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EU-Kommissionspräsidentin im Interview
«Energie und Transport müssen für alle erschwinglich bleiben»

«Wir müssen unsere Klimaziele erreichen»: Ursula von der Leyen, Präsidentin der EU-Kommission.
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Frau von der Leyen, die Industrie sagt schon jetzt, das Paket werde sie überfordern. Sie fürchtet um ihre Chancen im globalen Wettbewerb. Viele Wissenschaftler und Umweltschützer dagegen sagen, das Paket sei noch nicht einmal genug, um die Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen einzuhalten: die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Wer hat recht?

Die CO₂-intensive Wirtschaft ist an ihre Grenzen gestossen. Mit dem europäischen Grünen Deal entwickeln wir eine neue Wachstumsstrategie für eine Wirtschaft, die mit wenig Kohlenstoff auskommt. Wir haben bereits bewiesen, dass das möglich ist. Seit 1990 haben wir unsere Emissionen um ein Viertel gesenkt – während die Wirtschaft um mehr als 60 Prozent gewachsen ist. Ich spreche viel mit der Industrie und mit Nichtregierungsorganisationen. Ich bin sicher, dass wir durch Innovationen und Investitionen diesen Sprung nach vorne machen können.

Die Grünen sagen, die EU müsste ihre Emissionen bis 2030 um 65 oder 70 Prozent reduzieren. Steht das Gesetzespaket von Anfang an auf wackeligen Füssen?

Der ganze Plan basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, und er entspricht unseren Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen. Das EU-Parlament und alle 27 Mitgliedsstaaten haben unseren Klimazielen zugestimmt. Wir waren der erste Kontinent, der das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 ausgegeben hat. Jetzt sind wir die Ersten, die konkrete Vorschläge machen, wie dieses Ziel erreicht werden kann. Wir fordern andere Nationen auf, dasselbe zu tun. Aus den Mitteln für den Corona-Wiederaufbau und dem EU-Budget sind 500 Milliarden Euro ausschliesslich für den Grünen Deal reserviert. Nimmt man Mittel aus den nationalen Haushalten hinzu und private Investitionen, zu denen unsere Vorschläge ermutigen, sieht man, welche Schlagkraft unser Paket haben wird.

Kohlenstoffverbrauch soll Ihren Vorschlägen zufolge nicht nur für die Industrie einen Preis haben, sondern auch beim Strassenverkehr oder beim Heizen von Gebäuden. Das dürften die Bürger beim Tanken oder auf der Stromrechnung merken. Haben Sie das mit einkalkuliert?

Uns ist sehr wichtig, dass der Übergang zu einer sauberen Wirtschaft fair und gerecht für alle ist. Energie und Transport müssen für alle erschwinglich bleiben. Allerdings ist der Strassenverkehr der einzige Sektor, in dem die Emissionen in den vergangenen Jahren sogar noch gestiegen sind – und dem müssen wir etwas entgegensetzen. Der Emissionshandel kann dabei helfen: Derjenige, der CO₂ freisetzt und die Atmosphäre verschmutzt, muss dafür zahlen. So schaffen wir Anreize, saubere Technologien zu entwickeln. In der Industrie und bei der Stromerzeugung funktioniert dieser Mechanismus bereits sehr gut, darum wollen wir ihn nun auch für den Strassenverkehr oder etwa das Heizen nutzen. Gleichzeitig werden wir einen Sozialfonds speziell für die Klimakosten aufsetzen. So stellen wir sicher, dass Haushalte mit kleinen Einkommen einen Ausgleich bekommen. Das entspricht dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, das wir ja gut kennen.

Viele Mitgliedsstaaten sehen diesen neuen Emissionshandel sehr kritisch.

Klar ist: Wir müssen unsere Klimaziele erreichen. Wenn nicht durch den Emissionshandel, dann auf einem anderen Weg, der mehr Gesetze, mehr Standards, mehr Zwischenschritte und auch mehr Steuern bedeuten würde. Da ist mir ein System, das auf den Markt setzt, viel lieber. Denn es lässt der Industrie und der Wirtschaft mehr Raum, kreativ zu werden und eigene Lösungen zu finden.

Als Frankreich 2018 die Energiewende mit höheren Spritpreisen durchsetzen wollte, führte das zu den Gelbwesten-Protesten. Sollten sich die anderen EU-Länder auf ähnliche Gegenwehr einstellen?

Ärmere Bevölkerungsgruppen trifft der Klimawandel schon jetzt am härtesten. Wir haben daher alle ein Interesse, ihn aufzuhalten. Ausserdem: Je mehr wir in moderne Technologien, etwa saubere Autos, investieren, desto billiger werden diese. Und die Nachfrage steigt: 2020 wurden in der EU dreimal mehr Elektroautos registriert als im Jahr zuvor.

In den vergangenen Wochen haben mehrere Autohersteller angekündigt, komplett auf Elektromobilität umsteigen zu wollen. Volkswagen zum Beispiel will dieses Ziel bis 2035 erreichen. Braucht es da überhaupt noch ein gesetzlich festgelegtes Datum für den Ausstieg?

Stimmt, viele Autohersteller haben längst selbst die wegweisenden Antworten gegeben. In den vergangenen Wochen hat etwa ein Dutzend Hersteller in der EU angekündigt, zwischen 2028 und 2035 auf emissionsfreie Produktion umzusteigen. Wir werden dennoch eine zeitlichen Vorgabe machen, bis wann alle Autos emissionsfrei sein müssen. Sonst fehlt Planungssicherheit, und wir werden die Klimaneutralität bis 2050 nicht erreichen. Wie sie ihre Produktion verändern, bleibt den Herstellern aber selbst überlassen. Die wissen am besten, wie man neue Autos oder neue Kraftstoffe entwickelt.

Der Anteil erneuerbarer Energien soll in der EU auf 40 Prozent steigen, von zuletzt etwa 20 Prozent. Umweltverbände fürchten, das neue Ziel könnte dazu führen, dass Wälder abgeholzt werden, um als Brennholz verheizt zu werden. Neu gepflanzte Wälder entziehen der Atmosphäre aber nicht so viel CO₂, wie das alte Bestände können.

Wälder sind für uns unglaublich wertvoll. Sie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, aber wir brauchen sie auch als Kohlenstoffspeicher und für die Biodiversität. Deswegen sind wir im engen Austausch mit allen Beteiligten. Sie werden sehen, wir behalten alle diese Sichtweisen im Blick.

Wenn es ums Klima geht, ist Ihre eigene Partei, die Christdemokraten, oft zögerlich. Vielen gefällt schon nicht, dass Sie von einem «Grünen» Deal reden oder von einem grünen Pass für das Reisen in Zeiten von Corona. Einige halten Ihre ganze Politik für zu grün. Was entgegnen Sie?

Ich habe meinen Grünen Deal vor zwei Jahren als Teil meiner politischen Leitlinien präsentiert. Das EU-Parlament hat zugestimmt, auch mit den Stimmen der Christdemokraten. Jetzt haben wir das Klimagesetz, das ebenfalls von den grossen Fraktionen des Parlaments und von den 27 Mitgliedsstaaten getragen wird. Darin haben wir uns auf unser Klimaziel für 2030 geeinigt. Dass jetzt über das «Wie» gestritten wird, ist völlig normal. Und um das «Ob» geht es heute gar nicht mehr – das freut mich sehr.

Bis 2030 ist nur noch wenig Zeit. Sorgen Sie sich manchmal, ob die Zeit reicht, zu erreichen, was Sie sich vorgenommen haben?

Ich werde jedenfalls all meine Kraft dafür einsetzen, dass es gelingt. Wir Europäer wollen beweisen, dass es möglich ist, sich vom Kohlenstoffverbrauch zu lösen – und damit nicht nur den Planeten, sondern auch unseren Wohlstand zu erhalten.