Sanktionen gegen RusslandÖl-Embargo steht – Preise ziehen deutlich an
Die EU-Spitzen einigen sich auf ein Importverbot für russisches Öl. Das dürfte auch die Schweiz treffen. An den Märkten folgt die Reaktion prompt.
Die Erfolgsmeldung kommt um 23.47 Uhr: Da teilt EU-Ratspräsident Charles Michel auf Twitter mit, dass sich die 27 Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel in Brüssel auf ein Öl-Embargo gegen Russland geeinigt haben. Auch der Rest des geplanten sechsten Sanktionspakets soll demnach in Kraft treten. Allerdings werden die EU-Botschafter am Mittwoch noch die juristischen Details des Importstopps für russisches Öl ausarbeiten müssen.
Grösster Gegner eines Embargos war Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán, der heftige Schäden für die heimische Wirtschaft befürchtete. Bei seiner Ankunft zum Gipfel am Montagnachmittag äusserte er sich noch streitlustig und warf der EU-Kommission «unverantwortliches Verhalten» vor, weil die Embargopläne nicht richtig abgesprochen gewesen seien. Allerdings hatte die Brüsseler Behörde am Wochenende das Konzept eines abgeschwächten Importstopps vorgelegt, um Ungarn entgegenzukommen (Mehr dazu: Wie die EU das Ölembargo retten wollte).
Demnach werden nur Lieferungen per Tankschiff verboten, nach Übergangsfristen von sechs Monaten für Rohöl und acht Monaten für raffinierte Produkte wie Diesel und Benzin. Dagegen soll aus der russischen «Druschba»-Pipeline vorerst weiter Öl fliessen dürfen. Die Röhre hat zwei Arme: Der nördliche versorgt Polen und zwei Raffinerien in Deutschland, der südliche Ungarn, die Slowakei und Tschechien. Die Regierungen von Deutschland und Polen wollen ohnehin schnell die Ölimporte stoppen; sie verpflichten sich dazu in einer schriftlichen Erklärung. Damit profitieren nur Ungarn, die Slowakei und Tschechien von der Ausnahme.
Trotzdem forderte Orbán noch weitergehende Zusicherungen, etwa für den Fall, dass es bei der durch die Ukraine verlaufenden «Druschba»-Pipeline Probleme geben sollte. Dann möchte Orbán russisches Öl per Schiff in die EU bringen lassen können. Die anderen Staaten versuchten, auch diese Bedenken Ungarns auszuräumen. In den Schlussfolgerungen des Gipfels heisst es daher nun, dass die EU «bei einer plötzlichen Unterbrechung der Versorgung Notfallmassnahmen einführen» werde. Ungarn würde bei einem «Druschba»-Ausfall also Ersatz erhalten.
«Russland soll den Preis fühlen»
Kommissionschefin Ursula von der Leyen schlug das Öl-Embargo bereits vor vier Wochen vor. Das Verbot soll Russlands Präsident Wladimir Putin um wichtige Einnahmen bringen. Für Sanktionen ist jedoch Einstimmigkeit unter den 27 Mitgliedstaaten notwendig, und Ungarn stand dem bisher im Weg. Von der Leyen sagte jetzt, die Verständigung bedeute, dass von 2023 an etwa 90 Prozent der russischen Öl-Exporte in die EU wegfielen.
Ratspräsident Michel betonte zudem, dass sich künftige EU-Gipfel «so bald wie möglich» der Frage widmen werden, wie das Embargo auf die «Druschba»-Röhre ausgeweitet werden kann. Der Belgier bezeichnete den Sanktions-Beschluss als bedeutendes Signal der Einigkeit in schwierigen Zeiten: «Es ist wichtiger denn je, zu zeigen, dass wir stark und hart sein können, um unsere Werte und Interessen zu verteidigen.» Der Deutsche Kanzler Olaf Scholz nannte die neuen Sanktionen auf Twitter «einschneidend».
Am Montagabend sprach auch der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski per Video zu den Staats- und Regierungschefs. Er mahnte – vor der Einigung der Politiker -, das sechste Sanktionspaket mitsamt Öl-Embargo rasch zu verabschieden. Seit dem 8. April, als das fünfte Paket beschlossen wurde, hätte die russische Armee weitere 74 ukrainische Kinder getötet, die Zahl liege nun bei 243, klagte Selenski. Das sechste Paket müsse ein Importverbot für Öl umfassen, «damit Russland den Preis fühlt für das, was es der Ukraine und ganz Europa antut».
Wenn das Embargo nicht für die «Druschba»-Pipeline in Ungarn, Tschechien und der Slowakei gilt, besteht die Gefahr, dass billiges russisches Öl aus diesen Ländern in andere EU-Staaten weiter transportiert wird. Um das zu verhindern, will die Kommission von 2023 an den Weiterverkauf importierten russischen Öls in die übrigen EU-Länder verbieten. Zudem kursiert unter Diplomaten die Idee, dass die EU einen Zoll auf Öl-Einfuhren via Pipeline verhängen könnte. Dies würde das «Druschba»-Öl verteuern, sodass Ungarns Industrie keine unfairen Vorteile hätte gegenüber Industrien in EU-Ländern, die russisches Öl durch kostspieligere Alternativen ersetzen. Bei Zöllen ist keine Einstimmigkeit nötig, sodass Ungarn den Schritt nicht blockieren könnte.
Was bedeutet das für die Schweiz?
Zuerst die guten Nachrichten. Die Schweiz bezieht einen geringen Anteil ihres Rohöls aus Russland. 2020 waren es gerade mal 0,3 Prozent. Erdölfertigprodukte bezieht die Schweiz mehrheitlich aus Deutschland. Und da gibt es keine grosse direkte Abhängigkeit von Russland, da diese Produkte aus dem westlichen Teil von Deutschland stammen.
Russisches Öl wird normalerweise in ostdeutschen Raffinerien verarbeitet. Allerdings ist nicht ganz auszuschliessen, dass an den Schweizer Tankstellen russisches Öl landet. «Wir vermuten, dass es in unseren Zapfsäulen einen kleinen Anteil russischen Rohöls haben kann», hiess es zu Beginn des Kriegs vonseiten der Erdölvereinigung Avenergy.
Zudem hat die Schweiz Reserven, falls es eng werden sollte bei der Beschaffung. Diese reichen für Benzin, Diesel und Heizöl für viereinhalb Monate, bei Flugzeugtreibstoff für drei Monate. Was nun aber nicht heisst, dass damit alle Probleme vom Tisch wären.
Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung ist in einem Lagebericht zur aktuellen Situation offensichtlich besorgt: «Die Versorgung der Schweiz mit allen Mineralölprodukten ist gegenwärtig gesichert, die Lage aber bleibt angespannt». Und weiter: Geringfügige negative Entwicklungen – national oder international – könnten zu einer Mangellage und der Notwendigkeit rascher Pflichtlagerfreigaben führen.
Die Schweiz ist zudem direkt betroffen von allfälligen Preissteigerungen. Diese werden Benzin, Diesel und Heizöl nochmals verteuern.
Zypern verhindert Immobilien-Bann
Neben dem Öl-Embargo gehören zum sechsten Sanktionspaket etwa Einschränkungen für die Sberbank, die grösste russische Bank. Sie soll vom globalen Überweisungssystem Swift abgekoppelt werden wie bereits sieben andere Banken zuvor. Drei weitere russische Staatssender sollen ihre Sendelizenz in der EU verlieren. Steuer-, PR- und Unternehmensberater sowie Wirtschaftsprüfer dürfen nicht mehr für Russen arbeiten. Ausserdem werden Einreise- und Vermögenssperren gegen 58 zusätzliche Personen verhängt, darunter Kyrill I., das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirchen. Ursprünglich war auch geplant, Russen den Kauf von Immobilien in der EU zu verbieten. Nach Widerstand der zypriotischen Regierung ist das nicht länger vorgesehen.
Griechenland wiederum wehrte sich mit Erfolg gegen den Vorschlag, EU-Reedereien den Transport russischen Öls in Tankschiffen zu untersagen, etwa nach Indien oder China. Dies hätte es Putin erschweren sollen, in Europa wegfallende Ölmengen woanders zu verkaufen. Immerhin wird das Sanktionspaket aber ein Verbot für Versicherer beinhalten, solche Öltransporte abzusichern. Das soll eine ähnliche Wirkung haben wie Einschränkungen für Reeder. Der Bann wird mit sechs Monaten Übergangsfrist in Kraft treten.
Die 27 Staats- und Regierungschefs unterstützen in ihren Gipfel-Schlussfolgerungen auch das Vorhaben der Kommission, der ukrainischen Regierung in diesem Jahr bis zu neun Milliarden Euro Finanzhilfen für laufende Ausgaben zu überweisen. Strittig bleibt jedoch, wieviel davon als Zuschuss und als Kredit fliessen soll und wie sich die Mitgliedstaaten bei der Finanzierung einbringen.
Zur heiklen Frage, ob die Ukraine den Status eines Beitrittskandidaten erhalten soll, heisst es in den Schlussfolgerungen, damit werde sich der nächste EU-Gipfel im Juni befassen. Der laufende Gipfel geht an diesem Dienstagmorgen weiter, Themen sind Energie- und Verteidigungspolitik und die globale Nahrungsmittelknappheit. Weitere brisante Entscheidungen, abgesehen vom Öl-Embargo, stehen nicht an.
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