Verdacht auf AmtsmissbrauchErmittlungen zu Genfer Turbo-Einbürgerungen laufen
Der im Schnellverfahren eingebürgerte Libanese F.F. sei kein Einzelfall, sagt der Genfer Ex-Regierungsrat Pierre Maudet zu seiner Verteidigung. Doch die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Sein Einbürgerungsdossier einreichen und schon ein halbes Jahr später das Schweizer Bürgerrecht erhalten? Was für die meisten Einbürgerungswilligen undenkbar ist, war in Genf offenbar jahrelang gängige Praxis. Das jedenfalls deutet der ehemalige Genfer Sicherheitsdirektor Pierre Maudet gegenüber der Zeitung «Le Temps» an, nachdem diese Zeitung anhand des Einbürgerungsdossiers eines libanesischstämmigen Bankers gezeigt hat, dass Maudet das Verfahren nicht nur vorantrieb, sondern dabei auch Rechtsbedenken seiner Mitarbeiter überging.
Maudet verhalf ab 2015 einem libanesischen Banker zu einer Schnelleinbürgerung. Der Libanese hatte nicht nur das Problem, dass er in der Schweiz zu wenig lang durchgehend an einem Ort gelebt hatte. Es zeichnete sich auch ab, dass seine Aufenthaltsbewilligung B für eine Einbürgerung nicht mehr ausreichen würde, weil nach einer Gesetzesänderung Anfang 2017 eine C-Bewilligung erforderlich gewesen wäre.
Die extrem kurze Bearbeitungsdauer sei «nicht aussergewöhnlich», sagt Maudet nun gegenüber der Zeitung «Le Temps». Zwischen 2014 und 2020 habe man in Genf 116 Einbürgerungsfälle innerhalb einer Dauer von weniger als neun Monaten bearbeitet.
Doch auch die Genfer Staatsanwaltschaft zweifelt, ob die kantonale Einbürgerungspraxis stets rechtskonform war. Sie führt darum seit längerem ein Strafverfahren und nennt nun auch öffentlich den Straftatbestand, zu dem sie ermittelt: Amtsmissbrauch. Die Genfer Strafjustiz führt das Verfahren jedoch nicht gegen Maudet selbst oder seine in den Fall involvierten Mitarbeiter, sondern gegen unbekannt.
Die von dieser Zeitung veröffentlichte Korrespondenz zwischen Maudet, seinen Mitarbeitern und dem Banker waren der Staatsanwaltschaft allerdings bisher unbekannt. Nach Publikation dieser E-Mails ist nun denkbar, dass neue Bewegung in das Strafverfahren kommt – auch weil mindestens eine Privatperson die Staatsanwaltschaft am Montag mittels Strafanzeige aufgefordert hatte, tätig zu werden. Die Anzeige liegt dieser Redaktion in Kopie vor.
Im vorliegenden Fall war dem einbürgerungswilligen Libanesen vom Departement Maudet geraten worden, die Verlegung seiner Papiere von Schwyz nach Genf um mehrere Monate vorzudatieren, um so die im kantonalen Gesetz vorgeschrieben Mindestwohndauer zu erreichen. Zudem gibt es zumindest Zweifel, ob der Bankier tatsächlich physisch nach Genf zog und hier seinen Lebensmittelpunkt hatte oder ob er lediglich seine Papiere hierherverlegte.
Pikanter GPK-Bericht
Eine Warnung, es könnte in Genf angesichts der Schnelleinbürgerungen nicht alles mit rechten Dingen abgelaufen sein, setzte 2021 bereits die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rats (GPK) ab. Die GPK hatte Verdachtsmomente für Missstände im Amt für Bevölkerung damals in einem Bericht festgehalten. Gemäss der GPK-Befunde hatten sich auch Genfer Grossräte verschiedener Parteien immer wieder das Recht herausgenommen, beim Amt für Bevölkerung zu intervenieren, um Einbürgerungsgesuche zu beschleunigen. Parlamentarier haben zwar erheblich weniger Einfluss auf die Verwaltung als der zuständige Regierungsrat, trotzdem soll es zu Einflussnahmen gekommen sein.
Als die Staatsanwaltschaft zwei GPK-Mitglieder formell zu den Befunden im Bericht befragen wollte, lehnte die GPK dies mit Verweis auf die Gewaltenteilung ab. Klar ist seither nur, dass die Genfer Gesetzgebung eine beschleunigte Bearbeitung von Einbürgerungsgesuchen zwar vorsieht, wenn es sich beispielsweise um einen Spitzensportler oder einen wichtigen Steuerzahler handelt und die Vergabe eines Schweizer Passes im öffentlichen Interesse wäre; ebenso klar ist aber, dass es auch in Genf verboten ist, gesetzliche Bestimmungen auszuhebeln.
SEM greift nicht ein
Was wusste das Staatssekretariat für Migration (SEM) über die Genfer Einbürgerungspraxis? Hätte das SEM als letzte Instanz in Einbürgerungsverfahren in Genf allenfalls eingreifen können oder sogar müssen, auch zur Wahrung der Rechtsgleichheit sämtlicher einbürgerungswilligen Bewohnerinnen und Bewohner anderer Kantone?
Auf Anfrage teilt SEM-Sprecher Daniel Bach nun mit, dass das Staatssekretariat im Fall von ordentlichen Einbürgerungen «im Bereich des Bürgerrechtes gegenüber den Kantonen und Gemeinden keine Aufsichtspflicht und auch keine Weisungsbefugnis» habe. Zwar prüfe das SEM gemäss seiner Zuständigkeit, ob die im Bürgerrechtsgesetz aufgeführten Mindestvorschriften erfüllt seien, aber diese Prüfung finde nur «aufgrund der vom Kanton eingereichten Akten» statt.
Das SEM stütze sich hierbei bei seiner Beurteilung auf die offiziellen Angaben der Kantone, namentlich auch bei der Berechnung der gesetzlich vorgeschriebenen Aufenthaltsdauer. Offizielle Wohnsitzbestätigungen lägen den Einbürgerungsgesuchen «regelmässig» bei, so der SEM-Sprecher. Von sich aus prüfe der Bund aber bei jedem Dossier nur, «ob eine Einbürgerung die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz tangieren würde».
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