Region Le LuberonHier schlägt das Herz der Provence
Mohnfelder, Weinberge, Kulturschätze und Savoir-vivre: Rund um den Gebirgszug Le Luberon erfüllen sich Südfrankreich-Träume. Eine Reise von Saint-Rémy-de-Provence bis zum Weinbaugebiet Châteauneuf-du-Pape.
Das Bonmot «wie Gott in Frankreich leben», es könnte in der Provence seinen Ursprung haben. Die raue und zugleich liebliche Natur, die malerischen Dörfer und Städte, die formidablen Weine und Speisen, die reiche Geschichte und Kultur – die Gebirgsregion im Herzen der Provence hat in mancherlei Hinsicht Göttliches zu bieten.
Selbst dem kühlen Nordwind, der hier an hundert Tagen im Jahr übers Land fegt, wohnt Gebieterisches inne: Sein Name, Mistral, leitet sich vom lateinischen Begriff «magistrale» – meisterhaft – ab.
Der Mittelmeerwind beschert wetterfühligen Menschen zuweilen Stürme im Kopf. Aber er bläst auch Regenwolken fort, bringt das Blau des Himmels zum Leuchten und taucht die Landschaft in jenes unvergleichliche Licht, das Reisende, Dichter und Künstler seit Jahrhunderten verzückt.
Diese Reise ist ein Angebot der Schweizer Familie, mehr Informationen finden Sie hier.
Zum Beispiel den Maler Vincent van Gogh (1853–1890), der es sich angeblich nicht nehmen liess, auch bei heftigsten Böen im Freien zu malen. Über 400 Bilder schuf er in der Provence. Viele davon in der Abtei Saint-Paul-de-Mausole, wo er 1889 im Sanatorium behandelt wurde.
Der Anblick des Klosters mit dem blühenden roten Mohnfeld vor den alten Mauern ist an klaren Maitagen atemberaubend. Die gesamte Provence leuchtet in dieser Zeit rot wegen des Mohns, im Sommer schimmert sie lila. Dann verströmen Lavendelkulturen ihren typisch provenzalischen Duft und Charme.
Typisch provenzalisch präsentiert sich auch der Markt im nahen Saint-Rémy-de-Provence. In den engen, windgeschützten Gassen werden regionale Erzeugnisse angeboten. Oliven, Ziegenkäse, Stierwürste aus der Camargue, Seifen aus Marseille, Nougat, Korbtaschen, Lederwaren, Gemüse aus der fruchtbaren Durance-Ebene.
Reiseleiterin Beate Nasser-Manges, die den Fotografen und mich bei unserem Besuch zeitweise begleitet, weiss viel zu erzählen über Land und Leute.
Hübsch ist die Anekdote zu den Calissons, dem schiffchenförmigen Konfekt, das aus einer Mandelmasse mit kandierten Früchten hergestellt wird: Im 15. Jahrhundert, als in der Provence mit René d’Anjou die vielleicht freundlichste Gestalt der französischen Geschichte regierte, soll König René der Gute im höheren Alter Jeanne de Laval geheiratet haben. Doch das ernste Gemüt der jungen Gattin sei durch nichts aufzuhellen gewesen – bis er ihr eines Tages das Dessert zu kosten gab. Das zauberte ihr ein Lächeln aufs Gesicht, «Calin soun», habe sie auf Provenzalisch gesagt: «Liebkosungen sind das.» «Seither», so Beate Nasser-Manges, «ist die Süssigkeit nach diesem königlichen Moment benannt.»
In der «Kathedrale des Lichts»
Zwanzig Autominuten von Saint-Rémy entfernt wirken die weissen Kalksteinfelsen der Alpilles-Hügel wie hingestreut. Tatsächlich geht die Sage, der griechische Gott Zeus habe einen Steinhagel geschickt, um dem Helden Herakles beizustehen.
Auf einem dieser schwer zugänglichen Felsen thront Les Baux. Die Burgruine zeugt von der historischen Bedeutung des Orts, und die Bauxit-Vorkommen sorgten einige Jahrzehnte für wirtschaftlichen Aufschwung. Das braunviolette Aluminiumerz wird heute nicht mehr abgebaut, auch die Steinbrüche sind stillgelegt.
Geblieben ist die «Kathedrale des Lichts» in einem ehemaligen Kalkbergwerk. Betört von der Schönheit der bis zu 14 Meter hohen Höhlen, drehte Jean Cocteau in den 1960ern hier einen seiner Filme. Und legte damit den Grundstein für die «Carrières des Lumières»: Seit 2012 werden multimediale Shows auf die Wände des ehemaligen Bergwerks projiziert.
Das Erbe der alten Griechen
Von der Kultur zur Natur und wieder zurück – am und um den Luberon ist es ein ständiges Hin und Her.
Die Olivenmühle Calanquet bei Saint-Rémy, durch die uns Vertriebsleiterin Magali Scardone führt, steht für beides: für die Kultivierung der Natur, das historische kulturelle Erbe und das provenzalische Selbstbewusstsein.
Die alten Griechen brachten einst in die Provence, was für die Region längst elementar ist: Olivenbäume und Rebstöcke. Die Römer, die Gallien später zu ihrer Provinz – daher der Name Provence – machten, hinterliessen ebenfalls Spuren: imposante Bauten und die Veredelung der Produkte aus den Olivenhainen und Weinbergen.
Und die heutigen Gallier? Sie sind stolz auf ihre Erzeugnisse und ihre Sprache. Der Name der Mühle Calanquet, so erzählt Magali Scardone, leite sich vom provenzalischen Wort «calan» ab, einem Felsen, der gut vor dem Mistral schützt.
Die provenzalische Lebensart ist auch in Avignon in jeder Gasse hör- und sichtbar. In der Stadt mit dem Papstpalast, der lauschigen Färbergasse Rue des Teinturiers und der berühmten halben Brücke Saint-Bénézet, die im Volkslied «Sur le pont d’Avignon» besungen wird, ist alles zweisprachig angeschrieben, will heissen in Provenzalisch und Französisch.
«Wir sind wie in einer eigenen Welt», beschreibt Amelia Vazquez das Leben in der Altstadt. Die ehemalige Mitarbeiterin der «Schweizer Familie» hat vor 15 Jahren mit ihrer Familie in Avignon ihre neue Heimat gefunden. Sie zeigt uns mit Les Halles eine weitere landestypische Tradition. Im grossen Frischmarkt kauft man nicht nur ein, es lässt sich auch vorzüglich schmausen: Auberginen- und Basilikumpasten zum Dippen, Zwiebelsuppe, Fleisch-Gemüse-Auflauf. Dazu ein Vin gris, ein trockener Rosé, was will man mehr?
Noch mehr sehen natürlich! Etwa Gordes und Roussillon am Luberon südöstlich von Avignon, zwei der schönsten Dörfer Frankreichs. Gordes liegt an einem Hang und präsentiert sich herausgeputzt. Kein Wunder: 90 Prozent der Menschen, die hier leben, sind reiche Leute aus Paris oder Künstlerinnen und Künstler, die im beschaulichen Dorf Inspiration suchen. Ein Spaziergang durch die schmalen Gassen lohnt sich vielleicht gerade deshalb.
Das «rote Dorf» Roussillon ist bekannt für seine ockerfarbige Erde, ein Lehrpfad führt zu den fast surreal wirkenden Stätten, wo das Gestein einst abgebaut wurde: zu halb abgetragenen Ockerwänden und zu Ockerfelsen, die sich wie Mahnmale in den blauen Himmel recken.
Ein Denkmal setzte Schriftsteller Samuel Beckett (1906–1989) dem Ort. Der Ire war Mitglied des französischen Widerstands und versteckte sich hier zwischen 1942 und 1945 vor der deutschen Wehrmacht. Sein weltbekanntes Stück «Warten auf Godot» wird heute auch als Schicksal zweier jüdischer Flüchtlinge gelesen, die in Roussillon auf ihre Fluchthelfer warten.
Südlich von Avignon trumpft die Stadt Arles mit einem modernen und einem antiken kulturellen Glanzpunkt auf. Der moderne ist der Kultur-Campus Luma. Die Schweizer Chemie-Erbin Maja Hoffmann hat den Komplex mitten in Arles 2021 eröffnet, ihre Ideenschmiede soll Raum schaffen, um Lösungen für die Probleme der Zukunft zu finden.
Der Turm des Geländes ist von weitem zu sehen. Seine zackigen Formen erinnern an die Kalksteinfelsen der nahen Alpilles-Hügel. Der Sockel des Turms, ein gläserner Rundbau, ist eine Reverenz ans Amphitheater – das Kulturdenkmal aus der römischen Kolonialzeit.
Heute werden im Amphitheater Konzerte und Theaterstücke aufgeführt und unblutige Stierspiele ausgetragen.
In den «courses camarguaises» geht es darum, Trophäen von der Stirn und den Hörnern der Tiere herunterzuholen. Danach dürfen sie zurück auf die Weiden der Camargue.
Im Paradies der Wasservögel
Die Camargue ist die Heimat der schwarzen Stiere, aber auch der weissen Camargue-Pferde und der rosa Flamingos. Im Naturschutzgebiet des Rhonedeltas leben an die 400 Arten von Wasservögeln, einige kann man im Ornithologischen Park beobachten, sofern sie sich zeigen.
Wir sehen Krickenten, die mit ihren Kleinen durchs Wasser pflügen, Schwarzmilane, die auf der Suche nach Beute ihre Kreise ziehen, und Flamingos, die in einbeiniger Ruhestellung verharren, bis sie sich wie auf ein unsichtbares Zeichen plötzlich majestätisch in die Lüfte erheben.
Charakteristisch fürs Schwemmgebiet der Camargue sind auch der Anbau von Reis und der Betrieb riesiger Salzgärten, die in allen Weiss- und Rottönen schimmern – je nachdem, wie hoch der Salzgehalt ist.
Selbst Wein gedeiht im Rhonedelta. Wieso der Tropfen aber, den wir in der Eile gekauft haben, «vin de merde» – «Scheisswein» – heisst, bleibt für uns an diesem Tag ein Rätsel. Wir schmunzeln und fahren weiter.
Unsere Pläne lassen das Rätsel schnell vergessen. Diesmal geht es von Avignon Richtung Westen. Wir erreichen unser erstes Ziel nach einer halben Stunde. Es ist noch früh am Morgen, als sich der Pont du Gard vor uns erhebt.
Der römische Aquädukt ist eine Meisterleistung der antiken Ingenieurskunst, er ist begehbar – die Möglichkeit sollte man nutzen, denn nur so lassen sich die Dimensionen des Bauwerks ermessen, das Teil einer etwa 50 Kilometer langen Wasserleitung und zugleich Brücke über den Fluss Gard war.
Das Gelände ist unterdessen gut besucht. Zeit, aufzubrechen. Der Steinbogen Pont d’Arc, den wir nach einer guten Stunde erreichen, ist ein Monument wie der Aquädukt, nur hat ihn die Natur geformt und nicht der Mensch.
Der idyllische Flecken eingangs der Schlucht der Ardèche ist bevölkert von Ausflüglern. Nahe dem Pont d’Arc entdeckten 1994 Forscher um Jean-Marie Chauvet eine Höhle mit Wandmalereien und Ritzzeichnungen. Der Fund gilt als ältestes bis jetzt bekanntes Kunstwerk der Menschheit. Sein Alter wird auf 36’000 Jahre datiert, fast 20’000 Jahre älter als die Höhle von Lascaux in der Dordogne.
Um das Original zu schonen, wurde 2015 ein Nachbau der Chauvet-Höhlen als Besucherzentrum eröffnet. Bären, Wildpferde, Löwen, Wollnashörner, Riesenhirsche, Mammuts, Handabdrücke – die Hunderte von Wandmalereien, die wir beim Rundgang durch die kühlen Gruften bestaunen, zeugen von der Meisterschaft und dem Willen unserer Vorfahren, ihre Welt zu verstehen und abzubilden.
Die Bilder und Zeichen begleiten uns auf dem kurvenreichen Rückweg durch die wilde, bewaldete Ardèche-Schlucht, wo die Steinzeitmenschen bei eisigen Temperaturen lebten, jagten, liebten – und malten.
Da gibts noch einen Ort auf unserer Liste, den wir besuchen möchten: das weltberühmte Weinbaugebiet Châteauneuf-du-Pape. Damit sie sich gegen den Mistral behaupten können, werden dort die Reben klein gehalten und mit Steinen umschichtet. Diese heizen sich tagsüber auf und geben nachts Wärme an die Pflanzen ab, wenn der Wind kühl bläst.
Der Wettstreit unter Winzern
Als wir durchs Rebbaugebiet fahren, ruft Reiseleiterin Beate Nasser-Manges an, um sich nach unserem Befinden zu erkundigen. Die ideale Gelegenheit, sie nach dem «vin de merde» zu fragen. Sie lacht. Und erzählt, dass die Winzer der Camargue von den etwas elitären Weinbauern des Châteauneuf-du-Pape immer wieder gehänselt worden seien, sie produzierten Scheisswein. Also beschloss einer von ihnen, tatsächlich einen solchen herzustellen, einen «vin de merde». Es sei hier verraten: Der «Scheisswein» schmeckt köstlich. Fast so gut wie die erlesenen Tropfen, die uns Weinhändler Stéphane Taupin in seinem Laden in Châteauneuf-du-Pape kredenzt.
Der Disput zwischen den Winzern wird uns ebenso wie die wunderbare Landschaft rund um den Luberon lange in Erinnerung bleiben. A votre santé!
Die Reisereportage ist in Zusammenarbeit mit Eurobus entstanden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.