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Interview über Emotionen bei der EM
«Es ist ein kollektiver Wahn»

Euphorie ohne Ende: Beim EM-Spiel Schweiz gegen Frankreich gab es kein Halten mehr.
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Der Viertelfinal ist Spannung pur. Wie hält man die Anspannung nervlich aus?

Wenn man nicht allein ist, kommt man damit besser klar. Natürlich gibt es auch ein paar einfache Tricks aus der Psychologie, wie man mit dieser Form von Stress sonst noch umgehen kann. Zum Beispiel auf Bauchatmung umschalten, vier Sekunden einatmen und langsam wieder ausatmen. Doch das Schöne am Spiel am Freitag ist ja gerade die Aufregung. Man geht nicht dorthin, um sich zu entspannen und auszuruhen, sondern sucht geradezu den Nervenkitzel.

Ist dies mit einem Krimi vergleichbar?

Wir lassen uns durch den Spielverlauf emotional mitreissen und ähnlich überraschen, wie wenn bei einem TV-Krimi plötzlich der Mörder hinter der Ecke steht. Einige Leute partizipieren bei einem Fussballmatch sogar so sehr, dass sie sich nicht nur überlegen, wie sie den Ball spielen würden, sondern dabei auch ihr Bein vor dem Fernseher zuckt. Gedanklich haben wir das Gefühl, selbst vor dem Tor zu stehen.

Ob im Stadion, beim Public Viewing oder vor dem Fernseher – alle Fans einer Nationalmannschaft sind gleich. Fast wie eine Art eigene Spezies?

Ja, das ist das Schöne beim Fussball. Wir besinnen uns nur noch auf eine Sache und vergessen die Unterschiede zwischen den Menschen. Man verschmilzt mit der sozialen Gruppe, mit allen, die gerade um einen stehen. Es ist ein kollektiver Wahn. Wildfremde Leute springen einem bei einem Tor vor Freude plötzlich um den Hals oder schenken einem Champagner ein. Wir werden eins mit anderen Fans und der Nati und feiern das gemeinsame Glück. Im Alltag verstehen wir uns dagegen eher als Einzelmenschen.

Alle fiebern mit, johlen, singen, schreien, tanzen, buhen oder weinen. Geht das auf die Gesundheit?

Ein solches intensives Erlebnis geht auch mit physiologischen Reaktionen wie einer erhöhten Herzfrequenz einher. Bei den Fans jagt es den Puls bei jeder spannenden Situation gleichzeitig hoch. Auch wenn wir nicht selbst auf dem Rasen stehen, empfinden wir die Ballbewegungen nach und sind jederzeit reaktionsbereit. Wenn man uns lassen würde, würden wir das Tor schiessen – zumindest gedanklich.

«Ich sehe die Sache positiv und will, dass die Schweiz Geschichte schreibt und die Europameisterschaft gewinnt.»

Wie bekommt man seine Gefühle wieder unter Kontrolle – insbesondere beim Penaltyschiessen?

Jeder reagiert anders darauf. Einige Leute gehen in einer solchen Situation lieber vom Bildschirm weg oder drehen sich im Stadion um, weil sie es nicht aushalten. Der Fokus wird dann von der aufregenden Situation abgelenkt, sodass andere Gedanken da sind. Es hilft aber auch, sich zu sagen, dass es ein Schicksalsmoment ist und man es gerade nicht ändern kann. Andere wollen es unbedingt sehen, sonst wäre das Spiel für sie nur noch halb so schön. Die K.-o.-Phase, bei der es um alles oder nichts geht, ist ein kollektives Ritual und weckt nicht nur bei den Spielern, sondern auch auf der Zuschauerseite besondere Kräfte.

Verstärkt die Pandemie die Sehnsucht nach der Gemeinschaft?

Durch die Corona-Zeit ist das für die Gesellschaft so wichtige, kollektive Erleben vorübergehend leider sogar komplett verschwunden. Jetzt gehen die Leute wieder zusammen auf die Strasse und verfolgen ein gemeinsames Ziel. Auch wenn wir in kleinen Gruppen vor dem TV-Gerät sitzen, verbindet uns ein unsichtbares Band. Das ist genial.

Wie geht man am besten damit um, falls es doch nicht klappen sollte?

Es gibt die Analysten, die Gründe suchen, warum es schiefgelaufen ist. Wer war die bessere Mannschaft, und warum konnte es passieren? Dann gibt es natürlich vor allem auch die emotionalen Fans, die mit ihrer Stimme, ihrer Gestik und ihrer Mimik sich ihrem Ärger Luft machen. Einige freuen sich auch, wenn die Siegermannschaft dann das nächste Spiel verliert. Eine Art Schadenfreude oder auch Rachegefühl, um die Enttäuschung zu verarbeiten. Doch ich sehe die Sache positiv und will, dass es gar nicht so weit kommt, sondern die Schweiz Geschichte schreibt und die Europameisterschaft gewinnt.