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Er wollte das Sonnensystem verschieben

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Es gibt Genies, die sind genau das: Genies. Nicht mehr und nicht weniger. Der Schweizer Astrophysiker Fritz Zwicky war auch ein Genie. Vielleicht sogar ein Universalgenie. Aber er war noch mehr als das: Er war ein Genie mit Ecken und Kanten. Das machte ihn zu einer spannenden Persönlichkeit und zu einem unbequemen Kollegen. Und vor allem: Er war und ist noch immer ein verkanntes Genie. Gemessen an seinen intellektuellen Leistungen blieb ihm zumindest in seinem Heimatland die gebührende ­Beachtung verwehrt.

Eine Ausstellung in seinem Bürgerort Mollis bei Glarus möchte dem zumindest etwas entgegenwirken. Pünktlich zum 120. Geburtstag – morgen Mittwoch – öffnet die Ausstellung im Heimatmuseum von Mollis ihre Tore.

Ein Charakterzug von Zwicky lässt sich schon erahnen, wenn man von Ziegelbrücke aus in das enge, finstere, von steilen Bergwänden flankierte Tal in Richtung Mollis fährt. Bergler, so zu­mindest das Klischee, sind wie diese ­Felsen: Sie sind stur, mit starkem Selbstbewusstsein ausgestattet und haben ­immer recht. Auch Zwicky war so ein Bergler. Er hatte eine stämmige Statur, verkörperte den unerschrockenen ­Alpinisten. Mit seinem Freund und ­späteren Nobelpreisträger für Medizin Tadeus Reichstein gelangen ihm einige Erstbegehungen. Die wohl bekannteste ist die Ruchenglärnisch-Nordwand, die den beiden 1924 auf einer Zickzackroute mit langen Quergängen gelang.

Schwierige Persönlichkeit

Seine etwas schwierige Persönlichkeit zeigte sich eindrücklich 1920 bei der mündlichen Diplomprüfung. Auf eine Prüfungsfrage antwortete Zwicky gemäss eigenen Angaben, die Frage sei so ungenau formuliert, dass er darauf sechs Antworten geben und sie alle mit wissenschaftlich einwandfreien Argumenten stützen könne. Am Ende wurde der prüfende Professor vor Wut grüngelb und drohte zusammenzuklappen.

Zwicky war so von sich überzeugt, dass er als Wissenschaftler Schwierig­keiten damit hatte, Nachwuchsforschern ihre Entdeckungen zu gönnen, sagt sein Biograf Alfred Stöckli, Präsident der Fritz-Zwicky-Stiftung. «Wenn die Chemie mit einem Kollegen nicht stimmte, hat Zwicky ihn abserviert», sagt Stöckli. «Wer nicht aufrichtig oder gar verlogen war, den hasste er. Wer ihm trotz seiner Eigenheiten offen und aufrichtig begegnete, mit dem kam er aber durchaus gut zurecht.»

Dank seiner originellen Ideen konnte Zwicky einige wissenschaftliche Meilensteine setzen, die noch heute hoch aktuell sind. Bei der Beobachtung von Galaxienhaufen stellte er fest, dass die Schwerkraft der sichtbaren Masse nicht ausreicht, um die rotierenden Galaxienhaufen beisammenzuhalten. So postulierte er 1933 die Existenz unsichtbarer, dunkler Materie. Für die damalige Zeit eine verrückte Idee, die aber im aktuellen kosmologischen Modell von zentraler Bedeutung ist. Zahlreiche Experimente rund um den Globus versuchen derzeit, diese ominöse dunkle Materie zu erhaschen. Doch seinerzeit machte das Zwicky für viele seiner Kollegen zum Exzentriker.

Seine zweite herausragende Leistung hat mit Sternen zu tun. Wenn grosse Sterne ihren Brennstoff verfeuert haben, explodieren sie als sogenannte Supernovä. Gemeinsam mit seinem Kollegen Walter Baade stellte Zwicky 1943 die kühne Behauptung auf: Was nach der Supernova übrig bleibt, ist ein Stern aus Neutronen. Diese Kernbausteine waren eben erst entdeckt worden, und schon postulierten die beiden Astrophysiker die Existenz von Neutronensternen. Erst 1968 haben Beobachtungen gezeigt, dass Neutronensterne tatsächlich existieren.

Seine Forschung brachte Zwicky auch mehrfach mit Albert Einstein zusammen, der in Princeton an der Ostküste arbeitete. Auf einem in der Ausstellung gezeigten Porträtfoto von sich hat ­Einstein notiert: «Kollege Zwicky zum Andenken, Albert Einstein, 1932».

Berühmter Raketentechniker

Viel Denkarbeit widmete das Glarner Genie einer Methode zur Lösung komplexer Probleme. Heute würde man diese Methode vielleicht als «vernetztes Denken» bezeichnen oder als «strukturiertes Brainstorming». Zwicky nannte die Methode Morphologie. Jedenfalls ging es ihm darum, die Komplexität eines Problems in seiner Gesamtheit und ohne jegliche Vorurteile zu erfassen und zu strukturieren. So gerät das Grosse und Ganze der Sachlage nicht aus dem Auge. Die Gefahr, sich sinnlos in Detailaufgaben zu verstricken, wird reduziert. Zwicky wandte das morphologische Denken für alle möglichen Herausforderungen an, in der Astrophysik, der Raketenforschung, im Management und für die Ordnung seiner überschäumenden Gedankenwelt.

Berühmt wurde Zwicky auch als Raketenforscher. Kurz nachdem am 4. Oktober 1957 der legendäre russische Satellit Sputnik in den Erdorbit gelangte, schoss Zwicky am 16. Oktober 1957 mit einer Aerobee-Rakete ein kleines Kügelchen in den Weltraum: Es war das erste künstliche Objekt der Weltgeschichte, welches das Gravitationsfeld der Erde für immer verlassen hat. Die USA erkannten sein Talent und engagierten ihn als militärischen Berater. Das Ziel: den Rückstand in der Raketentechnik gegenüber Deutschland und Russland wettzumachen. Im Auftrag der USA wurde er auch nach Deutschland und Japan geschickt. In Deutschland begutachtete er die legendäre V2-Rakete der Nazis. In Japan hatte er die Aufgabe, die Folgen der Atombombenabwürfe zu beurteilen. Er brachte sogar Souvenirs mit, die in der Ausstellung zu sehen sind: Tempel-Fundstücke aus Hiroshima.

Treffen mit Dürrenmatt

Seine Bekanntheit sprach sich herum, auch in der Schweiz. Bis zum Migros-Gründer Gottfried Duttweiler. Zwicky wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter der Migros-Klubschule. Eine weitere Schweizer Bekanntschaft war Friedrich Dürrenmatt. «Originale ziehen sich an, könnte man sagen», sagt Biograf Stöckli. Dürrenmatt jedenfalls war von diesem kühn denkenden Physiker und Weltraumforscher angetan und machte Zwicky zum Vorbild für seine Hauptfigur Moebius im Bestseller «Die Physiker».

Manchmal sind Zwicky auch die Gäule durchgegangen. Dürrenmatt berichtet von einem Treffen im Jahr 1959 in New York, bei dem der Astronom und Denker den Plan erläuterte, unser ganzes Sonnensystem auf eine Reise zu schicken. Tausende Wasserstoffbomben müssten dazu in der Nähe der Sonne gezündet werden. Die Sonne würde geringfügig aus ihrer Bahn geworfen und samt den Planeten näher ans Zentrum der Milchstrasse segeln. Das wiederum würde unseren fernen Nachfahren Weltraummissionen zu anderen Sonnensystemen erleichtern, meinte Zwicky. «Vermutlich wurde bei diesem Mittagessen auch reichlich getrunken», relativiert Stöckli. «Zwicky liebte es, andere Leute mit seinen spekulativ-wissenschaftlichen Äusserungen zu erschrecken.»

Obwohl er in den USA lebte, blieb Zwicky zeitlebens seiner Heimat ver­bunden. Er weigerte sich sogar, das erstklassige Schweizer Bürgerrecht gegen ein zweitklassiges amerikanisches abzu­geben. Zweitklassig war es aus seiner Sicht, weil er als eingebürgerter Amerikaner seinerzeit nicht Präsident der USA hätte werden können. Die Weigerung brachte ihm sogar Ärger ein. Der Senator Joseph McCarthy entzog ihm die «Clearance»: Zwicky hatte keinen Zugang mehr zu den von ihm selbst erstellten Geheimdokumenten.

Sein unscheinbares Grab findet sich auf dem Friedhof der reformierten ­Kirche in Mollis. Er ruht inmitten der steilen Bergwände. Von dort aus hätte er sogar freien Blick auf «seine» Ruchen­glärnisch-Nordwand.

Sonderausstellung zum 120. Geburtstag des Astrophysikers Fritz Zwicky: 14. Februar 2018 bis 16. Februar 2019, Ortsmuseum Mollis, Steinackerstr. 4. Öffnungszeiten: Di/Mi/Sa/So 14–17 Uhr oder nach Vereinbarung. Info: www.fritz-zwicky.ch