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Halbfinals der EM 2021
Erst schockt er eine ganze Stadt, nun feiern sie ihn

Bis in den Halbfinal – und noch weiter? Luis Enrique (2. v. l.) und seine Spanier greifen nach dem vierten EM-Titel. 
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Die Party im Wiener Praterstadion hatte längst Fahrt aufgenommen, da kam Spaniens früherer Konditionstrainer Jesús Paredes aus der Kabine, bewaffnet mit einer Flasche Cava, wie der katalanische Schaumwein heisst. Spanien hatte soeben durch ein Tor von Fernando Torres seinen ersten EM-Titel nach 1964 gewonnen, nach 44-jähriger Wartezeit, durch ein 1:0 im Final gegen Deutschland.

Paredes schritt die Mixed Zone ab – der Bereich, in dem sich Journalisten und Aktive begegnen – und spielte eine Art Gänseblümchen-Orakel: «Mit dir stosse ich nicht an …, mit dir schon. Mit dir stosse ich nicht an …, mit dir schon …», sagte er ziemlich wortgetreu, mit leichten Variationen: «Dich kenne ich nicht, mit dir stosse ich an!» Es war seine ganz private Art abzurechnen mit den Reportern, je nachdem, wie sie berichtet hatten. Am Ende einer triumphalen Reise, die für seinen Chef Luis Aragonés ein Kreuzweg gewesen war.

Sorgte für Aufregung in der Heimat und gewann dann den EM-Titel: Luis Aragonés nach dem Finalsieg gegen Deutschland 2008. 

Es gibt nicht wenige Spanier, die sich aktuell an jene Zeit unter dem mittlerweile verstorbenen Trainer Aragonés erinnern. Nicht etwa, weil der heutige Nationalcoach, Luis Enrique, den gleichen Vornamen trägt wie die Legende von Atlético Madrid, und auch nicht, weil man den Titel für ausgemachte Sache hält. Am Dienstag wartet in Wembley das mächtige Italien. Sondern weil beide der Blasphemie bezichtigt wurden.

Luis Aragonés, weil er nach der WM 2006 auf den symbolträchtigsten Spieler von Real Madrid verzichtet hatte, auf Raúl González Blanco. Und Luis Enrique, weil er vor dieser EM ein Kader zusammengestellt hatte, das ganz ohne Spieler vom spanischen Rekordmeister auskam. Und das war in der Hauptstadt ein Schock, derlei hatte man in der Geschichte nie gesehen.

Vor dem Schweiz-Match war Enrique noch als «schlechtester Nationaltrainer der Geschichte» gebrandmarkt worden.

Umso bemerkenswerter ist der Schwenk, den manche Medien gerade vollziehen. «Die Zukunft gehört uns», gellte am Sonntag die Zeitung «As», und «Marca» lobte, dass diese Auswahl eigentlich «Luis Enrique FC» heissen müsse, weil es ein klar identifizierbares Team nach dem Abbild des Trainers sei. Wie ein Sieg doch alles ändern kann.

Noch am Freitag, ehe die Spanier in St. Petersburg die Schweizer 3:1 im Elfmeterschiessen besiegten, war Enrique im Radiosender der «Marca» als «schlechtester Nationaltrainer der Geschichte» des Königreichs gebrandmarkt worden; ein prominenter TV-Anchorman, der mit Reals Clubpräsident Florentino Pérez bestens verbandelt ist, fragte pikiert, ob man Enrique jetzt etwa dankbar sein sollte, nachdem ihm der jüngste Erfolg der Auswahl unter die Nase gerieben worden war. Nun muss man in Madrid ertragen, dass in Thibaut Courtois der letzte Real-Profi heim musste. Und die selección? «Diese muchachos stehen im Halbfinal, obwohl ein Teil des journalistischen Deep States versucht hatte, ihnen Voodoo angedeihen zu lassen», schrieb die in Barcelona ansässige «La Vanguardia»; die ebenfalls im widerborstigen Katalonien beheimatete «Sport» feierte den früheren Barça-Trainer Enrique als «Crack».

Das Lob ist Enrique in etwa so wichtig wie die Kritik aus Madrid – eine Stadt, die er gut kennt. Er spielte einst (wie auch Aragonés) in jungen Jahren bei Real Madrid und ging dann zum Erzrivalen FC Barcelona. Enrique, der aus dem nordspanischen Asturien stammt, weiss zu gut, dass man sich in Madrid gern für den Nabel der Halbinsel hält, wenn nicht gar der Welt.

Neue Hackordnung ohne Ramos

Auf der Puerta del Sol, dem zentralen Platz der Hauptstadt, ist ein Stein eingelassen, der den «Kilometer Null» markiert, der Ausgangspunkt des radialen Fernstrassensystems, das an die oft vernachlässigte Peripherie des Landes führt. Ebendiese Peripherie hat Enrique – noch extremer als einst Aragonés – zur Stärke seiner Auswahl erhoben. Seine Spieler kommen aus Villarreal, Bilbao, San Sebastián, Barcelona, oder aus der Emigration, von Vereinen wie Chelsea, Manchester City oder Leipzig.

Der Verzicht auf Sergio Ramos bedeutete wie einst die Ausbootung Raúls eine Neujustierung der eingeschliffenen Hackordnung. Enrique holte vornehmlich formbare Nachwuchskräfte. Gegen die Schweiz bot er in der Startformation sechs Spieler auf, die keine 20 Länderspiele beisammen haben. Das Gruppengefühl stärkte er nicht nur durch flache Hierarchien, sondern auch dadurch, dass er sein Mantra von 24 Stammspielern tatsächlich lebte: Bis auf die beiden Ersatzgoalies und Diego Llorente (Leeds United) sind schon alle Kaderspieler eingesetzt worden.

Am häufigsten treffen die Gegner für Spanien

Und Enrique stellte sich vor die Spieler, über die am meisten diskutiert wurde: den emsigen, aber weitgehend glücklosen Mittelstürmer Álvaro Morata sowie Torhüter Unai Simón (Athletic Bilbao), der im Penaltyschiessen zum Helden wurde. Unruhe gab es nur durch externe Faktoren, und von denen gab es viele. «Es gibt nichts, was uns nicht passiert wäre», sagte Enrique. Aber seine Mannschaft ist daran gewachsen, auch dank einer klaren Spielidee.

«Lucho hatte nicht einen Zweifel, dass er das Richtige tut», sagt einer seiner engsten Mitarbeiter über den Coach. Dieser wähnt sich nicht am Ende eines Ziels. Die anfänglichen Klagen über mangelnde Torgefahr wurden erstickt, und dem tut kein Abbruch, dass der beste Schütze der Spanier aktuell «Guiri» heisst – so werden abschätzig ausländische Touristen genannt. Spanien profitierte bereits von drei Eigentoren. Kein Zufall, sondern ein Indiz für das Chaos, das die Spanier bei ihren Rivalen anzurichten imstande sind.

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