Neuer Vorschlag zum KriegsmaterialgesetzFDP-SP-Deal soll Waffenweitergabe an die Ukraine ermöglichen
Die Ukraine soll doch noch via andere Länder Waffen aus Schweizer Produktion erhalten. Darauf einigte sich eine knappe Mehrheit einer Nationalratskommission. Entscheiden wird das Parlament.
Noch am Sonntag drohte das Projekt zu scheitern. In den vergangenen Wochen suchten Sicherheitspolitiker im Bundeshaus fieberhaft nach Wegen, Waffen aus Schweizer Produktion für die Ukraine freizugeben. Mehrere Vorschläge lagen auf dem Tisch, doch die Sicherheitspolitischen Kommissionen (SIK) von National- und Ständerat waren sich uneinig (lesen Sie hier mehr darüber).
Nun zeichnet sich ein Ausweg ab: In der Nationalratskommission haben FDP und SP in der Nacht auf Dienstag einen Kompromiss gefunden, der den Absturz des Geschäfts mindestens vorderhand verhindert. Die Nationalratskommission hat sich im Grundsatz für den Vorschlag der Ständeratskommission ausgesprochen – allerdings in angepasster Form.
Der Entscheid fiel äusserst knapp: Mit 12 zu 10 Stimmen bei 3 Enthaltungen votierte die Kommission für den Kompromissantrag, den FDP-Nationalrätin Maja Riniker eingebracht hatte. Dem Vernehmen nach stimmten FDP, SP und Mitte mehrheitlich zu. Dagegen stellten sich SVP und Grüne, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.
Die Befürworterinnen und Befürworter argumentieren, die geltende Gesetzgebung hindere die Abnehmerländer von Schweizer Kriegsmaterial daran, die Ukraine zu unterstützen. Damit stosse die Schweiz bei ihren Partnern auf grosses Unverständnis.
Zur Debatte steht eine Änderung des Kriegsmaterialgesetzes. Gemäss diesem ist es allen Ländern untersagt, von der Schweiz erworbene Waffen weiterzugeben. Sie müssen beim Erwerb eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung unterzeichnen.
Weitergabe nach fünf Jahren – unter Bedingungen
Der Kompromissvorschlag sieht nun so aus: Die Nichtwiederausfuhr-Erklärung für Schweizer Waffen soll ausnahmsweise auf fünf Jahre befristet werden können, wenn ein Land dieselben Werte wie die Schweiz vertritt und über ein ähnliches Exportkontrollregime verfügt. Befindet sich das Bestimmungsland im Krieg, ist die Weitergabe nur dann erlaubt, wenn das Land von seinem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch macht. Entweder der UNO-Sicherheitsrat oder die UNO-Generalversammlung (mit Zweidrittelsmehrheit) muss festgestellt haben, dass das Land völkerrechtswidrig angegriffen wurde.
Mit anderen Worten: Deutschland könnte Munition, das es vor Jahren in der Schweiz gekauft hat, an die Ukraine liefern, sobald das neue Gesetz in Kraft tritt.
Sind diese Bedingungen erfüllt, kann der Bundesrat Nichtwiederausfuhr-Erklärungen, die mehr als fünf Jahre vor der Gesetzesänderung unterzeichnet worden sind, für aufgehoben erklären. Mit anderen Worten: Deutschland könnte Munition, das es vor Jahren in der Schweiz gekauft hat, an die Ukraine liefern, sobald das neue Gesetz in Kraft tritt.
Bei der neuen Variante handelt es sich um eine Fusion der Vorschläge von FDP und SP. Aus dem Vorschlag von FDP-Präsident Thierry Burkart stammt die Befristung der Nichtwiederausfuhr-Erklärungen, aus dem SP-Vorschlag die Bedingung mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.
Im Unterschied zum ursprünglichen Vorschlag der Ständeratskommission lässt der Kompromissvorschlag ausserdem dem Bundesrat mehr Spielraum. Aus Muss-Bestimmungen wurden Kann-Bestimmungen: Die Nichtwiederausfuhr-Erklärungen können befristet werden, der Bundesrat kann sie aufheben.
Weil es sich um den angepassten Vorschlag der Ständeratskommission handelt, sind die Chancen intakt, dass diese zustimmen wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Ukraine sofort Munition erhält. Mit dem Ja beider Kommissionen beginnen die eigentlichen Gesetzgebungsarbeiten erst. Zunächst muss die Kommission einen Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung schicken, dann berät das Parlament. Stimmt es zu, ist noch ein Referendum möglich. Aus heutiger Sicht ist daher unwahrscheinlich, dass die Gesetzesänderung vor Anfang 2024 in Kraft treten kann.
Parallel dazu bleibt eine parlamentarische Initiative für eine Lex Ukraine im Spiel. Diese basiert auf einem Vorschlag der Mitte. Sie verlangt eine explizite Ausnahme nur für die Ukraine: Nichtwiederausfuhr-Erklärungen sollen nicht gelten, wenn es um die Ukraine geht. Weil die Ständeratskommission diese Variante aber ablehnt, hat sie geringe Chancen. Die Nationalratskommission will den Vorschlag dennoch ins Parlament bringen. Auch eine Motion der SP bleibt vorerst im Spiel, obwohl diese nun in den neuen Vorschlag eingeflossen ist.
Waffen auch für Russland?
Im Parlament wird die Sache noch zu reden geben: Die SVP-Fraktion beschloss am Freitag einstimmig, jegliche Änderung des Kriegsmaterialgesetzes abzulehnen, die Waffenlieferungen an die Ukraine ermöglichen würde. Auch die Grünen sprachen sich an ihrer letzten Delegiertenversammlung mit grosser Mehrheit gegen eine Lockerung der Regeln aus.
Der Bundesrat hat bisher sämtliche Gesuche um Weitergabe von Schweizer Waffen abgelehnt. Dabei stellte er sich auf den Standpunkt, eine Bewilligung würde nicht nur das Kriegsmaterialgesetz verletzen, sondern auch das neutralitätsrechtliche Gleichbehandlungsgebot der Kriegsparteien.
Darauf weisen auch Völkerrechtsexperten hin. Aus Sicht von Marco Sassòli, Professor an der Universität Genf, geht es in dieser Frage um den Kern des internationalen Neutralitätsrechts. Das Haager Abkommen von 1907 verpflichtet die Schweiz, kriegsführende Länder gleich zu behandeln. Zwar muss die Schweiz nicht verhindern, dass ein anderes Land Schweizer Munition weitergibt. Tut sie das aber, kann sie nicht nach Ausbruch eines Krieges die Regeln ändern. Denn damit würde sie aktiv dazu beitragen, dass ein kriegsführendes Land Waffen erhält, argumentiert Sassòli.
Im Grunde – so das Argument der Kritiker – müsste die Schweiz dann ein Gesuch um die Wiederausfuhr von Waffen an Russland ebenfalls bewilligen. Zu einem anderen Schluss kommt der Völkerrechtsexperte Thomas Cottier. Aus seiner Sicht könnte der Bundesrat sogar ohne Änderung des Kriegsmaterialgesetzes die Weitergabe von Waffen ermöglichen.
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