Graubünden testen regelmässig.

Der St. Galler Bildungsdirektor Stefan Kölliker will sich vom «Feuer frei!»-Post seines Parteikollegen, der in seinem Namen verschickt wurde, nicht distanzieren.