Swiss Open in GstaadEs fehlt die Dankbarkeit der besten Schweizer Spieler
Der Direktor des traditionsreichen Tennisturniers freut sich über das beste Teilnehmerfeld seit langem. Doch das Fernbleiben der heimischen Prominenz schmerzt.
Die Geschichte
Das Swiss Open Gstaad gehört zu den traditionsreichsten Sportevents der Schweiz. 2015 wurde im Berner Chaletdorf das 100-Jahr-Jubiläum gefeiert. Und die Siegerliste erinnert an einen Auszug aus dem Who’s who des Tennissports: Roy Emerson, Rod Laver, John Newcombe, Ilie Nastase, Guillermo Vilas, Stefan Edberg, Roger Federer und viele Hochkaräter mehr. Kein Wunder, wurde das Sandplatzturnier, das einst unmittelbar nach den Championships stattfand, lange als «Wimbledon der Alpen» bezeichnet.
Das Teilnehmerfeld
Casper Ruud, French-Open-Finalist 2022; Matteo Berrettini, Wimbledon-Finalist 2021; Dominic Thiem, US-Open-Champion 2020: So gut besetzt wie heuer war das Swiss Open schon eine Weile nicht mehr. Sie hätten sich stets bemüht, ein attraktives Feld zusammenzustellen, sagt Jean-François Collet, doch diesmal sei die Verpflichtung gefragter Spieler etwas leichtergefallen. «In den letzten Jahren war der Kalender wegen der Pandemie ausgedünnt, zudem wurden in Wimbledon keine Weltranglisten-Punkte verteilt. Bei Thiem und Berrettini kamen noch Verletzungspausen dazu», erklärt der Turnierdirektor, weshalb viele Spieler derzeit Lust verspüren, viele Wettkämpfe zu bestreiten.
Die Wawrinka-Absage
Eigentlich hätte auch noch der dreifache Grand-Slam-Titelträger Stan Wawrinka dabei sein sollen. Doch der Waadtländer, letztmals 2013 in Gstaad angetreten, sagte zum vierten Mal trotz gültigem Vertrag ab, und die Gründe waren, um es zurückhaltend zu formulieren, erneut wenig zwingend. Das ist für die Veranstalter, die mit den raren Aushängeschildern werben, frustrierend und für die Zuschauer enttäuschend. Weil die Topspieler am längeren Hebel sitzen, mimt Collet, der in der Wawrinka-Falle steckt, für den Entscheid des 37-Jährigen Verständnis. «Wenn er sich nicht 100-prozentig fit fühlt, will er nicht vor Heimpublikum antreten. Ich würde daher nie sagen, wir wollen Stan nie mehr in Gstaad dabeihaben. Aber ich hoffe, die Tennisfans wissen, dass der Fehler nicht beim Turnier liegt.»
Der Traum
Collet hofft, dass Wawrinka doch noch einmal im Saanenland spielen wird, und er träumt davon, Roger Federer vor dessen Karrierenende dem Publikum noch einmal präsentieren zu können. Trotzdem ging er Federer respektive dessen Agenten Tony Godsick zuletzt nie konkret an. «Roger weiss, dass es immer unser Ziel ist, ihn in Gstaad dabeizuhaben.»
Der Schweizer Effekt
Finden ATP-Events der untersten Stufe in Deutschland, Frankreich oder in den USA statt, mischen in der Endphase oft Einheimische mit, was Publikum anlockt und die Medienpräsenz erhöht. In der Schweiz funktioniert das leider nicht. Der Exploit Alexander Ritschards gegen João Sousa in der Startrunde war gleichbedeutend mit dem ersten Sieg eines Schweizers im Swiss-Open-Hauptfeld seit 2017. Was Collet mehr ärgert als die Erfolglosigkeit der nationalen Elite, ist das Fernbleiben diverser Exponenten. Letzte Woche am Ladies Open Lausanne, das ebenfalls von der Grand Chelem Event SA organisiert wird, fehlten Jil Teichmann und Viktorija Golubic. Und Henri Laaksonen, der am Swiss Open mehrmals von einer Wildcard profitiert hatte, zog es vor, in Hamburg die Qualifikation zu bestreiten. «Wir erfahren keinerlei Dankbarkeit», folgert Collet.
Die wirtschaftliche Situation
2020 fiel das Turnier der Pandemie zum Opfer, 2021 machte die Grand Chelem Event SA, die den Anlass seit 2006 organisiert, erstmals einen Verlust – welcher durch die Unterstützung des Bundes indes gelindert wurde. Ob heuer wieder schwarze Zahlen geschrieben werden, hängt nicht zuletzt von den Zuschauerzahlen ab. Grundsätzlich sind die Perspektiven gut: Kürzlich wurde die Schweizer Privatbank EFG als neuer Titelsponsor vorgestellt. Die Partner schlossen einen 3-Jahres-Vertrag ab, doch Collet glaubt an eine langfristige Lösung. Die EFG würde sich nicht nur finanziell engagieren, sondern auch sonst einbringen.
Der Ist-Zustand
Trotz Rückschlägen – 2018 schmetterte der ATP-Spielerrat, um ein Beispiel zu nennen, das Grand-Chelem-Anliegen ab, ein kombiniertes Männer-Frauen-Turnier durchzuführen – scheint das Swiss Open derzeit gut aufgestellt zu sein. Obwohl es von Romands durchgeführt wird, ist es in der Region mittlerweile ausgezeichnet verankert. Zudem profitieren die Veranstalter von der Kooperation mit den Organisatoren des Beachvolleyball-Major-Turniers. Collet und sein Team bezahlen so nur 55 Prozent der Kosten für die Tribüne und müssen sich nicht um deren Aufbau kümmern.
Das Covid-Risiko
Anders als noch 2021 werden die Zuschauer diese Woche mit keinen Anti-Corona-Massnahmen konfrontiert. Trotzdem hängt das Risiko durch das Virus, bildlich beschrieben, wie ein Damoklesschwert über dem Centre-Court. Weil eine Spielerin positiv getestet wurde, fiel am Ladies Open in Lausanne der Doppelfinal aus. Würde in Gstaad beispielsweise ein Einzelfinalist ausfallen, wäre das nicht nur sportlich ein Debakel.
Die Zukunft
Das Swiss Open wird auch in den nächsten Jahren im Chaletdorf durchgeführt. Der Vertrag der Gemeinde Saanen als Besitzerin der Turnierrechte mit dem treuen Veranstalter läuft bis 2026. 2023 findet der Traditionsanlass wieder wie früher unmittelbar nach Wimbledon statt. Der neue Termin bereitet Collet weniger Sorgen als die Tatsache, dass das Sandplatzintermezzo zwischen der Rasen- und der nordamerikanischen Hartplatzsaison von drei auf zwei Wochen verkürzt wird. «Werden deswegen im Sommer künftig weniger Spieler auf Sand spielen wollen?», fragt sich der Turnierdirektor. Andererseits könnte es ein Vorteil sein, wird das Swiss Open nicht mehr gleichzeitig wie das Hamburg Open ausgetragen. Denn in Norddeutschland lässt sich mehr als dreimal so viel verdienen und lassen sich doppelt so viele Punkte gewinnen wie im Berner Oberland. Was sich stärker auswirkt, lässt sich derzeit nicht beurteilen. «Wir machen so oder so das Beste aus der Situation», sagt Collet.
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