UNO-Gericht ermahnt IsraelNetanyahus Regierung muss «aufhetzende Reden» unterlassen
Angesichts der hohen Anzahl ziviler Opfer in Gaza verlangt der Internationale Gerichtshof in Den Haag auch, dass sich das israelische Militär sofort mässigt.
Israels Kriegsführung im Gazastreifen dürfe nicht so weitergehen wie bisher. Das hat am Freitag der Internationale Gerichtshof erklärt. Zudem sprachen die Richterinnen und Richter eine Reihe von Anordnungen aus, die Israel betreffen. Nicht nur müsse die israelische Regierung dringend «alles tun, was in ihrer Macht steht», um die Lebensbedingungen der Zivilbevölkerung in Gaza erträglicher zu machen, hiess es in der Eilentscheidung. Mehr noch müsse der Staat Israel auch dringend «aufhetzende Reden» seiner eigenen Politiker unterbinden. Diese würden die palästinensische Bevölkerung entmenschlichen.
Die deutliche Kritik richtete sich gegen Männer wie den israelischen Polizeiminister Itamar Ben-Gvir oder den Finanzminister Bezalel Smotrich. Minutenlang zitierte die Gerichtspräsidentin Aussprüche, die dazu geeignet seien, Menschen zu Hass gegen Palästinenser aufzustacheln – und deshalb nach der UN-Völkermordkonvention verboten seien. Sie zitierte auch Worte des israelischen Verteidigungsministers und sogar des Staatspräsidenten.
Auch der israelische Richter stimmt in einem Punkt zu
Diese «aufhetzenden Reden» waren nur einer von mehreren Kritikpunkten, aber bemerkenswert ist, dass bei diesem Punkt der Konsens unter den siebzehn Richterinnen und Richtern am stärksten war. Sogar der israelische Richter Aharon Barak verurteilte die Regierung seines Landes deswegen. «Das macht diese Gerichtsanordnung besonders stark», sagt der deutsche Völkerrechtsprofessor Markus Krajewski.
Auch waren die Ermahnungen aus Den Haag zu den «aufhetzenden Reden» am detailliertesten. Es sei die Pflicht der israelischen Regierung, betonte die Gerichtspräsidentin, solche Hassreden nicht nur zu unterbinden, sondern auch zu bestrafen. Weiter müsse Israel Massnahmen ergreifen, um die Zivilbevölkerung besser zu schützen. «Das ist eine überraschend harte Entscheidung gegen Israel», sagt Kai Ambos, Richter am Kosovo-Sondertribunal in Den Haag. Für die Regierung Südafrikas, die diese Klage gegen Israel vor den Gerichtshof gebracht hatte, sei das «sehr positiv».
Das eigentliche Ziel, das Südafrika verfolgt, hat es indes nicht erreicht. Per Eilverfahren verlangte das afrikanische Land, dass alle Kampfhandlungen sofort eingestellt werden. «Das war aber von vornherein nicht zu erwarten», sagt der Jurist Ambos. Die völkerrechtliche Kritik richte sich nicht gegen die Tatsache, dass Israel sich verteidige – sondern nur gegen die Art, wie es das tue.
Der Spruch in Den Haag am Freitag war indes nur vorläufig. Die definitive Entscheidung, ob die israelischen Streitkräfte im Gazastreifen gegen die UN-Völkermordkonvention verstossen, steht noch aus. Die Gerichtspräsidentin stellte lediglich klar: Die Palästinenser seien ein Volk, auch wenn einige israelische Politiker des rechten Lagers dies bestritten. Und der erste Anschein eines Genozids sei zumindest nicht ausgeschlossen.
Die deutsche Regierung will im Hauptverfahren intervenieren
Israels Regierung hat nun einen Monat Zeit, um beim Gerichtshof darzulegen, welche Massnahmen sie ergriffen habe, um den Appellen nachzukommen. Dazu zählt auch die Aufforderung, Beweise zu sichern für mögliche israelische Verbrechen. Danach wird das Verfahren weitergehen. Bis zu einem abschliessenden Urteil werde es noch «zwei oder drei Jahre» dauern, sagt der Völkerrechtler Krajewski, «wahrscheinlich sogar noch länger, denn das Gericht wird umfangreiche Beweismittel erheben müssen».
Die deutsche Regierung hat bereits angekündigt, dass sie im Hauptverfahren intervenieren wolle – eine Geste der Solidarität mit Israel. Bislang ist das nur eine Ankündigung, und es bedeutet, dass Deutschland in den kommenden zwei oder drei Jahren ein Dossier mit juristischen Argumenten zur Unterstützung der israelischen Sichtweise einreichen und eventuell auch im Gerichtssaal aufstehen und sprechen könnte, wenn der Prozess stattfindet. Das hat bislang aber keinen Einfluss auf das Verfahren gehabt – und ob es in Zukunft relevanten Einfluss auf die Richterinnen und Richter haben wird oder bloss eine symbolische Solidaritätsgeste bleibt, ist offen.
Nun wird sich in den kommenden Wochen zeigen, wieweit Israel sich von den vorläufigen Anordnungen aus Den Haag beeindrucken lässt. Die Regierung in Jerusalem wäre eigentlich dazu verpflichtet, sich daran zu halten. Sie sind völkerrechtlich bindend. Der Internationale Gerichtshof ist das oberste Rechtsprechungsorgan der UNO, und auch wenn Israel sich diesem Gerichtshof nicht generell unterworfen hat, so zumindest der UN-Völkermordkonvention. Und Den Haag ist zuständig für die Überwachung dieser Konvention.
Indessen haben in der Vergangenheit schon eine ganze Reihe von Staaten demonstriert, wie man die Zwischenrufe aus den Niederlanden in der politischen Realität recht folgenlos ignorieren kann. Ein prominentes Beispiel ist Russland. Der Internationale Gerichtshof hatte am 16. März 2022 angeordnet, dass die Regierung in Moskau sofort ihren Angriffskrieg gegen die Ukraine einstelle. Geändert hat das in der Realität nichts – eigenständige Zwangsmittel gegen Staaten hat der Gerichtshof nicht zur Verfügung.
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