Ex-Finanzminister Wolfgang SchäubleDeutschland kann sich «diese Asylpolitik nicht mehr leisten»
Der dienstälteste Abgeordnete Deutschlands, der in den Neunzigerjahren den grossen Asylkompromiss verhandelt. Wolfgang Schäuble spricht über die Lehren von damals und Probleme von heute.
Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat sich für eine Absenkung der Sozialleistungen für Asylbewerber ausgesprochen. «Wir müssen einsehen, dass wir uns diese Asylpolitik nicht mehr leisten können», sagt der 81-jährige CDU-Politiker im Interview mit dem Portal Zeit Online. Er sehe Spielräume, Sozialleistungen zu senken.
«Wenn wir ein höheres Sozialleistungsniveau anbieten, brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die Menschen versuchen, möglichst nach Deutschland zu kommen», sagte der frühere Innen- und Finanzminister. «Also brauchen wir ein einheitliches, europäisches Niveau.»
Schäuble warnte die Politik davor, mit Verweis auf das Bundesverfassungsgericht entsprechende Diskussionen nicht zu führen: «Das Argument, das Verfassungsgericht mache nicht mit, ist ein Erklärungsversuch der Politik, die über diese Fragen nicht entscheiden will.»
Schäuble betonte, er unterstütze Äusserungen von Altbundespräsident Joachim Gauck, der die Politik aufgefordert hatte, sich in der Migrationspolitik neue Spielräume zu erschliessen, auch wenn diese «inhuman klingen». Er sei «dankbar für die Äusserungen des Altbundespräsidenten, der ja auch schon früh darauf hingewiesen hat, dass unsere Herzen weit sind, aber unsere Möglichkeiten endlich.»
Schäuble Vorreiter des «Asylkompromisses»
Wolfgang Schäuble war unter anderem Innen- und Finanzminister, Fraktionsvorsitzender im Bundestag und kurzzeitig auch Parteivorsitzender, bevor er mit Helmut Kohl politisch über die Spendenaffäre stürzte.
Der »Asylkompromiss« aus den Neunzigerjahren, Schäuble war damals Innenminister, gehört zu den umstrittensten politischen Entscheidungen in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Denn dieser erschwerte den Zugang zum deutschen Asylverfahren, so dass die Zahl der Asylbewerber im Laufe der Jahre nach 1993 stark zurückging.
Scholz: Ankunftszahlen sind «zu hoch»
In der Politik steigt der Handlungsdruck in der Flüchtlingsfrage. Auch Kanzler Olaf Scholz bezeichnete die Zahl der derzeit ankommenden Flüchtlinge am Wochenende als «zu hoch». Die Union forderte ihn zu Gesprächen über die Migrationsfrage direkt nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern auf. Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP will Sozialleistungen an Asylbewerber künftig über Bezahlkarten statt Bargeld abwickeln, um Anreize zur Flucht nach Deutschland zu verringern.
«Es kann ja nicht bleiben wie bisher», sagte Scholz den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom Samstag. «Mehr als 70 Prozent aller Flüchtlinge, die in Deutschland ankommen, sind vorher nicht registriert worden, obwohl sie nahezu alle in einem anderen EU-Land gewesen sind.» Er äusserte die Hoffnung, dass Massnahmen wie verstärkte Grenzkontrollen mit Nachbarländern und ein stärkerer Schutz der EU-Aussengrenzen sich «schnell bemerkbar» machen.
Söder: Sachleistungen anstelle von Bargeld
Er biete Scholz an, am Tag nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern am kommenden Wochenende zusammenzukommen, «um gemeinsam das Problem der illegalen Migration nach Deutschland schnell zu lösen», erklärte CDU-Chef Friedrich Merz. Es werde «Zeit, dass wir uns zusammensetzen».
In Bayern hatte CSU-Ministerpräsident Markus Söder vor einigen Wochen angekündigt, abgelehnte Asylbewerber nur noch mit Sachleistungen statt Bargeld zu unterstützen. Sie sollen dafür Chipkarten zum Einkauf von Waren des täglichen Bedarfs erhalten.
Flucht vor Bomben und Gewalt, nicht wegen Sozialleistungen
Der Behauptung, die deutschen Sozialleistungen führten dazu, dass sich mehr Flüchtlinge auf den Weg nach Deutschland machten, widersprach Entwicklungsministerin Svenja Schulze von der SPD: «Ich hätte dafür gerne nur einen einzigen Beleg. Der überwiegende Teil der Flüchtlinge kommt aus Kriegsgebieten!» Sie flöhen «vor Bomben und Gewalt.»
Scholz stellte unterdessen Ländern und Kommunen «ein dauerhaftes System» zur Finanzierung der Flüchtlingskosten in Aussicht. Ziel sei dabei ein «atmender Deckel», der sich an den tatsächlichen Zugangszahlen orientiere, sagte der Kanzler den RND-Zeitungen. Damit würde eine Pauschale pro ankommendem Flüchtling festgelegt. Wiederkehrende Debatten über die Höhe der Unterstützungsleistung des Bundes könnten künftig vermieden werden. Scholz zufolge soll das System bei seinem nächsten Treffen mit den Länder-Regierungschefs Anfang November auf der Tagesordnung stehen.
AFP/nag
Fehler gefunden?Jetzt melden.