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Meinung

Kopf des Tages
Er erfand die Besucherbox

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Normalerweise sei seine Frisur eher konservativ, sagt Georg Raguth. Nicht während Corona. Zu Beginn der Krise hat sich der Leiter des Altersheims Risi in Wattwil die Haare blau gefärbt. Dann rot, wobei sie eher violett schimmerten. Und zuletzt rasierte er die Seiten kahl. Es habe sich gelohnt, sagt Raguth. «Einige Bewohner mussten lachten.»

Die wilde Haartracht ist nicht das Einzige, womit der 56-Jährige den Alltag der Bewohnerinnen etwas auflockern will, die wegen des Coronavirus keinen Besuch empfangen dürfen. Er hat eine Wurlitzer-Jukebox angeschafft und sie mit alten Liedern bestückt. Jeden Morgen um neun moderiert Raguth im Speisesaal eine exklusive Risi-Corona-Tagesschau. Und er baute das Unterhaltungsangebot – jassen, basteln, Fremdsprachen lernen – aus, damit alle die passende Zerstreuung finden.

Nur ein Plexiglas trennt die Bewohner des Altersheims Risi von ihren Liebsten.

Die beliebteste Attraktion in seinem Altersheim ist momentan jedoch die Besucherbox. Wann sie wieder frei ist? Da muss Raguth erst nachschauen, «Moment», sagt er, «am nächsten Donnerstag.» Auf 45 Minuten hat er die Zeit in der Holzbox beschränkt, damit alle 104 Senioren, die wollen, ihre Liebsten sehen können, nur durch eine Plexiglas getrennt. «Es ist wie ein Wiedersehen nach einer Weltreise», sagt Raguth. Weinen, lachen, Ausflüge nach Corona planen.

Die Inspiration zu seiner Erfindung waren Kriminalfilme. Georg Raguth erinnerte sich an Szenen, in denen Gefangene ihre Angehörigen durch ein Glas berühren, den Telefonhörer am Ohr. An einem Morgen erzählte er seinen Mitarbeitern davon, am Abend stand die Box. Eine verrückte Idee, 1000 Franken und die Macher-Mentalität im Altersheim Risi – sie verschaffen den Senioren den so wichtigen Kontakt zur Aussenwelt. Trotz Covid-19.

Wenn ein Enkel die Grossmutter im Altersheim Risi besuchen will, kann er sie in der «Bsuechsbox» treffen – immerhin.

Skype ist nichts dagegen. «Einige Senioren fanden es unheimlich, das Gesicht ihres Enkels im Bildschirm zu sehen», sagt Raguth. In der Besucherbox kann die Mutter die ungefilterte Stimme ihres Sohnes hören, wenn er laut genug spricht. Und er sieht an ihren Fältchen beim Lachen, wie es ihr wirklich geht. Ausser dem Plexiglas und dem Geruch des Desinfektionsmittels sei es wie in einer normalen Stube, sagt Raguth. Sogar mit dem Rollstuhl können die Bewohner in die Box. Intime Gespräche sind möglich, weil niemand hinter die Holzverkleidung sieht.

Um in die «Bsuechsbox» zu gehen, müssen die Bewohner das Altersheim nicht verlassen.

Mittlerweile steht auch im Pflegeheim Parc in Lenzerheide eine Besucherbox. Es ist ein umgebautes Zeitmesserhäuschen, das im Winter im Zielraum der Skipiste steht. Bei Georg Raguth haben sich inzwischen Alterszentren aus Tschechien, dem Vorarlberg und der Westschweiz gemeldet. Er hat ihnen die «Beschreibung Besucherbox Risi» geschickt, wo er seine Erfindung dokumentierte: «Imprägnierter Täfer, Plexiglasscheibe 1,38 m Breite × 2,04 m, Heizstrahler mit 1,5 kW Leistung…»

Dass er Morgengast bei SRF1 war und sogar Fernsehstationen aus dem Ausland Interviews wollten, stört Raguth nicht. «Vor allem finde ich es lässig fürs Risi», sagt er. Die Philosophie seines Alterszentrums sieht die Senioren als Blumen: Dahlien, Rosen, Lavendel – ganz unterschiedliche. Im Risi sollen sie sich zurückziehen und dabei aufblühen können. Die Bewohner mögen es, dass der Leiter dieser Blumenwiese oft unkonventionell handelt. Er analysiert eine Idee nicht zu Tode, sondern macht einfach mal. Einmal hatte Georg Raguth den spontanen Einfall, mit einer Gruppe Senioren nach Amsterdam zu fahren. Sie gingen. Es war gut.