Gerangel um digitalen AusweisOrell Füssli investiert Millionen in elektronische ID – ohne Auftrag vom Bund
Das Unternehmen druckt seit langem die Schweizer Banknoten. Nun tüfteln 20 Mitarbeitende am digitalen Ausweis. Doch der Bund will die Software lieber selbst entwickeln.
Die Digitalisierung schreitet rasant voran. Immer mehr Geschäfte können online abgewickelt werden. Doch den Schweizer Pass und die Identitätskarte gibt es ausschliesslich analog. Dies soll nun ändern. Der Bundesrat will in den nächsten Wochen den Gesetzesentwurf für die Schweizer E-ID ans Parlament verabschieden. Mit ihr soll man sich künftig auch digital ausweisen können – unkompliziert, sicher und schnell.
Ein persönliches Vorsprechen ist dadurch seltener nötig. Stattdessen kann die Identifikation auch über das Smartphone erfolgen. All jene, die eine Schweizer Identitätskarte, einen Pass oder einen hier ausgestellten Ausländerausweis haben, können künftig eine solche E-ID beantragen. Sie soll freiwillig und kostenlos sein.
Auf ihr werden auch andere elektronische Nachweise aufbauen – etwa Führerausweise, Diplome, Zeugnisse, Strafregisterauszüge und ärztliche Rezepte. Auch kann die E-ID beim Einkaufen von Alkohol zum Nachweis des Alters dienen, ebenso beim Streamen von nicht jugendfreien Filmen.
Millionen investiert ohne Auftrag
Es eröffnen sich also viele neue Geschäftsfelder. Und da möchte Orell Füssli mit von der Partie sein. Das 500 Jahre alte Unternehmen, dessen grösste Aktionärin mit 33,3 Prozent die Schweizerische Nationalbank ist, hält sich für prädestiniert dafür, die Software für die E-ID zu liefern.
Heute stellt Orell Füssli das Sicherheitspapier für den Schweizer Pass her und druckt seit über 100 Jahren die Schweizer Banknoten. Dieses Geschäft will die Firma nun in die digitale Welt übertragen. Auch dort möchte sie die Behörden beim Herstellen von Sicherheitsdokumenten unterstützen.
Dafür hat Orell Füssli bereits Millionen investiert. Man hat die darauf spezialisierte Firma Procivis gekauft und lässt dort seit einem Jahr 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine von Grund auf neue Software für E-IDs entwickeln. «Wir erfüllen sämtliche bekannten Anforderungen für die technische Umsetzung der künftigen Schweizer E-ID», sagt Désirée Heutschi, Co-CEO von Procivis und Leiterin Unternehmensentwicklung bei Orell Füssli.
Bloss: Orell Füssli hat vom Bund noch gar keinen Auftrag. Und kriegt vielleicht auch nie einen. Der Bund möchte die Software nämlich weitgehend selbst entwickeln, wie Rolf Rauschenbach vom Bundesamt für Justiz sagt. Dieses hat bei der E-ID den Lead, während das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation den Grossteil der Software entwickeln soll.
Start mit elektronischem Lernfahrausweis
Rauschenbach erinnert an die Volksabstimmung von 2021. Damals hat eine deutliche Mehrheit von 64 Prozent abgelehnt, dass private Unternehmen die E-ID ausstellen. Stattdessen zieht das Volk eine Lösung durch den Staat vor. Entsprechend wird der Bund nun die E-ID herausgeben und den Betrieb der dafür nötigen Vertrauensinfrastruktur sicherstellen.
Die Software könnte der Bund auch einkaufen. Doch er möchte einen Grossteil der vorgesehenen Projektkosten von 25 bis 30 Millionen Franken intern ausgeben. In einem halben Jahr soll in Appenzell Ausserrhoden ein erstes Pilotprojekt starten – ein elektronischer Lernfahrausweis. Danach will man diesen auch in anderen Kantonen einführen. Die eigentliche E-ID soll Anfang 2026 folgen. So zumindest steht es derzeit in den Plänen des Bundes.
«Wir würden uns freuen, im eigenen Land zum Zug zu kommen.»
Laut Rauschenbach hat der Bund an sogenannten Partizipationsmeetings klargemacht, dass er die E-ID im Wesentlichen selbst entwickeln will. Hat also Orell Füssli sein Geld fehlinvestiert? «Uns ist bewusst, dass der Staat die künftige E-ID herausgeben und die Infrastruktur dazu betreiben wird. Wir sehen uns als Technologie-Dienstleisterin, die für den Bund Softwarekomponenten für die technische Umsetzung des künftigen E-ID-Systems liefern möchte», sagt Desirée Heutschi. Überdies könne und werde man die Software auch anderen Ländern anbieten. Erste Gespräche seien bereits im Gang.
Der Fokus liege aber auf der Schweiz: «Wir würden uns freuen, im eigenen Land zum Zug zu kommen», so Heutschi. Sollte die Orell-Füssli-Tocher Procivis mit dem Bund nicht ins Geschäft kommen, könnte sie ihre Software immer noch Firmen, Kantonen und Gemeinden anbieten, die auf der E-ID aufbauend eigene elektronische Nachweise herausgeben und verifizieren. Insofern eröffnet sich auch neben dem Bund noch ein grosser Markt.
Die Post hält sich zurück
Die Nutzerinnen und Nutzer sollen dabei die grösstmögliche Kontrolle über ihre Daten haben. Fachleute sprechen von Self-Sovereign Identity. Die E-ID soll immer nur jenen Teil der Identität freigeben, der für die entsprechende Interaktion nötig ist. Beim Alkoholeinkauf also nur das Alter, nicht auch die Nationalität und die Körpergrösse wie beim Vorweisen der analogen Identitätskarte.
Dies ist nicht trivial. Es ist denn auch nicht ausgeschlossen, dass der Bund am Ende von seiner Eigenentwicklung nicht überzeugt ist. Dann stünde Orell Füssli bereit, um zu übernehmen.
Infrage käme dafür auch die Post, die bereits die Swiss ID anbietet. Diese Login-Lösung entstand aus der Suisse ID der Swiss Sign Group, die ursprünglich eine private E-ID anbieten wollte, was aber an der Urne scheiterte. Kommt hinzu, dass die Post auch beim E-Voting und beim elektronischen Patientendossier engagiert ist. Doch die Post hält sich zurück, solange sie vom Bund nicht angegangen wird. Ganz anders als Orell Füssli.
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