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Europameisterin Michelle Heimberg
Als die Kniescheibe brach, wusste sie: «Ich muss Wasserspringerin werden»

Michelle Heimberg ist Medaillen-Gewinnerin an Olympischen Spielen und Europameisterin im Wasserspringen, am 2. Oktober 2023 in Bern. Foto: Nicole Philipp/Tamedia AG
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Zuerst zwei sanfte Hüpfer und dann, mit dem dritten, katapultiert sich Michelle Heimberg in die Höhe. Was sie zeigt: einen sauberen eineinhalbfachen Salto mit eineinhalb Schrauben. Dank ihrem letzten Sprung erhält die 23-Jährige gesamthaft 273,25 Punkte vom 1-Meter-Brett. 0,15 Punkte mehr als die Schwedin auf Rang 2. Mit ihrem letzten Sprung kürt sich Michelle Heimberg im Sommer in Krakau zur Europameisterin. Doch die Aargauerin hat ein noch grösseres Ziel vor Augen.

Seit sie acht Jahre alt war, träumte Heimberg davon, einmal an Olympia teilzunehmen. Und ihrem grossen Traum hat sie seither alles untergeordnet. Ausgelöst wurde ihre Faszination für die fünf Ringe 2008, als sie mit ihren Eltern zu Hause in Fislisbach vor dem Fernseher sass und sah, wie die beiden US-Kunstturnerinnen Shawn Johnson und Nastia Liukin an den Spielen in Peking dominierten.

Heimberg war damals Fan der beiden Überfliegerinnen und selbst eine ambitionierte Kunstturnerin. Sie galt als grosses Talent und turnte sich bis ins Schweizer Nachwuchskader. Es schien, als sei sie auf gutem Weg, sich ihren Traum dereinst erfüllen zu können. Bis sie mit zwölf Jahren vom Arzt eine niederschmetternde Diagnose erhielt: Ihre Knie halten der hohen Belastung des Kunstturnens nicht stand. Innerhalb von nur wenigen Monaten waren beide ihre Kniescheiben gebrochen. Nach einem Salto erlitt sie bei der Landung eine Fraktur im linken Knie, die rechte brach bei einem gewöhnlichen Spagatsprung in der Luft. Ohne Fremdeinwirkung. Ein Schock für die junge Turnerin. Aber kein Weltuntergang.

Knieschonend und olympisch

Was folgte, war die Suche nach einer Alternative. Zusammen mit ihrer Mutter googelte Heimberg nach einer potenziellen neuen Sportart. Diese musste grundsätzlich nur zwei Bedingungen erfüllen: Sie sollte knieschonend und natürlich olympisch sein. Nach einem eher monotonen Ruder-Probetraining stiessen die beiden auf das Wasserspringen und den Schwimmclub Aarefisch. Dort wollte man sie anfangs aber gar nicht aufnehmen. Mit zwölf Jahren, sagte man ihr, sei sie zu alt, um noch mit dem Wasserspringen anzufangen.

Doch ihre Mutter liess sich das nicht gefallen und blieb hartnäckig. Sie erklärte, dass ihre Tochter durch das Kunstturnen bereits eine solide Basis besitze – und sollte recht behalten. Heimberg durfte ein Schnuppertraining absolvieren, nur drei Wochen später stand sie bereits im regionalen Kader.

Michelle Heimberg ist Medaillen-Gewinnerin an Olympischen Spielen und Europameisterin im Wasserspringen, am 2. Oktober 2023 in Bern. Foto: Nicole Philipp/Tamedia AG

In den folgenden Jahren entwickelte sich Heimberg zu einer der besten Wasserspringerinnen im Land. In ihrer Altersstufe hatte sie rasch keine Konkurrenz mehr. Mit 16 wechselte sie deshalb den Club und ging nach Genf, wo sie unter professionelleren Bedingungen gezielt an ihrem olympischen Traum arbeiten konnte. Nur ein Jahr später schrieb die Aargauerin an den Europameisterschaften in Kiew Schweizer Sportgeschichte: Mit 17 Jahren sprang sie als Juniorin bei den Erwachsenen sensationell auf den zweiten Platz und gewann als erste Schweizerin eine EM-Medaille.

Kontroverse Entscheidung

Von aussen betrachtet schien Heimberg auf dem besten Weg, sich ihren Traum von Olympia erfüllen zu können. Während der Corona-Pandemie absolvierte sie die Spitzensport-RS in Magglingen, wodurch sie trotz Lockdown gute Trainingsmöglichkeiten vorfand. Doch nachdem die Hallenbäder Anfang 2021 wieder geöffnet hatten und Heimberg zu ihrem Club nach Genf zurückgekehrt war, kam sie zu einer einschneidenden Erkenntnis. «Es passte nicht mehr so gut wie zu Beginn zwischen der Trainerin und mir, ich fühlte mich nicht mehr wohl. Meine innere Stimme war deutlich: Entweder finde ich jemanden, mit dem es stimmt – oder ich höre auf», sagt sie.

Zu diesem Zeitpunkt war Heimberg noch nicht für die Spiele in Tokio 2021 qualifiziert, und mit dem Weltcup-Springen im Mai am selben Ort stand die letzte Qualifikationschance vor der Tür. «Psychisch stimmte es für mich nicht mehr. Ich wusste in diesem Moment: Wenn ich so weitermache, schaffe ich es nicht.»

Heimberg verliess Genf und sorgte damit in der Wassersport-Szene für Irritation. Rückblickend war es für die Aargauerin die richtige Entscheidung: Mit ihrer neuen Trainerin Beatrix Rois-Szakadati wurde das Feuer neu entfacht. «Ich fühlte mich wieder super und wie ich selbst. Ich merkte, dass wir am selben Ziel arbeiten, die Freude kam zurück», sagt Heimberg. Beim Weltcup in Tokio sprang sie auf den 10. Platz und qualifizierte sich für die Spiele. An Olympia konnte Heimberg ihre gute Form bestätigen: Als erste Schweizer Wasserspringerin überhaupt erreichte sie den Final. Sie wurde Elfte.

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Traum erfüllt? Nicht ganz. «In den Wochen nach Olympia fühlte ich eine Leere in mir. Zeitgleich realisierte ich aber auch, dass ich das, von dem ich schon als Mädchen geträumt hatte, in Tokio noch gar nicht erleben konnte», so Heimberg. Was sie damit meint: Aufgrund der Pandemie konnte sie die olympische Atmosphäre, die sich so fest bei ihr eingebrannt hatte, noch nicht spüren. «Es waren keine Zuschauer vor Ort, man war im Dorf eingesperrt. Auch Familie und Freunde konnten nicht dabei sein, und so fehlte das ganze Rundherum.» Für Heimberg lag das nächste Karriereziel deshalb auf der Hand: Paris 2024.

Die letzte Chance an der WM

Zurzeit steckt sie in einer vergleichbaren Situation wie Anfang 2021. Einen Monat nach ihrem Europameistertitel in Krakau verpasste sie es an der WM in Fukuoka, sich bei der ersten Gelegenheit für Paris zu qualifizieren. Eine Enttäuschung. «Nach der EM habe ich mich zu stark von aussen beeinflussen lassen. Ich habe den Druck viel zu sehr aufgesaugt und bin an mir selbst gescheitert», erklärt Heimberg.

Damit bleibt ihr an der WM in Doha im Februar noch eine letzte Gelegenheit, sich ihren Traum vollumfänglich zu erfüllen. Druck spürt sie deshalb nicht. «Aussenstehende sagen mir, dass ich jetzt wieder viel Druck habe. Für mich fühlt sich das aber gar nicht so an. Ich muss nur noch mal das Gleiche machen wie damals.»

Das ist einfacher gesagt als getan. Stimmt die Tagesform nicht oder unterläuft einem nur der kleinste Fehler, ist man weg. Doch Heimberg hat schon zur Genüge bewiesen, dass sie mit Situationen wie diesen umzugehen weiss.