Fashion-Week in ParisDrei neue Designer sorgen für eine Wiedergeburt der Mode
Der Pariser Laufsteg schient ausgebrannt. Nun sorgen fantastische Debüts bei Givenchy, Dries Van Noten und Tom Ford für neue Aufmerksamkeit.

- Haider Ackermann feiert das Debüt bei Tom Ford mit subtiler Sinnlichkeit und Leder.
- Givenchy kehrt mit Sarah Burton zu seinen handwerklichen Wurzeln zurück.
- Julian Klausner lässt bei Dries Van Noten Farben auf Muster prallen.
- Nach einer Zeit der Einfallslosigkeit kehrt die Mode in Paris zu ihrer Essenz zurück.
Die Pforte zum Laufsteg ist eine Schleuse zwischen Wirklichkeit und Traum. Backstage: grelles Licht, Herumgerenne, panische Kakofonie. Draussen: Dunkelheit, Erwartung, heilige Stille. Das erste Model der ersten Show von Haider Ackermann für Tom Ford tritt in diesen illuminierten Guckkasten hinein und erstarrt einen Augenblick lang im Profil – der Look erst als Scherenschnitt erkennbar, bevor er mit wiegenden Schritten und dem Aufblenden der Scheinwerfer allmählich zur Welt kommt. Kalkweisses Gesicht, lackrote Lippen. Bikerjacke und Hose aus schwarzem Leder, nadelspitze Stilettos.

Im Saal an der Pariser Place Vendôme und weltweit vorm Livestream erhöht sich bei den Betrachterinnen jetzt der Pulsschlag, es ist ein köstlicher Moment. Alles in der Schwebe, alles noch denkbar, Niederlage und Triumph. Wie lange hat es das nicht mehr gegeben: dass einer kam und sie alle mit einem Schlag elektrisierte?
Aus dem Handbuch für Designerdebüts: Du musst das Erbe der Marke ehren, aber Dinge zeigen, die noch keiner je sah. Es muss komplex sein, damit die Modekritiker einander ihr Wissen und ihre assoziative Brillanz hinreiben können; aber bitte nicht so verkopft, dass es die Kundin im Laden nicht versteht. Dein Werk muss auf einer «Vogue»-Doppelseite, auf dem roten Teppich und auf Tiktok funktionieren, es muss der Gen Z genauso den Lustschweiss auf die Stirn treiben wie den Boomern, wo ja immer noch das Geld sitzt. Vor allem muss es sich verkaufen. Eine Verdoppelung des Umsatzes im zweiten Jahr wäre wünschenswert.
Im digitalen Zeitalter sind alle diese Ansprüche exakt ein einziges Mal erfüllt worden, am 25. Februar 2015, als Alessandro Michele seine erste Kollektion für Gucci zeigte. Es ist seither die erbarmungslose Blaupause für erfolgreiche Debüts – die lange Liste der nach wenigen Saisons schon wieder aussortierten Kreativchefs beweist es. Haider Ackermanns Vorgänger bei Tom Ford wurde nach nur einem Jahr vom Hof gejagt.
Intellektuelle Designs und sinnlicher Glamour
Ackermann, gebürtiger Kolumbianer, 53 Jahre alt und Fords Wunschkandidat für diesen Job, ist natürlich nicht der klassische Novize. Mit seinem eigenen, inzwischen stillgelegten Label hat er die Modekritik und Designer wie Karl Lagerfeld und Jean Paul Gaultier nachhaltig beeindruckt; er steht für intellektuelle Designs, sinnlichen Glamour und Juwelenfarben, die aus der Finsternis herausleuchten. Tom Ford wiederum steht immer noch für Sex. Das ist das Interessante an dieser Paarung.
Was Ackermann dann alles nicht zeigt: freigelegte Pobacken und Brüste, Luft abklemmende Röhrenhosen, irgendein Zitat aus Fords Boom-Achtzigern bei Gucci. Kein einziger Minirock! Der Sex ist trotzdem da, wenn auch subtiler.



Gänsehaut. Man addiere Schwarz, viel Leder und die lässigen, aber immer noch rasant geschnittenen Tom-Ford-Anzüge und hat die Marke schlagartig in der Gegenwart. Es ist, auf dem Laufsteg, ein Triumph. Alles Weitere entscheidet sich im Herbst an der Kasse.
Nächstes Debüt, diesmal bei einer der edlen Pariser Maisons: Givenchy. Hier steht nach der schwer vergeigten Regentschaft von Matthew Williams noch viel mehr auf dem Spiel, es geht um die Identität der Marke. Wer ausser Champagner süffelnden Silver Agern hätte noch präsent, wofür sie einmal stand (Eleganz, armlange Satinhandschuhe, Audrey Hepburn vorm Schaufenster von Tiffany’s – anybody?). Die Kollektion für Herbst/Winter ist folgerichtig eine Reise zurück zum Ursprung, ausbuchstabiert im ersten Look:

Die Designerin, die sich das ausgedacht hat, ist die Britin Sarah Burton. Langjährige Assistentin und schliesslich die Nachfolgerin von Alexander McQueen, nachdem dieser sich im Drogenrausch erhängt hatte. Eine scheue Frau, sie hat in all den Jahren kaum Interviews gegeben und lieber ihre Arbeit für sich sprechen lassen – die stets makellos war, manchmal spektakulär gut.



Es ist eine Rückbesinnung auf die Handwerkskunst dieses alten Hauses, dabei skrupellos modern, ganz ohne eitle Effekte. Standing Ovations.
Das letzte Debüt der Pariser Modewoche ist dagegen fast schon eine private Angelegenheit: Der Belgier Julian Klausner (33) übernimmt nach sechsjähriger Assistenz den Kreativjob bei Dries Van Noten von dem Belgier Dries Van Noten (66), bei besten Umsätzen und in allerschönstem Einvernehmen. Hier muss kein neuer Look erfunden werden, siehe den bewährten Clash der Muster und der Farben (Safran, Meergrün, loderndes Lila), den Reichtum der Stickereien und Details.


Ein ästhetischer Genuss, und wenn es irgendetwas auszusetzen gibt, dann, dass eine eigene Handschrift noch nicht wirklich erkennbar ist. Aber sie wird kommen.
Drei Neuanfänge also, die hoffen lassen. Bedenkt man ausserdem, dass Maria Grazia Chiuri bei Dior in Kürze sehr wahrscheinlich durch den Loewe-Designer Jonathan Anderson ersetzt wird und der von Bottega Veneta kommende, kaum minder brillante Matthieu Blazy im Herbst bei Chanel die Arbeit aufnimmt, ist das Jahr 2025 so etwas wie der Nullpunkt der Mode. Stop und Reload. Und das war überfällig.
Es ist Vertrauen verloren gegangen, an wirklich allen Fronten. Vertrauen in die Fairness des Produktionsprozesses, die herausragende Qualität der Ware, die Plausibilität der aufgerufenen Preise. 5600 Franken für eine weisse Jeans von Chanel: Ist das noch geistig verwirrt oder schon Aktionskunst? Nachdem der Kaufrausch der Post-Pandemie abgewickelt war, sah man es den Umsätzen erstmalig an. Sie sanken.
Geradezu niederschmetternd aber war die Einfallslosigkeit der Designs. Die Pariser Fashion Week, kreatives Hochamt der Branche, war in den vergangenen Saisons wie ausgeblutet. Keine Ideen, keine Relevanz, kein Aufjapsen im Publikum – nicht mal aus Empörung. Die neuen Kleider wurden über den Laufsteg bugsiert, na klar, es musste ja weitergehen. Gebraucht hat sie streng genommen keiner.
Was man diesmal in Paris zu sehen glaubt, ist eine Rückkehr zur Essenz. Als müsse die Luxusmode sich selbst versichern, dass sie noch für irgendetwas gut ist, womöglich – shocking! – sogar für etwas Praktisches. Bei Balmain hat Olivier Rousteing die Glitzerfassade abgeräumt; statt Perlen, Pailletten und Powerschultern zeigt er wahrhaftig Strick. Der Lärm und der Sex seiner Kleider seien ihm ein wenig auf den Nerv gegangen, sagt er backstage. «Ich wollte eine neue Weichheit kreieren, Formen, die einen einhüllen.»

Rick Owens, dessen Zombie-äugige Überfrauen ihre ganz eigene Schönheit haben, wenn auch kaum etwas je tragbar war, übt sich diesmal in Reduktion. Er zeigt Basics: Ziegenfelljacken und Ledermäntel mit Draculakragen, Lamellentops und -anoraks, bodenlang geschlitzte Denimröcke. Da sieht man erst mal, was für ein fantastischer Schneider der Mann ist.

Dass in dieser Reihe auch Balenciaga auftaucht, hätte vor zwei Saisons noch keiner für möglich gehalten. Es ist, als habe der Designer Demna aus seinen Riesenmänteln, Riesenschultern und Riesensneakers die Luft rausgelassen: Alles ganz normal proportioniert, vom Anzug bis zum Abendkleid, fast klassisch.


Tailoring – die Kunst, allein mit den Mitteln des Stoffs und des Schnitts einen Look zu erschaffen – ist die Disziplin der Stunde und die Sanduhr ihre bevorzugte Silhouette. Die extremste Sanduhr ist natürlich das Korsett, der Frauenverbieger schlechthin. Bei Schiaparelli sieht man die Corsage eines Showgirls, komplett mit Federn und Lametta. Aber sie wird nicht getragen: Sie ist vorn auf einen taillierten Blazer gestickt.

Die Kollektion mit einem Western-Motiv (Cowboystiefel, Fransen, Dreifachgürtel wie Revolvergurte) ist eine Studie weiblicher Selbstermächtigung.


Maximalistischer wird es bei dieser Fashion Week nicht mehr. Das heisst, Moment: Da ist ja noch Alessandro Michele. Der Mann, dem bei Gucci das Kunststück gelang, den Umsatz in vier Jahren um das Zweieinhalbfache zu steigern. Play it again: Das war die Erwartung bei seinem Wechsel zu Valentino. Eine Prêt-à-porter- und eine Couture-Kollektion später gibt es noch keine offiziellen Zahlen, aber ein gemischtes Echo: Zu kostümig, zu überladen, too much Gucci, raunen die Kritiker.

Das Defilee für Herbst findet in einer öffentlichen Toilette statt. Was man sich erst mal trauen muss bei Valentino, der römischen Zentrale der Schönheit (und die Frage bleibt, was damit eigentlich gesagt werden soll). Es ist natürlich keine echte, sondern eine Fake-Toilette, nur für diese halbe Stunde ans Ufer der Seine montiert. Ein Valentino-rotes Geviert aus viermal 20 Klotüren, Spiegeln und Waschbecken.
Zu kreischenden Technobeats wird es von 80 eklektischen Geschöpfen der Clubnacht aufgesucht, alle Altersgruppen in unterschiedlichen Stadien des Rauschs und der Entblössung. (Eine Retro-Sehnsucht, wie Michele bei der Pressekonferenz später einräumt: Techno, Clubbing, die Toilette als Fluchtpunkt, das gebe es so ja alles nicht mehr.)
Die Kollektion? Wird seine Kritiker bestätigen und reisst seine Fans noch während der Show zu Entzückensschreien hin. Man muss im Sturm all der Stile und Ideen schon sehr tief schürfen, aber:




Jetzt müssten wir eigentlich noch etwas zu den Pelzen sagen, die nach ihrem Coming-out in Mailand genauso in Paris vorhanden waren, was auf Dauer ermüdete und nicht immer gut aussah. Wir müssten der explosiven Tierschützer wegen hinzufügen, dass es sich aber meist um Kunstpelz handelte oder um spezial behandeltes Lammfell und dass es dem Nerz vermutlich egal ist, ob er nach seinem Dahinscheiden im Tierfutter landet oder getragen wird, solange er vorher ein besseres Leben gehabt hat als all die Batteriehühner, nach denen gewöhnlich kein Hahn kräht. Stattdessen schreiben wir zum Schluss aber lieber über Coperni.

Das noch junge französische Label sieht sich als Schnittstelle zwischen Mode und Techkultur, die Shows sind wegen ihrer aufwendigen Performances begehrt. Wenn man sich in Paris hier und da fragte, wo bei aller Ernsthaftigkeit eigentlich der Spass geblieben war: Bei Coperni in der Adidas-Arena gab es Popcorn und Hotdogs, auf dem Spielfeld sassen als Kulisse 250 miteinander verkabelte Gamer und liessen die Bildschirme glühen.
Als die von Computer-Spielfiguren inspirierte Kollektion vorüberzog, übertrug sie der Livestream der Profis zwangsläufig in alle Welt. Die Gamer selbst sahen inzwischen nicht einmal auf. «Fortnite» und «Rocket League» fanden sie spannender.
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