Analyse zu Wahlen in AustralienEs geht um die Rettung der Welt
Wer übernimmt die Regierung in Canberra? Diesmal steht tatsächlich so viel auf dem Spiel, dass sich genaues Hinschauen lohnt.
Wahr ist natürlich, dass sich Klimawandel und chinesische Ausbreitungstendenzen mit dem richtigen Sieger bei den Wahlen am Samstag in Australien nicht sofort in Luft auflösen werden. Aber der Beitrag des Landes zu Lösungen für diese beiden Probleme könnte so bedeutend sein, dass die Weltgemeinschaft zumindest ein bisschen optimistischer in die Zukunft blicken dürfte, wenn eine Mannschaft mit umsichtigen Plänen die Regierung in Canberra übernimmt.
Ob sich die konservative Regierungskoalition von Premierminister Scott Morrison durchsetzt oder die sozialdemokratische Labor-Partei von Anthony Albanese, geht jedenfalls nicht nur australische Menschen etwas an.
In Amerika und Europa hat man sich lange nicht besonders für Australiens Politik interessiert. Der Kontinent und Commonwealth-Staat galt als unkomplizierter Mitläufer. Verzeichnete stetiges Wirtschaftswachstum. Half den USA in ihren Kriegen. Und war ansonsten vor allem weit weg, riesengross, dünn besiedelt, eher ein Abenteuerparadies für Fernreisende als ein Vorreiter im Kampf gegen globale Krisen. Das hat sich geändert.
Für viele Fachleute ist Australien wie der Kanarienvogel in der Kohlemine.
Australien spürt die Folgen von Umweltverschmutzung und chinesischem Machtanspruch unmittelbarer als alle anderen Wohlstandsnationen. Das Land ist unter diesen das sonnigste und trockenste. Die Erderwärmung steigert die Extreme in gefährliche Dimensionen und bringt Australiens sensible Natur mit Wüsten, Regenwäldern, Eukalyptusbergen, Grasland, Korallenriffen aus dem Gleichgewicht. Zugleich plagt Australien sein zwiespältiges Verhältnis zu China als abhängiger Wirtschaftspartner und Wahrer der westlichen Sicherheitsinteressen im Südpazifik.
Für viele Fachleute ist Australien wie der Kanarienvogel in der Kohlemine. Wenn der in seinem Käfig von der Stange fiel, wussten die Bergleute, dass Grubengas austrat und sie rausmussten aus der Mine. Australien hat in den vergangenen Jahren viel durchgemacht: jahrelange Trockenheit, der die verheerenden Buschbrände des sogenannten schwarzen Sommers 2019/20 folgten. Wenig später zerstörerische Fluten. Und das Verhältnis zu China wurde immer schlechter. Das waren nicht einfach nur irgendwelche regionalen Probleme. Sondern Mahnungen für den Rest der Welt.
Die Politik muss die Chancen nutzen
Aber Australien kann auch etwas tun: Mit seiner unbewohnten Weite eignet sich das Land besonders gut dafür, erneuerbare Energien aus Sonne und Wind zu gewinnen. Reiche Unternehmer investieren Kraft und Geld in die massenhafte Produktion von grünem Wasserstoff als Treibstoff der mobilen Gesellschaft von morgen. Erste Lieferprojekte sind vereinbart. Der deutsche Energienetzbetreiber Eon etwa will bis 2030 fünf Millionen Tonnen grünen Wasserstoff von der Firma FFI aus Perth beziehen. Und was China angeht, so hat Australien als grösster Entwicklungshelfer und Sicherheitsgarant der Inselstaaten im Pazifik Möglichkeiten, Pekings Einfluss nicht zu gross werden zu lassen.
Die Politik muss die Chancen aber auch nutzen. Und in dieser Hinsicht ist Australiens konservative Regierung eine bittere Enttäuschung. Den Chinesen setzt sie zwar einiges entgegen. Australien war 2018 zum Beispiel das erste Land, das seinen Internetmarkt für die 5G-Technologie chinesischer Telekommunikationsfirmen sperrte. Und das neue Sicherheitsbündnis Aukus mit den USA und Grossbritannien ergibt wegen der angespannten Lage ebenfalls Sinn.
Aber in der Praxis agierten Premier Scott Morrison und seine Leute zu oft sprunghaft, undiplomatisch, arrogant. Chinas Regierung dagegen nutzt die Lücken im Verbund der kleinen Australien-Partner. Seit April hat sie ein Sicherheitsabkommen mit den Salomonen, das ihr strategisch wertvolle Stützpunkte im Zentrum Melanesiens bringen könnte. (Lesen Sie dazu unseren Hintergrund.)
Und Morrisons Klimapolitik ist derart unterbelichtet, dass man an seiner Wahrnehmung zweifelt. Hat er die Buschfeuer vergessen? Hat er die Überflutungen nicht gesehen? Hört er nicht, was die Wissenschaft sagt? Mit weltfremder Beharrlichkeit klammert er sich an Australiens Status als grösster Kohleexporteur der Welt und verweigert seinem Land den sanften Übergang in eine sauberere Zukunft.
Morrison gehört zu jenen rechten Gegenwartsverwaltern, die Politik auf plattes Wirtschaftsdenken reduzieren und dabei den Aufbruch in die Zukunft verpassen. Diese Haltung passt nicht zu den Herausforderungen der Zeit. Für jemanden, der angeblich so viel von Geld versteht wie Morrison, ist sie sogar ausgesprochen peinlich. Denn es ist ja nicht so, dass es bei der Energiewende nichts zu verdienen gäbe. Die Rettung der Welt mit grünem Wasserstoff zum Beispiel verspricht ein Jahrhundertgeschäft zu werden.
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