Fall Wilson A. am Zürcher ObergerichtFreispruch für Polizisten, der herzkranken Mann gewürgt haben soll
Das Obergericht hat dem Beamten zudem 48’000 Franken Prozessentschädigung zugesprochen. Das Publikum reagierte entsetzt.
Lendenwirbel gebrochen, Meniskus gerissen, Adduktoren gezerrt, Blutungen im Auge, geschwollener Hals, tagelange Schluckbeschwerden. Das sind die schwersten Folgen eines Polizeieinsatzes gegen den heute 50-jährigen, herzkranken Wilson A.
Doch was genau ist in jener Oktobernacht vor bald fünfzehn Jahren passiert? Sicher ist, dass der dunkelhäutige Wilson und sein Freund im Tram hätten kontrolliert werden sollen. Doch der Einsatz artete aus. Umstritten ist dies: Hat die dreiköpfige Patrouille ohne Anlass überreagiert – oder ist Wilson selbst schuld, weil er ausflippte? Und: Wussten die Beamten von dessen eben erst eingesetztem Defibrillator?
Diese Frage beschäftigte am Donnerstag das Zürcher Obergericht. Es musste in zweiter Instanz über den Fall urteilen. Und es kam zum Schluss, die Polizei habe korrekt gehandelt.
Bezirksgericht fand Einsatz verhältnismässig
Schon das Bezirksgericht Zürich hatte die heute 46-jährige Polizistin I., den 37-jährigen Polizisten B. sowie den 48-jährigen Patrouillenführer Z. im Jahr 2018 freigesprochen. Wilson habe die Beamten angegriffen, sie hätten darauf verhältnismässig reagiert. Dass er auf seine Herzoperation hingewiesen habe, sei nicht belegbar.
Wilson A. war mit dem Urteil nicht einverstanden. Er legte zunächst gegen alle drei Freisprüche Berufung ein. Im Fall von I. und B. zog er diese dann zurück; im Fall des Patrouillenführers Z. hielt er aber daran fest.
Todesangst und Panikmodus
Wilson A.s Anwalt verlangte einen Schuldspruch wegen versuchter eventualvorsätzlicher Tötung und Amtsmissbrauchs. Z. habe gegen Wilson den sogenannten Blutwürger angewendet, ein Griff von hinten an den linken Hals, der die Blutzufuhr im Gehirn drosselt. «Dieser Griff führt zur Ohnmacht und kann lebensgefährlich sein», sagte der Anwalt.
In diesem Moment habe Wilson geglaubt, er würde sterben. Er habe in den Panikmodus geschaltet, keinen Schmerz mehr gespürt und sich gewehrt – was weitere Gewalt und Schläge von allen drei Beamten nach sich zog.
Aus Sicht des Anwalts kann I. und B. aber nur bedingt ein Vorwurf gemacht werden: «Sie waren Z. unterstellt. Er schickte sie ins Feuer.» B. sei damals ein Neuling und vollkommen überfordert gewesen, I. sei Wilson und seinem Begleiter als Frau körperlich unterlegen gewesen.
Die Verletzungen von Wilson A. belegten den Gewaltexzess zweifelsfrei, sagte der Anwalt. Das gelte insbesondere für die Blessuren an Hals und Kopf: «Das sind klassische Würgefolgen.»
Verteidiger plädiert nur fünf Minuten
Polizist Z. wies in einer knappen Befragung vor dem Obergericht jeden Vorwurf zurück. Er habe keinen Würgegriff angewandt, und er habe nicht gehört, dass Wilson auf seine Herzoperation hingewiesen habe. An viel erinnern könne er sich nach all den Jahren aber nicht mehr. Er müsse auf die früheren Befragungen und den Wahrnehmungsbericht verweisen, den er unmittelbar nach dem Vorfall geschrieben habe.
Sein Verteidiger beschränkte sich auf ein 5-Minuten-Plädoyer. Wer die Akten kenne, wisse, dass nichts von dem stimme, was Wilsons Anwalt ausgeführt habe: «Aber er würde uns auch weismachen wollen, ein Löwe sei eine Kuh.»
Wilson habe verhaftet werden müssen, «weil er sich fürchterlich über die Kontrolle aufregte und die Beamten überraschend und unbändig angriff». Die ärztlich dokumentierten Verletzungen bezweifelte der Verteidiger von Z. Er verwies auf ein Foto, das Wilson A. mit verschränkten Armen und «in wehrhafter Stellung» kurz nach der Verhaftung zeigt: «Verletzungen sind darauf nicht ersichtlich.»
Kundgebung vor dem Prozess
Der Prozess sorgte schon im Vorfeld für grossen Wirbel. Die Allianz gegen Racial Profiling und weitere linke Kreise hatten zu einem gemeinsamen Prozessbesuch aufgerufen. Vor dem Obergericht kam es eine halbe Stunde vor Beginn zu einer Kundgebung.
Rund fünfzig Wilson-Unterstützer verfolgten die Verhandlung im Saal – sehr zum Unwillen des vorsitzenden Richters, der zur Ruhe mahnte. Es gehe vor Obergericht allein um eine Rechtsfrage. «Politische Äusserungen dulde ich hier nicht.»
Dennoch raunte das Publikum höhnisch, als Polizist Z. in der Befragung sagte, das lange Verfahren belaste ihn privat. Worauf der Richter drohte, die Öffentlichkeit auszuschliessen.
Gericht: Verletzungen beweisen Würgen nicht
Auch während der Urteilseröffnung reagierte das Publikum einmal so ungehalten, dass der Richter damit drohte, den Saal zu räumen. Grund war die Entschädigung von 48’000 Franken, die Z. erhalten soll.
Zuvor hatte das Obergericht den Freispruch bekannt gegeben. Laut dem Gerichtsvorsitzenden sind die Schilderungen der drei Beamten in der Strafuntersuchung schlüssig und glaubhaft gewesen. Wilsons Aussagen hingegen widersprüchlich und unkonstant.
Zudem bewiesen weder die Verletzungen noch die übrigen Akten, dass Wilson A. gewürgt worden sei. Die Aktenlage sei so klar, dass Z. selbst dann freigesprochen worden wäre, wenn alle drei Polizisten in der Strafuntersuchung jede Aussage verweigert hätten.
Wilson wollte sich nach dem Prozess nicht zum Urteil äussern. Sein Anwalt kündigte an, den Fall wenn nötig bis nach Strassburg zu ziehen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.