«Können Vergangenheit nicht ruhen lassen»Todesfälle in der Uniklinik für Herzchirurgie werden untersucht
Das Zürcher Universitätsspital setzt in der Affäre um die Herzklinik unter der Leitung von Francesco Maisano eine externe Taskforce ein, um die Mortalität zu durchleuchten.
Alle wichtigen Entscheidungsträger am Universitätsspital Zürich (USZ) sind zum Mediengespräch gekommen: CEO Monika Jänicke, Spitalratspräsident André Zemp und auch Omer Dzemali, Leiter der Herzchirurgie, sitzen am Mittwoch in der «Alten Anatomie». Was sie zu sagen haben, klingt zuerst unverfänglich: Man habe viel unternommen, um die Ereignisse an der Klinik für Herzchirurgie im Jahr 2020 aufzuarbeiten, und wichtige Massnahmen ergriffen. Qualität, Patientenwohl und Mitarbeitende seien zentrale Bestandteile der Spitalstrategie.
Doch dann überrascht der Spitalratspräsident: «Wir haben beschlossen, dass wir eine unabhängige Taskforce mit Spezialisten aus dem Ausland beauftragen, um sämtliche Todesfälle von 2016 bis 2020 anzuschauen.» Die Glaubwürdigkeit des Universitätsspitals und das Vertrauen in die Institution seien entscheidend, so Zemp. «Darum können wir die Vergangenheit noch nicht ruhen lassen.» Man sei nicht glaubwürdig, «solange wir nicht genau hinschauen und aus Fehlern lernen».
Taskforce «so schnell wie möglich» einsetzen
Damit wird die Affäre um die Herzklinik nochmals aufgerollt. Öffentlich gemacht wurde sie im April 2020 durch Recherchen dieser Redaktion. Ein Leitender Arzt der Herzklinik meldete im Dezember 2019 gegenüber der Spitalleitung Vorwürfe gegen seinen Chef Francesco Maisano. Konkret warf der Whistleblower dem Klinikchef vor, er habe schwerwiegende Komplikationen bei Operationen mit eigenen Implantaten verschwiegen, wissenschaftliche Publikationen geschönt und finanzielle Interessen nicht offengelegt. Insgesamt meldete der Leitende Arzt mehr als zehn exemplarische Fälle, die aufzeigen sollten, dass an der Klinik für Herzchirurgie das Wohl der Patientinnen und Patienten gefährdet worden sei.
Francesco Maisano bestritt die Vorwürfe in der Folge konsequent. Das USZ und die Universität Zürich veranlassten Untersuchungen, die verschiedene Vorwürfe bestätigten. Doch das USZ betonte stets, dass keine Patientinnen und Patienten gefährdet wurden.
«Ich werde nicht schweigen zu den Toten»
Mit der am Mittwoch angekündigten Taskforce reagiert das USZ nun unter anderem auf einen Auftritt von Professor Paul Vogt vor Gericht. Er hatte die Klinikleitung nach dem Abgang von Maisano im Sommer 2020 übernommen. Eine anonyme Strafanzeige gegen ihn wegen eines Todesfalls führte zu einem Ermittlungsverfahren.
Vor drei Wochen stand Vogt deshalb vor Gericht – und wurde freigesprochen. Er berichtete an der Verhandlung von Missständen an der Herzklinik, die er angetroffen habe. Deshalb habe er drei Wochen nach Stellenantritt eine ausführliche E-Mail an die Spitalleitung geschrieben, erzählte Vogt der Richterin und zitierte aus der Nachricht: Das Statement, «Patienten sind keine zu Schaden gekommen», wie es das Unispital wiederholt geäussert habe, sei auf keine erdenkliche Art und Weise haltbar. «Je länger man diese Behauptung im Raum stehen lässt, desto desaströser, wenn herauskommt, dass dieses Statement von Beginn weg schlicht gelogen war», schrieb Vogt seinen Vorgesetzten – und fügte hinzu: «Ich werde nicht schweigen zu den Toten.»
Offenbar haben Vogts Äusserungen im Gerichtssaal die Verantwortlichen des USZ aufgerüttelt. Am Mediengespräch vom Mittwoch betonte CEO Monika Jänicke, dass die angekündigte Taskforce «völlig unabhängig» arbeiten werde. Sie hoffe, im Herbst mit der Zusammenstellung der Expertengruppe zu beginnen. «So schnell wie möglich.»
Zwar hat eine externe Anwaltskanzlei die Affäre unter Beizug von Experten bereits untersucht. Ein rein medizinisches Gutachten zu den gemeldeten Fällen liegt bislang aber nicht vor.
Der Whistleblower kritisierte auch eine erhöhte Mortalität. Genau das will Jänicke nun untersucht haben: «Es ist unser klarer Wille, dass dies medizinisch aufgearbeitet wird.» Auch der neue Klinikchef Omer Dzemali äusserte sich positiv: «In der Herzchirurgie geht es um Leben und Tod, ob man will oder nicht.» Dennoch sei er froh, wenn nun alles sauber aufgearbeitet werde.
Spitalratspräsident Zemp betonte am Mittwoch, dass sich die neue Untersuchung auf die Todesfälle konzentrieren werde. Damit schliesst er derzeit eine genaue Untersuchung aller ursprünglich vom Whistleblower gemeldeten Fälle aus. Nur bei einem Teil dieser Patientinnen und Patienten führten die Operationen zum Tod, es gab aber Komplikationen beim Einsatz von Implantaten. Bei einer Patientin riss beispielsweise während der Operation ein Draht des Implantats, was in einer späteren wissenschaftlichen Publikation verschwiegen wurde. Bei einem anderen Patienten lösten sich Schrauben des Implantats im Herz – der Mann musste von Herzchirurg Thierry Carrel später erneut operiert werden.
Erst eine genaue medizinische Begutachtung würde zeigen, ob die Herzklinik bei den gemeldeten Fällen das Wohl der Patientinnen und Patienten gefährdet hat. Es sei nicht ausgeschlossen, dass nach der Untersuchung der Todesfälle die Abklärungen später auf weitere Fälle ausgedehnt würden, heisst es beim USZ.
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