Enthüllungen im TurnsportMisshandelte Frauen: Unmenschen haben im Sport nichts verloren
Die Verantwortlichen des Turnverbandes müssen sich unangenehmen Fragen stellen. Und wollen sich grundsätzlich überdenken. Denn: Wie bislang kann es nicht weitergehen.
Ein Sport hält den Atem an, und die Unruhe ist spürbar. Eine Woche ist vergangen, seit im «Magazin» der Tamedia-Zeitungen acht junge Frauen von ihrer Pein berichteten, die ihnen als Spitzenturnerinnen widerfahren war. Betroffen war – mal wieder – die Abteilung Rhythmische Gymnastik, in der die rüden Umgangsformen der Trainerinnen seit zwei Jahrzehnten zu reden geben und für Opfer sorgten. Betroffen war aber auch das Kunstturnen der Frauen. Dabei hatte man beim Schweizerischen Turnverband (STV) geglaubt, die Vergangenheit fortgeschickt zu haben – 2007, mit der Entlassung von Eric Demay.
Nichts da. Der STV ist zurück auf Feld 1. Und kämpft um seinen Ruf. Wieder einmal.
Er muss das auf mehreren Ebenen tun. Für Dienstag hat das Bundesamt für Sport eine Sitzung mit dem Turnverband und Swiss Olympic anberaumt. Ausserdem beschäftigt sich jetzt auch das Parlament mit der Sache. Wie der «Blick» berichtet, hat die Sportkommission des Ständerats den STV und Swiss Olympic vorgeladen, einige Parlamentarier fordern, dass Sportministerin Viola Amherd tätig wird. In den Fokus geraten die 1,7 Millionen Franken, die der STV jährlich von Swiss Olympic erhält.
Die Athletinnen nehmen die Schinderei für ein bescheidenes Fixum auf sich. In einem Jahr wie diesem ist das dramatisch genug.
Wird dieser Beitrag zusammengestrichen, bestraft man allerdings die Falschen. Kaum eines der 310’000 gewöhnlichen Aktivmitglieder des grössten Sportverbandes der Schweiz hat etwas falsch gemacht. Jene im Leistungssport am wenigsten. Den Turnerinnen und Turnern in den Nationalkadern gebührt gerade deshalb grösster Respekt, wenn man sich Ton und Umgangsformen vorstellt, die offenbar in der Trainingshalle vorherrschen. Dabei nehmen die Athletinnen die Schinderei für ein bescheidenes und obendrein stark leistungsbezogenes Fixum auf sich. In einem Jahr wie diesem – ohne Wettkämpfe – ist die Lohneinbusse dramatisch genug.
Natürlich ist der Ruf nach Konsequenzen trotzdem gerechtfertigt, und es stimmt positiv, dass der STV in einem offenen Brief einen «Kulturwandel» versprochen hat. Und so ist ihm nun der Mut zu wünschen, weitere Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. Nach der Trennung von Felix Stingelin, dem Chef Spitzensport, wächst verbandsintern auch der Druck auf Geschäftsführer Ruedi Hediger. Es wäre ein Befreiungsschlag:
Hediger war lange Jahre selbst Chef Spitzensport, seit 2007 ist er als Geschäftsführer der starke Mann beim STV – all die Skandale fielen also in seinen Verantwortungsbereich. Die NZZ schreibt: «Solange Hediger im Chefbüro sitzt, wird es dem STV nicht gelingen, Vertrauen zurückzugewinnen. Stingelin sollte die Konsequenzen nicht allein tragen müssen.»
Trügt das Bild des Nationaltrainers?
In den Blick geraten ist vor allem aber auch Fabien Martin, der Nationaltrainer der Kunstturnerinnen. Zwei seiner früheren Athletinnen beschuldigen den Franzosen schwer: Er habe verschiedene Strategien gehabt, sie fertigzumachen, sagte die letztes Jahr zurückgetretene Turnerin Lynn Genhart.
Diese Vorwürfe irritierten Szenekenner mehr als die nonchalante Haltung von Hediger oder Stingelin im Umgang mit Misshandlungsvorwürfen. Viele nahmen Martin bislang eher als jovial, seriös und zurückhaltend wahr, Klagen über ihn drangen keine nach aussen. Doch nun ermittelt auch gegen ihn die STV-Ethikkommission. «Wir möchten wissen, was stimmt», sagt Präsident Erwin Grossenbacher im Interview mit «CH Media». Für ihn ist jedoch klar: «Fabien Martin ist bestimmt kein Monster.»
Ohne Disziplin und Fleiss geht es im Turnen nicht. Auch nicht ohne harte Hand eines Trainers oder deutliche Worte einer Trainerin. Was es nicht länger braucht, ohne Wenn und Aber: Unmenschen.
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