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Homosexualität im Profifussball
Einer der mutigsten Fussballer der Welt

Justin Fashanu war ein Star – die Erwartungen an ihn waren hoch, der Druck ebenso.
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Die britische Boulevardzeitung «Sun» erscheint im Oktober 1990 mit der Schlagzeile: «Ich bin schwul.» Daneben ein Foto von Justin Fashanu. Der frühere Premier-League-Spieler ist damals der erste Fussballprofi der Welt, der seine Homosexualität öffentlich macht. Bis heute ist er der berühmteste und einer der ganz wenigen, die ein Coming-out während ihrer aktiven Karriere wagten. Die Geschichte von Justin Fashanu handelt aber nicht nur von Mut, sie ist auch voller Tragik. Denn acht Jahre später ist der Fussballer tot, er begeht Suizid. Wie konnte es so weit kommen?

Seine ersten Lebensjahre verbringt Fashanu in einem Waisenhaus, die alleinerziehende Mutter konnte nicht für ihn sorgen. Als er sechs Jahre alt ist, nimmt eine Pflegefamilie ihn und seinen kleinen Bruder John zu sich. Der Junge beginnt, Fussball zu spielen. Sein Talent fällt in dem kleinen Ort Shropham in der Grafschaft Norfolk sofort auf. Bald nimmt Norwich City ihn unter Vertrag, der Aufstieg verläuft rasant. Mit 19 Jahren spielt Fashanu bereits in der Premier League – sein erstes Tor ist ein Kunstwerk: Er trifft kraftvoll aus der Drehung volley in den Winkel. Die BBC wählt die Szene zum Tor des Jahres. 1981 wechselt der Stürmer zu Nottingham Forest, für eine Rekordsumme von 1 Million Pfund; so viel hat nie zuvor ein Verein für den Transfer eines schwarzen Spielers bezahlt. Fashanu legt sich schnelle Autos und schillernde Outfits zu. Auf Videos von damals lacht er fast immer, er nimmt die Leute für sich ein. Er ist nun ein Star. Die Erwartungen sind hoch, der Druck ebenso.

Der Coach lässt ihn beschatten

Im Stadion beschimpfen Fans ihn rassistisch, sie werfen Bananen aufs Spielfeld. Fashanu kämpft dagegen an, aber er kämpft auch mit sich selbst. Der 20-Jährige kommt nicht damit klar, dass seine Mutter ihn früh verliess. Zu dieser Zeit wird ihm auch bewusst, dass er schwul ist. Nachts zieht er durch die Clubs von Nottingham, er lernt Peter Tatchell kennen, einen Kämpfer für die Homosexuellenrechte und damals ein aufstrebender Labour-Politiker. Die beiden werden gute Freunde, besuchen Ausstellungen, gehen gemeinsam aus. «Justin riskierte es, geoutet zu werden, wenn er abends mit mir unterwegs war», erinnert sich Tatchell. «Manchmal belastete es ihn gar nicht, manchmal aber schon.»

Nicht immer erscheint Fashanu pünktlich zum Training. Coach Brian Clough lässt ihn beschatten. Vor der Mannschaft beschimpft er seinen Spieler als «bloody poof», verdammte Schwuchtel. Fashanu fliegt aus dem Kader, Clough verbietet ihm sogar, den Trainingsplatz zu betreten, einmal lässt er seinen Spieler von der Polizei vom Vereinsgelände abführen. In 35 Spielen für Nottingham erzielt der Angreifer nur drei Tore. «Seine Leistungen liessen nach, weil der Trainer ihn ständig wegen seiner Sexualität beschimpfte», davon ist Tatchell bis heute überzeugt.

«Ich dachte, wenn ich mein Coming-out in der schlimmsten Zeitung habe und dann stark bleibe, gäbe es nichts mehr, was noch zu sagen wäre.»

Justin Fashanu

Fashanu verletzt sich am Knie, fällt lange aus, er wird nie wieder so gut wie vorher. Er zieht in die USA, spielt in eher unterklassigen Clubs. Er geht weiter abends aus, will seinen Lebensstil nicht aufgeben, doch das Geld ist knapp. 100’000 Pfund bietet ihm die «Sun» für ein Coming-out; Fashanu zieht es durch. Schon seit seiner Zeit in Nottingham hat er wohl mit dem Gedanken gespielt. «Er wollte die Last loswerden, ein verstecktes schwules Leben zu führen», sagt Tatchell. Er selbst sagte: «Ich dachte, wenn ich mein Coming-out in der schlimmsten Zeitung habe und dann stark bleibe, gäbe es nichts mehr, was noch zu sagen wäre.»

Als Rekordtransfer wechselte Justin Fashanu 1981 zu Nottingham Forest.

Doch Fashanu gelingt es nicht, stark zu bleiben. Tatchell beschreibt ihn als einen Menschen, der viele Seiten hatte. «Er fühlte sich zerrissen, abgelehnt, die vielen Rückschläge plagten ihn, er dachte viel nach.» Nicht immer habe er alles richtig gemacht. Der berühmte Fussballer tritt in Talkshows auf, posiert in Magazinen, berichtet detailreich, wie er mit Mitspielern und anderen Prominenten geschlafen habe. Manchmal übertreibt Fashanu, manches soll er sogar erfunden haben. Für fast jede Story bekommt er Geld.

Die meisten Briten haben kein Verständnis für einen schwulen Fussballer. Sogar sein Bruder John, der die einzige Konstante in seinem Leben ist, distanziert sich von ihm. «Damals herrschten harsche traditionelle Ansichten, wie ein Fussballer zu sein hat und wie er sich verhalten soll», sagt Tatchell. «Die meisten Menschen waren noch immer sehr homophob.» Der Menschenrechtsaktivist ist aber überzeugt: «Ich glaube, Justin hat die richtige Entscheidung getroffen. Es war gut, dass er es selbst öffentlich machte.»

Nach seinem Coming-out verlässt Fashanu England. Er fängt wieder neu an: mal in Neuseeland, mal in Schweden, mal in den USA. Er spielt in unterklassigen Ligen, versucht sich als Trainer. Dann zeigt ihn ein 17-jähriger Amerikaner an, Fashanu habe ihn nach einer Feier vergewaltigt. Der Fussballer kehrt überstürzt nach London zurück. Die Medien berichten, Scotland Yard ermittle nun auch in England gegen ihn, später stellt sich heraus, dass dies eine Lüge war. Am 2. Mai 1998 besucht Fashanu eine Bar, Gäste berichten, er habe ausgelassen gewirkt. Am nächsten Morgen findet man ihn tot in einer Garage. Justin Fashanu wird nur 37 Jahre alt. Im Abschiedsbrief steht: «Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein, ist hart.»

Justin Fashanu tat vor 30 Jahren etwas, für das die Gesellschaft noch nicht bereit war. Doch wäre sie es heute? In den USA lebt Collin Martin, der derzeit bekannteste aktive homosexuelle Fussballer. Ende September verliessen seine Mitspieler vom Zweitligisten San Diego Royal empört den Platz. Der Grund: Ein Gegner hatte Martin homophob beleidigt. Die Justin Fashanu Foundation berät seit einem Jahr homosexuelle Fussballer; ein Coming-out traue sich keiner von ihnen zu, heisst es. Vor einigen Wochen veröffentlichte die Stiftung einen anonymen Brief: «Ich fühle mich gefangen, und ich habe Angst, dass es die Dinge nur schlimmer machen wird, wenn ich die Wahrheit sage», schreibt darin ein Premier-League-Spieler. «Wie fühlt es sich an, so zu leben? Es kann ein absoluter Albtraum sein, und es wirkt sich zunehmend auf meine mentale Gesundheit aus.»

Fashanus Freund Tatchell glaubt, die Ängste der Spieler seien womöglich übertrieben. Die Medien würden inzwischen positiv über Sportler berichten, die ein Coming-out haben. «Schwul oder heterosexuell, das kümmert die Fans kaum», sagt der 68-Jährige. «Zumindest solange die Spieler Tore schiessen.» Tatchell hofft, dass bald ein Premier-League-Spieler den Mut aufbringt, offen über seine Homosexualität zu sprechen. 30 Jahre nach dem Coming-out von Fashanu sei es dafür an der Zeit.

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