Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Neues Weltraumteleskop Euclid
Sonde zur Erforschung der Dunklen Materie gestartet

Das Weltraumteleskop Euclid blickt bis zu zehn Milliarden Jahre in die Vergangenheit des Universums.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Wir Menschen halten uns oft für den Nabel der Welt. Doch im Weltbild der Kosmologie ist der Ort im Universum, an dem wir leben, nichts Besonderes. Und auch der Stoff, aus dem wir Menschen sind, ist kosmologisch betrachtet nur eine Randnotiz.

Der Löwenanteil vom Inhalt des Universums – rund 70 Prozent – besteht offenbar aus einer rätselhaften dunklen Energie, die das Universum seit einigen Milliarden Jahren immer schneller auseinandertreibt.

Und rund 25 Prozent vom Inhalt des Universums stellt gemäss dem aktuellen kosmologischen Modell eine ebenfalls rätselhafte dunkle Materie dar. Deren Schwerkraft soll dafür sorgen, dass die schnell rotierenden Galaxien stabil sind – ohne dunkle Materie wären sie längst auseinandergeflogen. Zudem brauchte es dunkle Materie, damit im frühen Universum so viele Galaxien entstehen konnten, wie wir sie heute beobachten.

Bekannte Materie macht 5 Prozent aus

Damit verbleiben gerade mal rund 5 Prozent vom Inhalt des Universums für die uns bekannte Materie aus Atomen, aus denen alles besteht, was wir kennen: Menschen, die Erde, alle Sterne, Galaxien und das intergalaktische Gas.

Nun soll die Raumsonde Euclid die dominante und noch immer rätselhafte dunkle Seite des Universums genauer denn je erkunden mit dem Ziel, etwas über die Natur der dunklen Materie und der dunklen Energie zu erfahren.

Wenn alles läuft wie geplant, wird Euclid am Samstagabend von der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) auf den Weg zum sogenannten Lagrange-Punkt L2 gebracht, etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, wo sich die Schwerkraft von Sonne und Erde gerade die Waage hält. Dort befindet sich auch das Weltraumteleskop James Webb.

Eigentlich hätte Euclid bereits im vergangenen Jahr mit einer russischen Sojus-Rakete starten sollen. Doch wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat die ESA auf eine Falcon-9-Rakete des US-amerikanischen Raumfahrtunternehmens Spacex umgesattelt.

Vom Lagrange-Punkt L2 aus wird Euclid gut sechs Jahre lang tief in den Kosmos blicken und einerseits eine Art Zeitraffer von der Expansion des Universums abliefern. Auf dem Zeitraffer wird zu sehen sein, wie Millionen Galaxien im Universum verteilt sind und wie sich diese dreidimensionale Verteilung im Laufe der letzten zehn Milliarden Jahre verändert hat. Zudem wird Euclid die Form von Milliarden Galaxien ablichten. In den Bildern suchen die Forschenden nach leicht verzerrt abgebildeten Galaxien. 

«Wir hoffen, herauszufinden, welche Art von dunkler Materie und dunkler Energie im Universum vorhanden ist.»

Aurel Schneider, Universität Zürich (UZH)

«Direkt beobachten können wir weder die dunkle Materie noch die dunkle Energie», sagt Aurel Schneider von der Universität Zürich (UZH), der zusammen mit weiteren theoretischen Kosmologen der UZH an Euclid beteiligt ist. «Aber durch den Vergleich der Galaxienbilder von Euclid mit unseren Computersimulationen können wir herausfinden, welche Art von dunkler Materie und dunkler Energie tatsächlich im Universum vorhanden ist. Das ist zumindest unsere Hoffnung.»

Denn jede Art von dunkler Materie und dunkler Energie hinterlässt einen charakteristischen Fussabdruck in der dreidimensionalen Verteilung respektive in der sichtbaren Form der Galaxien.

Dunkle Materie macht sich gravitativ bemerkbar

Was die dunkle Materie betrifft, so ist diese zwar unsichtbar, sie übt aber durchaus eine Schwerkraft auf ihre Umgebung aus. Gemäss Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie verzerrt eine Anhäufung von Materie – egal ob normale oder dunkle Materie – den Raum. Diese Verzerrung wirkt wie eine optische Linse, die Licht ablenkt. Die Fachleute sprechen vom Gravitationslinseneffekt.

Befindet sich zwischen einer fernen Galaxie und uns eine gewisse Ansammlung dunkler Materie, dann wirkt diese als Gravitationslinse: Sie verzerrt aus unserer Perspektive das Bild der Galaxie. Mit statistischen Methoden wollen die Forschenden aus der leichten Verzerrung der von Euclid abgelichteten Galaxien etwas über die Natur der dunklen Materie erfahren. «Im einfachsten Fall wechselwirkt die dunkle Materie tatsächlich nur über die Gravitation», sagt Schneider. «Es könnte aber auch sein, dass die dunkle Materie zum Beispiel mit anderen Materieteilchen interagiert oder gar mit sich selbst. Ob dem so ist, können wir direkt daran erkennen, wie sich die verzerrten Galaxien im Universum präsentieren.»

Verschiedene Varianten der dunklen Materie unterscheiden sich auch durch das Tempo, mit dem die Teilchen im Weltall unterwegs sind. Bei langsamen Teilchen spricht die Fachwelt von kalter dunkler Materie. Ein Beispiel dafür sind schwach wechselwirkende massive kosmische Teilchen, die sogenannten Wimps, die von manchen physikalischen Theorien vorhergesagt werden.

Bei der dunklen Materie könnte es sich aber auch zum Teil um schnelle und in der Sprache der Kosmologie «heisse» Teilchen handeln. Ein Beispiel dafür sind Neutrinos. Es könnte auch etwas zwischen kalter und heisser dunkler Materie geben, genannt warme dunkle Materie.

Ausschnitt aus der Euclid-Flagship-Simulation, einer der grössten kosmologischen Simulationen, die je erstellt wurden. Sie zeigt die Verteilung der totalen Materie: dunkle Materie, Gas und Sterne zusammen. In den dichtesten Knotenpunkten (gelb) befinden sich die Galaxien. Je nach Art der dunklen Materie sieht dieses Netzwerk etwas anders aus.

Je nachdem, ob die dunkle Materie nun kalt, warm oder heiss ist, hat das Auswirkungen auf die Entstehung und damit auf die Verteilung der Galaxien im Universum. Beobachtet Euclid viele kleinräumige Ansammlungen von Galaxien, spricht das für kalte dunkle Materie. Tendenziell grossräumige Anhäufungen sprechen indes dafür, dass ein Teil der dunklen Materie heiss ist. Die warme dunkle Materie würde für eine Galaxienverteilung sorgen, die zwischen diesen Extremen liegt.

Der Natur der dunklen Energie wollen die Kosmologinnen und Kosmologen auf die Schliche kommen, indem sie schauen, ob sich die Expansion des Universums sehr gleichmässig beschleunigt. Eine homogene Expansion würde durch die sogenannte kosmologische Konstante erklärt, die Albert Einstein 1917 in seine Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie eingeführt und später als die «grösste Eselei meines Lebens» wieder verworfen hat. Die dunkle Energie wäre demnach eine Art Überdruck des leeren Raums, der die Expansion des Universums beschleunigt.

«Vielleicht finden wir, dass sich die von Euclid gemessene Expansion nicht durch eine konstante, sondern besser durch eine räumlich und zeitlich variable Grösse beschreiben lässt», sagt Schneider. Die einfachste entsprechende Substanz nennen die Kosmologen Quintessenz. Vereinfacht kann man sich die Quintessenz als Gas oder Flüssigkeit vorstellen, die das ganze Weltall füllt.

Euclid wird ein umfassendes Bild von der Entwicklung des Kosmos über die letzten zehn Milliarden Jahre geben.

Im Vergleich mit dem James-Webb-Weltraumteleskop wird Euclid zwar nicht ganz so tief in das rund 13,8 Milliarden Jahre alte Universum blicken, nicht zurück bis zur Entstehung der ersten Sterne und Galaxien. Dafür wird Euclid ein viel umfassenderes Bild von der Entwicklung des Kosmos über die letzten zehn Milliarden Jahre abgeben.

«Da die Daten von Euclid enorm genau sind, müssen auch unsere Computermodelle des Universums viel genauer sein als bisher», sagt Schneider. «Das ist eine grosse Herausforderung.»

So kam für die Berechnungen der grösste Supercomputer der Schweiz am nationalen Hochleistungsrechenzentrum CSCS in Lugano zum Einsatz. Damit wurden einerseits die Vorhersagen kosmologischer Modelle mit verschiedenen Arten dunkler Energie und dunkler Materie berechnet. Andererseits simulierten die Forschenden die gesamten Abläufe der Beobachtung, Datennahme und Auswertung der Euclid-Mission – so entstand eine Art virtuelle Euclid-Mission im Computer. Damit wird geprüft, ob alles funktioniert, von der Datennahme bis zur Auswertung. «Mit dem Erfolg dieser sogenannten Euclid-Flagship-Simulation steht und fällt der Erfolg der ganzen Euclid-Mission», sagt Schneider.

Wie Schneider sagt, ist die Kosmologie aktuell noch relativ weit von einer überzeugenden Erklärung der dunklen Materie und der dunklen Energie entfernt. «Wir hoffen natürlich, dass Experimente wie Euclid uns einen Anhaltspunkt geben, in welche Richtung es gehen könnte», sagt Schneider. «Wenn wir zum Beispiel sehen, dass die dunkle Materie nicht nur mittels Schwerkraft wechselwirkt, oder wenn wir Hinweise für mehrere verschiedene dunkle Materieteilchen finden, dann wäre das eine für die Kosmologie sensationelle Entdeckung.»

Die ersten kosmologisch relevanten Daten von Euclid sollen im Oktober 2024 bereit sein. «Dann wird es richtig spannend», sagt Schneider. Und dann werden wir hoffentlich auch besser verstehen, warum der Stoff, aus dem wir und alle Galaxien bestehen, nur eine Randerscheinung im Kosmos ist.