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Neun Jahre Haft für Nawalny
«Es wird praktisch unmöglich, mit Alexei Kontakt zu halten»

Ein Prozess als Farce: Alexei Nawalny und seine Anwältin im Gerichtssaal der Strafkolonie in Pokrow.
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Alexei Nawalny durfte sein Gefängnis nicht einmal verlassen, um zu neun weiteren Jahren verurteilt zu werden. Stattdessen stand er in einem provisorischen Gerichtssaal in der Strafkolonie in Pokrow, 100 Kilometer östlich von Moskau – selbst in Russland gilt das als ungewöhnlich. In Sträflingsuniform musste er vor die Richterin treten, Journalisten folgten dem Prozess per Videoübertragung.

Die Verbindung war häufig so schlecht, dass Nawalnys Schlussworte nur bruchstückhaft überliefert wurden. «Die Menschen im Kreml haben solche Angst vor ihm», schrieb Nawalnys Ehefrau Julia zu Prozessbeginn im Februar, «dass er zum ersten Menschen in Russland wird, der direkt im Gefängnis vor Gericht gestellt wird.»

Am Dienstag verurteilte ihn die Richterin zu einer Geldstrafe umgerechnet mehr als 8000 Franken und neun weiteren Jahren unter harten Haftbedingungen, die Staatsanwaltschaft hatte 13 Jahre gefordert. Nawalny soll angeblich Spenden an seine politischen Organisationen veruntreut haben – Organisationen, die in Russland längst als «extremistisch» verboten sind. Zudem wird Nawalny vorgeworfen, eine Richterin beleidigt zu haben.

Sie hatte ihn vergangenes Jahr wegen Veteranenbeleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Seitdem der Oppositionelle im Januar 2021 nach Russland zurückkehrte, ist er mit einem Strafverfahren nach dem anderen überzogen worden. In Deutschland hatte er sich zuvor von einem lebensgefährlichen Giftanschlag erholt, die russische Polizei nahm ihn gleich bei der Passkontrolle fest.

Fast alle haben Angst, Kritik am Kreml zu üben

Damals warf man ihm vor, gegen Bewährungsauflagen aus einem alten Fall verstossen zu haben. Bereits 2014 war Nawalny wegen Betrugs zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, schon damals erklärte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Verfahren für willkürlich. Während Nawalny in Deutschland behandelt wurde, soll er in Russland seine Meldepflicht bei der Polizei verletzt haben. Deswegen schickte ihn das Gericht im Januar 2021 für zweieinhalb Jahre ins Straflager. Damals protestierten Zehntausende Russen für Nawalnys Freiheit.

Jetzt, da Nawalny zu einer noch höheren Haftstrafe verurteilt wurde, ging der seltsame Prozess im Straflager neben den Nachrichten aus der Ukraine beinahe unter. Es traut sich heute auch fast niemand mehr, Kritik am Kreml und an seinen Behörden zu üben, egal um welches Thema es geht. Dazu kommt, dass die meisten unabhängigen Medien, die im Januar 2021 noch berichteten, inzwischen blockiert oder ganz verschwunden sind, zahlreiche Journalisten haben das Land verlassen.

Am Tag von Nawalnys abermaliger Verurteilung wurden nun auch Facebook und Instagram in Russland für «extremistisch» erklärt, viele soziale Netzwerke sind in Russland nur noch über VPN-Leitung ins Ausland erreichbar.

Das Gericht hat vier angebliche Geschädigte als Zeugen aufgerufen.

Über Instagram und Twitter hatte Nawalny die Russen immer wieder zum Protest aufgerufen, zuletzt gegen Russlands «militärische Spezialoperation» in der Ukraine. Nawalny sieht in dem Feldzug Präsident Wladimir Putins Versuch, vom eigenen politischen Versagen abzulenken, so hat er es öfter dargestellt. «Lasst uns keine Nation ängstlicher, schweigender Menschen werden», twitterte Nawalnys offizieller Account Anfang März.

Nawalny selbst hat die Russen seit seiner Rückkehr aus Deutschland immer wieder dazu aufgerufen, keine Angst zu haben. Einige Tage vor der Urteilsverkündung, nachdem der Staatsanwalt 13 Jahre gefordert hatte, schrieb der Oppositionelle auf Instagram: «Wenn die Haftstrafe der Preis für mein Menschenrecht ist, das zu sagen, was ich für nötig halte», schrieb er, «dann können sie 113 Jahre verlangen.»

Das Gericht hatte vier angebliche Geschädigte als Zeugen aufgerufen, die Nawalnys Organisationen Geld gespendet haben sollen. Einer dieser vier berichtete später dem Nawalny-Mitarbeiter Iwan Schdanow, dass die Ermittler ihn unter Druck gesetzt hätten, gegen Nawalny auszusagen. Schdanow hatte Nawalnys Antikorruptionsfonds geleitet, bevor dieser als «extremistisch» verboten wurde. Er ist inzwischen im Exil.

Fast das gesamte Team Nawalnys ist geflohen

Durch das neue Urteil, so befürchtet Nawalnys Team, könnte dieser nun als «Wiederholungstäter» eingestuft und in ein «Hochsicherheitsgefängnis» verlegt werden, mit noch strengeren Regeln und viel weiter entfernt von Moskau. «Es wird dann praktisch unmöglich, hineinzukommen und mit Alexei Kontakt zu halten», schreibt seine Sprecherin Kira Jarmysch, ebenfalls im Exil, auf Twitter. Sie fürchte um Nawalnys Leben, nachdem man schon einmal versucht habe, ihn umzubringen.

Das brutale Vorgehen der russischen Behörden gegen Nawalny und sein Netzwerk in den vergangenen Monaten war beispiellos. Im Nachhinein wirkt es fast wie eine Vorankündigung der krassen Repressionen, die nun für alle folgen. Medienfreiheit, Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit sind in Russland de facto abgeschafft. Nawalny und elf seiner Mitarbeiter stehen seit Januar auf der Liste der «Terroristen und Extremisten».

Im Januar zwangen die Behörden noch mehrere russische Medien dazu, Berichte über Nawalnys Korruptionsrecherchen zu löschen, darunter den TV-Sender Doschd, den Radiosender Echo Moskwy, Internetportale wie Znak.com und Meduza. Inzwischen gibt es einige dieser Medien gar nicht mehr, der Druck auf sie wurde zu gross.

Fast das gesamte Team Nawalnys ist geflohen, viele andere Kremlkritiker folgten ihnen ins Exil. Wer geblieben ist, wie Nawalnys Lokalchefin Xenia Fadejewa in Tomsk, muss befürchten, ins Gefängnis zu kommen. Fadejewa, die 2020 noch in den Tomsker Stadtrat gewählt wurde, drohen wegen ihrer Verbindung zu Nawalny bis zu zwölf Jahre Haft.

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