Zweite Anklage gegen Donald TrumpDraussen Soldaten, drinnen Schock, Wut und gegenseitige Vorwürfe
Unter dem Schutz Tausender Soldaten – und mit Stimmen der Republikaner: Das US-Repräsentantenhaus klagt Trump für seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol an.
Bei den Republikanern im Kongress ist an diesem Tag viel von der Einheit die Rede und vom Frieden im Land. Einem Frieden, der in Gefahr sei, wenn die Demokraten mit dem Impeachment gegen Donald Trump ernst machten.
Doch um zu begreifen, wie brüchig dieser Frieden bereits geworden ist, reicht am Mittwoch ein Spaziergang durch Washington, den Kapitolshügel hinauf zum Kongress. Bewaffnete Soldaten stehen in den Strassen. Man sieht sie an den Checkpoints bei der Union Station. Man sieht sie vor und hinter dem neuen Zaun, der das Parlament vom Rest der Hauptstadt abriegelt. Man sieht sie beim Rapport vor den Stufen des Kapitols. Und man sieht sie im Inneren des Gebäudes, wo viele auf dem kalten Marmorboden übernachtet haben.
Unter grosser Anspannung
Dutzende, eher Hunderte von Angehörigen der Nationalgarde liegen am frühen Morgen immer noch da. Manche dösen in den Gängen vor sich hin, das Gewehr und die Schutzausrüstung neben sich. Manche sitzen in der Rotunde unter der mächtigen Kuppel und betrachten die Gemälde, die die Landung von Kolumbus zeigen und die Kapitulation der Briten im Unabhängigkeitskrieg. Manche stehen vor den Treppen, die vom Untergeschoss hoch führen zum Saal des Repräsentantenhauses.
Soldaten, die das Parlament der Vereinigten Staaten besetzen und bewachen müssen, weil rechtsextreme Terroristen neue Angriffe angekündigt haben: Das sind die Umstände, als die Mitglieder des Repräsentantenhauses am Mittwoch zusammentreten, um das Impeachment gegen US-Präsident Donald Trump zu verhandeln – das zweite seiner Amtszeit.
Es geht bei diesem Impeachment natürlich um Trumps Rolle beim Sturm des Mobs auf das Kapitol, der sich exakt eine Woche zuvor an dieser Stelle zugetragen hat. Um die Art und Weise, wie Trump zuerst über Wochen seine Wahlniederlage leugnete und zu kippen versuchte – und seine Anhänger am 6. Januar aufforderte, zum Kapitol zu ziehen.
«Ihr werdet euer Land niemals mit Schwäche zurückerobern», sagte er, «ihr müsst stark sein». Er rief seine Unterstützer auf, «wie der Teufel zu kämpfen». Die Demokraten sehen darin eine «Anstiftung zum Aufstand», für die sie Trump mit der Amtsenthebung bestrafen wollen.
Die kleine Rebellion
Es geht bei diesem Impeachment aber auch um die Frage, wie gross Trumps Einfluss auf die Partei noch ist. Eine definitive Antwort steht aus. Aber es gibt an diesem Mittwoch erste Hinweise, in welche Richtung es gehen könnte.
Als die Abstimmung vorbei ist, haben zehn republikanische Abgeordnete mit den Demokraten dafür gestimmt, Trump anzuklagen. In absoluten Zahlen sind das nicht viele: Die Fraktion der Republikaner zählt 211 Mitglieder. Aber gemessen am Kadavergehorsam, den die Partei in den vergangenen Jahren gegenüber Trump an den Tag gelegt hat, kann man das durchaus als Absetzbewegung verstehen – wenn auch als sehr kleine.
Angeführt wird diese Bewegung von Liz Cheney, der Nummer drei der republikanischen Fraktion. Die Tochter des früheren Vizepräsidenten Dick Cheney hat schon am Abend zuvor angekündigt, für ein Impeachment gegen Trump zu stimmen, und sie hatte das mit einer scharfen Kritik am Präsidenten begründet. Ohne Trump hätte es den gewalttätigen Zug des Mobs auf das Kapitol nicht gegeben, schrieb Cheney: «Niemals hat ein Präsident einen grösseren Verrat an seinem Amt und an seinem Eid auf die Verfassung begangen.»
Neun ihrer Parteikollegen sehen das ähnlich – oder wollen Trumps Verhalten zumindest etwas entgegensetzen. Darunter sind mehrere Abgeordnete aus Wahlkreisen, in denen Trump bei der Präsidentschaftswahl eine Mehrheit der Stimmen gemacht hat. Und wäre die Abstimmung geheim gewesen, hätten sich diesen Abgeordneten wohl noch einige mehr angeschlossen.
Er wisse von vielen Republikanern, die für ein Impeachment stimmen wollten, aber von ihren Wählern massive Todesdrohungen gegen sich und ihre Familien erhalten hätten, sagt der Demokrate Jason Crow. Auch das zeigt, wie weit es mit dem Frieden im Land noch her ist.
Unnötig und gefährlich?
Die allermeisten Republikaner verlieren dagegen nicht viele Worte über Trumps Rede vom 6. Januar. Viel lieber sprechen sie darüber, wie das zweite Impeachment gegen Trump zustande kam – rasch und ohne Anhörungen.
Es sei unnötig, gegen den Präsidenten wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit noch ein Amtsenthebungsverfahren anzustrengen, das überdies erst stattfinden würde, nachdem Trump schon nicht mehr im Amt sei. «Wenn wir gegen jeden Politiker vorgehen würden, der eine feurige Rede vor seinen Anhängern hält, wäre dieses Gebäude leer», sagt der Abgeordnete Tom McClintock.
«Ein Impeachment wird das Feuer im Land weiter anfachen.»
Vor allem aber sei ein Impeachment gefährlich, weil es die Stimmung weiter anheize. Die Demokraten hätten bei den Wahlen alles gewonnen, sagt McClintock: die Präsidentschaft, die Mehrheit im Kongress. «Das verlangt nach Grossmut, nicht nach Rache.» Und der republikanische Minderheitsführer Kevin McCarthy warnt die Demokraten, dass ein Impeachment das Land noch mehr spalten würde: «Es wird das Feuer weiter anfachen.
Was nur die wenigsten Republikaner erwähnen, ist die Rolle, die sie selbst zu dieser Stimmung beigetragen haben. Auch führende Abgeordnete wiederholten in den vergangenen Wochen ständig Trumps falsche Behauptungen über eine gestohlene Wahl und taten bis ganz am Schluss so, als lasse sich das Ergebnis der Wahl tatsächlich noch umdrehen. 147 Abgeordnete stimmten auch nach der Besetzung des Kapitols noch gegen eine Zertifizierung der Elektorenstimmen. Damit bedienten sie Trumps Narrativ über Joe Bidens illegitime Wahl.
Den Demokraten ist bei der Debatte anzuhören, wie gross ihr Schock und ihre Wut über die Ereignisse vom 6. Januar sind. Viele Abgeordnete erzählen davon, wie sie vor sieben Tagen am gleichen Ort um ihr Leben fürchteten. Wie sie auf dem Boden knieten und sich versteckten, während vor den Türen des Saals der Mob wütete.
Er habe diesen Leuten in die Augen gesehen, sagt Jim McGovern, und er habe dabei das «Böse» gesehen. «Das war kein Protest, das war ein Aufstand gegen unser Land, der von Donald Trump organisiert wurde.» Trump müsse für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden, erst dann könne das Land zur Heilung übergehen: Das sagt ein demokratischer Redner nach dem anderen.
«Wenn wir Trump nicht zur Verantwortung ziehen, könnten die Schäden an unserem Land unumkehrbar sein.»
Von der Tribüne des Repräsentantenhauses sind sie nicht zu erkennen, die Spuren, die der Mob auch im Saal hinterlassen hat. Und auch im Bauch des Kapitols sind die meisten Überreste der Zerstörung beseitigt. Die Büste von Präsident Zachary Taylor, an der getrocknetes Blut klebt, ist hinter einem Holzbrett verschwunden. Die Glasscherben sind weggekehrt. Nancy Pelosis Namensschild hängt wieder.
«Die Schäden am Gebäude können repariert werden», sagt McGovern in der Debatte, «aber wenn wir Trump nicht zur Verantwortung ziehen, könnte der Schaden an unserem Land unumkehrbar sein.»
McConnells Offenheit
Für die Demokraten ist das Resultat der Abstimmung ein vorläufiger Erfolg: Beim ersten Impeachment im Dezember 2019, als Trump in der Ukraine-Affäre Machtmissbrauch vorgeworfen wurde, hatte noch kein einziger Republikaner für eine Anklage zur Amtsenthebung gestimmt. Trump und die Führung der Republikaner konnten damit sagen, dass es sich um eine rein parteipolitische Angelegenheit handle.
An diesem Mittwoch unternimmt Kevin McCarthy, der Minderheitsführer, vor der Abstimmung dagegen nicht einmal den Versuch, alle seine Kollegen auf Linie zu bringen – er erklärt das Votum zur «Gewissensfrage».
Bei der Inauguration werden ein Vielfaches der Soldaten im Einsatz sein, die in Afghanistan und Irak stationiert sind.
Ob aus dem Impeachment aber auch eine Verurteilung Trumps folgt, ist offen. Die Anklage geht nun an den Senat, wo es für einen Schuldspruch eine Zweidrittelmehrheit braucht. Beginnen wird die Verhandlung allerdings frühestens am 20. Januar, dem Tag der Amtseinführung Bidens. Glaubt man den fiebrigen Spekulationen in Washington, schliesst Mitch McConnell, der Chef der Republikaner im Senat, nicht mehr aus, für eine Verurteilung Trumps zu stimmen.
Sicher ist dafür, dass sich bis in einer Woche auch das Kapitol und seine Umgebung nochmals verändern werden: noch mehr Sicherheitsvorkehrungen, noch mehr Soldaten. Wenn Biden auf der neu errichteten Tribüne an der Westseite des Gebäudes den Amtseid ablegt, werden in der US-Hauptstadt mehr als 20’000 Soldaten im Einsatz sein – ein Vielfaches der Soldaten, die die US-Streitkräfte im Irak und in Afghanistan stationiert haben. Noch nie sah ein Machtwechsel in Washington so martialisch aus.
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