«Es ist die junge Generation, die sich nach Freiheit sehnt»
Die russische Menschenrechtsaktivistin Ljudmila Alexejewa ist tot. Sie kämpfte bereits zu Sowjetzeiten gegen Repression und geriet ins Visier des KGB.
Ljudmila Alexejewa wirkte zierlich und gebrechlich, doch das Wort der russischen Aktivistin hatte Gewicht. Selbst vor Kritik an Kremlchef Wladimir Putin scheute sie nicht zurück. Nun ist eine der bekanntesten Menschenrechtlerinnen Russlands gestorben. Mit ihr ende eine Ära, sagen Wegbegleiter.
Heute protestieren in Russland vor allem junge Menschen gegen Korruption und Polizeiwillkür. «Es ist die junge Generation, die sich nach Freiheit sehnt», sagte Alexejewa in einem Interview. In den 1950er Jahren zählte sie selbst zur jungen kritischen Generation. Damals habe sie auch um ihr Leben gefürchtet. Jahrzehnte später meinte sie: «Irgendwann gewöhnt man sich daran. Heute habe ich vor nichts mehr Angst.»
Archäologie-Studentin und Dissidentin
Geboren wurde Ljudmila Alexejewa am 20. Juli 1927 in Jewpatorija auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim. In jungen Jahren zieht sie mit ihrer Familie nach Moskau und studiert Archäologie. In ihrer Studienzeit schliesst sie sich einem Kreis von Dissidenten und kritischen Kommilitonen an. Die schonungslosen Schilderungen der Gräuel in den Arbeitslagern unter Diktator Josef Stalin hätten sie und viele andere schockiert, sagte Alexejewa.
Gemeinsam mit dem Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow und anderen Mitstreitern gründet sie 1976 im Geheimen eine Menschenrechtsorganisation, die heute renommierte Moskauer Helsinki-Gruppe. Doch genau dieser Schritt bringt sie ins Visier des berüchtigten Geheimdienstes KGB.
Berufsverbot und Ausbürgerung
Es folgten Hausdurchsuchungen, Berufsverbot und schliesslich 1977 die Ausbürgerung. Mehr als 15 Jahre lebt sie in den USA. Erst nach dem Zerfall der Sowjetunion darf sie wieder nach Moskau reisen und übernimmt 1996 den Vorsitz der Moskauer Helsinki-Gruppe.
In den ersten Amtsjahren von Kremlchef Putin wird sie in den Menschenrechtsrat des Präsidenten berufen, dem sie - mit Unterbrechung - bis zu ihrem Tod angehörte. Auch in dieser Position hielt sie sich nie mit ihrer Kritik an der Staatsführung zurück: Sie setzte sich für den damals verhafteten Oligarchen Michail Chodorkowski ein und bemängelte die Ermittlungen im Mordfall des Oppositionellen Boris Nemzow.
Auch die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland im Jahr 2014 kritisierte sie scharf. Dass der Bruch des Völkerrechts vielen Menschen egal sei, erschüttere sie zutiefst.
Alexejewa demonstrierte bis vor wenigen Jahren noch selbst auf der Strasse. Mit 82 Jahren wurde sie festgenommen, als sie an einer Anti-Putin-Demonstration teilnahm. Dennoch besuchte sie der Kremlchef persönlich zu ihrem 90. Geburtstag, brachte Blumen mit und trank mit ihr Sekt. «Früher gab es sowas nie», sagte die Menschenrechtlerin damals bei dem Überraschungsbesuch. «Früher waren die Zeiten andere», antwortete Putin.
«Ich bin sehr optimistisch»
In den vergangenen Jahren schützte sie wohl auch ihr internationaler Ruf, ihr Renommee, sind sich Beobachter sicher. 2009 erhielt sie das Grosse Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland als «herausragende moralische Autorität» sowie gemeinsam mit der Organisation Memorial den Sacharow-Preis des EU-Parlaments. 2016 besuchte sie den damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck im Schloss Bellevue. In der Heimat wurde sie von mehreren Medien zu einer der einflussreichsten Russinnen gewählt.
Bis zuletzt traf sich Alexejewa gerne mit jungen Menschen, auch weil die Repressionen gegen die liberale Opposition wieder zunehmen. Irgendwann werde es auch in ihrer Heimat Demokratie und einen Rechtsstaat geben, sagte sie im vergangenen Jahr. «Ich bin sehr optimistisch, was die Zukunft Russlands angeht.» Besonders wegen der Unerschrockenheit und des Selbstbewusstseins der Jugend.
SDA/mch
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